Das Bedingungslose Grundeinkommen ist keine Lösung

Figürchen stehen auf Geld. Symbolbild für das Bedingungslose Grundeinkommen.
Das Bedingungslose Grundeinkommen ist nicht die erstrebenswerte Utopie, für die es gehalten wird. | © Adobestock/frittipix
Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) sieht auf den ersten Blick toll aus: Eine Geldleistung, die alle bekommen. Das soll Freiheit schaffen, tut es aber nicht.
Wie würden Sie Ihr Leben gestalten, wenn Sie jeden Monat 1.000 Euro vom Staat bekämen? Würden Sie noch 40 Stunden in der Woche arbeiten? Oder doch lieber mehr Zeit mit den Kindern verbringen, endlich den Tanzkurs machen, im Garten das eigene Obst und Gemüse anbauen und darüber hinaus mehr reisen oder endlich Portugiesisch lernen? Das käme doch den Beschäftigten zugute und die Unternehmen könnten auch etwas damit anfangen. Genau derartige Dinge versprechen die, die das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) befürworten. Eine These, mit der sich Arbeit&Wirtschaft kritisch auseinandersetzt.

Konsum ankurbeln mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen

„Es gibt den Wunsch nach Autonomie, unabhängig von der Erwerbsarbeit bzw. dem -zwang zu leben“, erklärt Silke Bothfeld, Professorin für Politikmanagement an der Hochschule Bremen. Sie attestiert, dass derartige Überlegungen auf Basis der modernen Arbeitswelt geschehen. Der Arbeitsdruck ist hoch, weniger Arbeiten gilt als Ideal. Das wäre mit einer staatlichen Geldleistung möglich. Jene, die es fordern, denken, dass sich die eigene Work-Life-Balance verbessert oder der Druck bei Arbeitslosigkeit sinkt. Für Bothfeld ist das „legitim“. Doch die Grundidee des BGE stammt gar nicht „von links“.

Portrait Norman Wagner Entlastungspaket Inflation Österreich
Norman Wagner von der Arbeiterkammer. | © Lukas Beck

„Die Grundidee zum BGE kommt aus der liberalen Richtung“, stellt Norman Wagner aus der Abteilung Sozialpolitik in der Arbeiterkammer Wien (AK) klar. „Sie wollen die aus ihrer Sicht ausufernde Verwaltung verschlanken.“ Auch wenn es in vorindustrialisierter Zeit immer wieder Gedankenspiele gab, unabhängig vom Einkommen Geldleistungen auszuzahlen, gehen modernere Konzepte eher auf den neoliberalen Wirtschaftswissenschaftler Milton Friedman zurück. Er beriet unter anderem US-Präsident Ronald Reagan und die britische Premierministerin Margaret Thatcher, also alles andere als Arbeitnehmer:innen-freundliche Entscheider:innen. Darauf verweist auch Wagner. Es gehe einerseits darum, dass Menschen trotz geringem (oder gar keinem) Einkommen dennoch konsumieren können und sich der Staat andererseits nicht um Soziales kümmern muss.

Wem nützt das Bedingungslose Grundeinkommen?

Eine Grundsicherung müsste allerdings schon sehr hoch sein. Das deutsche Bürgergeld, vormals Hartz IV, garantiert alleinstehenden Erwachsenen beispielsweise rund 500 Euro. Wagner meint, dass gängige Vorschläge Richtung 1.000 Euro und mehr inklusive Sozialversicherungen gingen. Das entspricht von der Höhe her in Österreich der bedarfsorientierten Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe oder ist sogar mehr. Um ein gutes Leben zu haben, reicht das freilich nicht. Die Statistik Austria legt die Armutsgefährdungsschwelle derzeit bei 1.392 Euro für einen Einpersonen-Haushalt fest (12 Mal im Jahr). Natürlich hätten aber finanziell Benachteiligte, erwerbs- und arbeitslose Personen auf den ersten Blick einen Vorteil – weil sie dann unter Umständen mehr Geld bekämen.

In Deutschland, so Bothfeld, hatte die Bundesagentur für Arbeit (das Pendant zum Arbeitsmarktservice) die strikte Vorgabe, arbeitslose Menschen möglichst schnell wieder in Arbeit zu bringen. Das ist nun etwas aufgeweicht. Auch in Österreich sind die zuständigen Behörden in der Sozialverwaltung, aus AK-Sicht und gelinde ausgedrückt, „kein Ort guter Stimmung. Man hat das Gefühl, Bittsteller zu sein. Wenn sowieso alle Geld bekommen, würde das wegfallen“, erklärt Wagner.

Allerdings wollen die meisten (Langzeit-)Arbeitslosen aber ohnehin eine gute Arbeitsstelle, wie jede:r andere auch. Aus der individuellen Perspektive biete ein BGE den Vorteil, dass sich diese Betroffenen nicht mehr „dem System“ gegenüber präsentieren müssen, so Bothfeld. Eine bessere Alternative wäre, bei den Bedingungen für den Bezug des Bürgergelds mehr Freiräume einzuräumen – etwa beim Zuverdienst oder bei der Verhängung von Sanktionen. Weil die Kosten und Nebeneffekte eines BGE, von dem schließlich alle, auch Vermögende und Erwerbstätige profitierten, kaum tragbar wären.

