Interview mit Alexandra Wang
Der Gute Rat ist ein österreichweiter Bürger:innenrat. Was bedeutet das konkret?
Ein Bürger:innenrat ist ein demokratiepolitisches Instrument, mit dem eine Bevölkerung bzw. deren Überzeugung statistisch gesehen recht gut abgebildet wird. Dafür kommen Menschen mit verschiedenen Interessen zusammen, um Themen zu diskutieren und Empfehlungen abzugeben.
Ein Beispiel für einen nationalen Bürger:innenrat ist der von der Regierung initiierte Klimarat. Dort wurden fast 100 Empfehlungen für Österreich entwickelt. Leider hat die Regierung kaum etwas davon umgesetzt.
Wie funktioniert der Gute Rat?
Im Guten Rat werden 50 Ratsmitglieder an sechs Wochenenden über die Vermögensverteilung diskutieren und Ideen entwickeln, wie wir als Gesellschaft damit umgehen wollen. Unterstützt werden sie dabei von Expert:innen, die regelmäßig Vorträge halten.
Worüber der Rat am Ende spricht, das lässt sich noch nicht sagen und kann alles Mögliche sein. Damit diese Ideen nicht im leeren Raum stehen bleiben, stellt Marlene Engelhorn dem Guten Rat 25 Millionen Euro aus ihrem Erbe zur Verfügung.
Warum braucht es einen Bürger:innenrat, um über Verteilungsfragen zu diskutieren?
Grundsätzlich sind die Vermögen in Österreich ungleich verteilt. Ein Prozent der Bevölkerung besitzt rund 50 Prozent des Nettovermögens. Wenn die Regierung es nicht schafft, ein besseres Steuersystem mit Erbschafts-, Schenkungs- und Vermögenssteuern einzuführen, dann muss man einen anderen Weg finden, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Und dem hat sich Marlene Engelhorn mit dem Guten Rat angenommen. Sie macht etwas, das wir so nicht kennen und kaum jemand erwartet hätte. Als Privatperson, die sehr viel Vermögen hat, könnte sie Macht ausüben. Aber das tut sie nicht. Sie lässt andere entscheiden.
Was sind die Erwartungen an den Guten Rat?
Dadurch, dass wir mit diesem Projekt viel nationale und internationale Aufmerksamkeit bekommen, steigt auch der Druck – auf die Politik, auf andere sehr reiche Menschen.
Meine persönliche Erwartung ist, dass wir mit dem Guten Rat auch ein Vorbild für andere Länder und Überreiche sein werden, wenn es um Rückverteilung geht. Wichtig ist aber zu sagen, dass – egal, was die Bürger:innen entscheiden – ein Bürger:innenrat kein gerechteres Steuersystem ersetzen kann oder soll.
Die Arbeitnehmer:innen tragen derzeit den überwiegenden Teil der Finanzierung staatlicher Leistungen. Den Erb:innen fallen jährlich durchschnittlich 15 Milliarden zu – steuerfrei. Wir brauchen allein für den Ausbau der sozialen Pflege in den kommenden Jahren 4 bis 6 Milliarden Euro pro Jahr. Eine Millionärssteuer könnte 5 Milliarden Euro pro Jahr bringen. Eine Steuerreform scheint für eine gerechte Vermögensverteilung essenziell.
Wir haben durch den Kickoff eine mediale Debatte zu Verteilungsfragen und zu einem anderen Steuersystem angestoßen. Ich bin mir sicher, dass Fragen dazu innerhalb des Rates diskutiert werden. Wir leben in einem Sozialstaat, in dem Vieles durch Steuern gewährleistet wird. Aber es gibt eine ganz klare Schieflage, denn von 100 Steuer-Euros kommen 80 aus Arbeit und Konsum, sechs von Unternehmen und nur vier aus Vermögenszuwächsen. Und das ist von einigen wenigen überreichen Menschen natürlich durchaus so gewollt.
„Wenn alle durch Arbeit reich werden könnten, dann gäbe es viel mehr Millionär:innen auf der Welt“: Marlene Engelhorn ist Millionenerbin und setzt sich für die Besteuerung der Reichen ein. Im Interview mit A&W erklärt sie, warum. 👇https://t.co/D9YphV0mNH
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) November 22, 2023
Was verstehen Sie unter Rückverteilung?
Rückverteilung ist nicht mit „klassischen“ Spenden oder Philanthropie zu verwechseln. Bei der Rückverteilung ist es ganz wichtig, dass jene Menschen, Gruppen und Organisationen, die von dem Geld profitieren, in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden. Wir unterscheiden zwischen Rückverteilung und Umverteilung, da wir der Meinung sind, dass nur ein Staat mittels Steuern umverteilen kann.
Welche Reaktionen hat der Gute Rat bereits bekommen?
Wir hören und lesen oft Kommentare wie: „Marlene Engelhorn soll das Geld einfach spenden.“ Dabei will sie als vermögende Person aber eben ganz bewusst nicht selbst entscheiden, wo ihr Geld hinfließt. Viel öfter bekommen wir aber die Rückmeldung, dass der Gute Rat eine großartige Idee ist und zahlreiche Menschen ein Teil davon sein möchten.