Doppelter Fehlschluss

Dass durch das BGE allerdings der Arbeitsmarkt entlastet wird, dafür gebe es keine empirischen Hinweise. Und die Geldleistung verursacht enorme Kosten. Für Deutschland gibt es Berechnungen, dass ein paar hundert Euro BGE so viel kosten würden wie das gesamte gegenwärtige Sozialbudget. „Menschen, die glauben, dass es finanzierbar ist, sind vom Gegenteil kaum zu überzeugen“, gibt Wagner zu bedenken.

Ein Nebenaspekt davon, dass alle mehr Geld bekommen, wäre natürlich auch, dass die Abgabenquote im gegenwärtigen System stark ansteigt. Die liegt derzeit bei 40 bis 42 Prozent. Würde jede:r Bürger:in noch einmal mehrere tausend Euro im Jahr mehr bekommen, steigt diese Quote stark. Zudem würden ein BGE wirklich alle bekommen. Vom CEO eines börsennotierten Unternehmens über Politiker:innen bis hin zu arbeitslosen- bzw. erwerbslosen Menschen.

„Soziale Ungleichheit verschärft sich jedoch genau dort, wo dieses Geld, das an alle geht, fehlt. Etwa bei Menschen in sozialen Risikolagen“, gibt Bothfeld zu bedenken. Sowohl in Deutschland, als auch in Österreich fehlt das Geld bereits jetzt an allen Ecken und Enden. In der Bildung, der Pflege, der psychosozialen Betreuung und, und, und. Keines dieser Probleme würde durch ein BGE wirklich gelindert.

Sozialstaat stärken, statt Bedingungsloses Grundeinkommen einführen

Zudem muss der Sozialstaat gestärkt werden, auch um Legitimität zu haben. „Unsere Sozialsysteme basieren auf der Idee eines Gesellschaftsvertrags“, weiß Bothfeld. „Dazu gehören Rechte und Pflichten auf beiden Seiten. Durch unsere Beiträge in die Sozialversicherung erwerben wir Rechtsanspruch auf Lohnersatzleistung, bekommen eine Ersatzleistung innerhalb einer Solidargemeinschaft. Das ist keine Fürsorge, die steuerfinanziert ist.“

In steuerfinanzierten Systemen – und das sei durch Studien belegt – sinkt die Legitimität der Solidargemeinschaft. Wenn die Sozialversicherung aber durch ein BGE ersetzt und nicht statusbezogen bezahlt werden würde wie jetzt – wer mehr verdient, zahlt solidarisch mehr – müssten nämlich Steuern dafür sorgen, Geld zu lukrieren. Das funktioniere schlechter, ist Wagner überzeugt. Ein einfaches Beispiel: „Würde man das BGE mit einer deutlich höheren Mehrwertsteuer finanzieren (etwa 100 %, statt 20 %), würde sich das tägliche Leben massiv verteuern und jene Menschen, für die es möglich ist, würden eben ins Ausland einkaufen gehen.“

https://twitter.com/AundWMagazin/status/1716786641417773062

Gemeinsam stärker

Arbeit wiederum ist eine anthropologische Konstante, sie stiftet Identität, argumentiert Bothfeld. Das ist kein neoliberaler Gedanke, sondern schon bei Karl Marx nachlesbar. Arbeitslosenvertreter:innen würden ihr gegenüber oft bestätigten, dass die Menschen arbeiten wollen. Und das geht auch gemeinsam besser. Wer vom Staat 1.000 Euro bekommt, der kümmert sich vielleicht auch nicht so sehr darum, wie die Arbeit gestaltet wird. „Wir wollen unsere Arbeitskraft möglichst zu einem guten Preis und guten Bedingungen verkaufen. Wenn wir uns nicht mehr organisieren, etwa in Gewerkschaften, geht Macht verloren“, gibt sie zu bedenken. Unser Leben, so Wagner, sei eben auf Bedarf ausgelegt. Ein BGE wäre auch deshalb systemfremd.

Davon sind wir aber weit entfernt. Viel besser wäre es für beide, den Sozialstaat zu stärken und die richtige Idee im gegenwärtigen, auf sozialen Ausgleich aufbauenden, System anzuwenden. Das sind vermögensbezogene Steuern, um die erwähnten Problemlagen zu beheben. Und eine Verkürzung der Arbeitszeit, wie Bothfeld abschließend sagt. „Es gibt Untersuchungen, die beweisen, dass schon die 35-Stunden-Woche einen großen Impact hat, etwa bei den Betreuungspflichten. Männer gehen dann öfter früher, kümmern sich um ihre Kinder und so werden die Geschlechterverhältnisse verbessert.“ Nur auf eine Utopie warten, das gehe sich nicht aus. Es muss gemeinsam an einer besseren Welt gearbeitet werden – dann wird sich die Frage nach einem Grundeinkommen weniger stellen, weil es eine Arbeitswelt ist, an der mehr Menschen teilhaben können und auch wollen.

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