Auf dem Papier klingt das spannend, wichtig und herausfordernd: Sicherheitsvertrauenspersonen (SVP) beraten ihre Arbeitskolleg:innen über betriebliche Arbeitssicherheit, sie achten auf die Einhaltung von Schutzmaßnahmen, bringen sich bei Arbeitsplatzevaluierungen ein und informieren ihre Arbeitgeber:innen über bestehende Mängel in Sachen Sicherheit und Gesundheitsschutz. Im Idealfall arbeiten sie dabei eng mit Sicherheitsfachkräften, Arbeitsmediziner:innen und dem Betriebsrat zusammen.
Schutz vor Kündigung
In der Realität, konstatiert Gabriela Hiden, Leiterin der Abteilung Arbeitstechnik und Gesundheit in der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE), können viele SVP all das allerdings kaum umsetzen: „Sie kommen oft sehr motiviert von ihrer Schulung zurück. Aber mit der Zeit nimmt die Motivation ab.“ Einen Grund dafür ortet sie im nicht bestehenden Kündigungsschutz für SVP. Wenn in einem Unternehmen Sicherheit und Gesundheit keinen hohen Stellenwert haben, betrachte es die Führungsebene als Kavaliersdelikt, wenn nicht alle gesetzlichen Vorgaben zu 100 Prozent eingehalten würden. „Da will man sich dann ohne Kündigungsschutz nicht ständig unbeliebt machen.“
Tendenziell schreibt man Sicherheit vor allem dort groß, wo das Gefahrenpotenzial auch hoch ist. Wo es also um Arbeitsunfälle oder auch Berufskrankheiten geht, wie beispielsweise in einem chemischen Betrieb, meint Hiden. Dort, wo sich aber arbeitsbedingte Krankheiten langsam einschleichen – der Bandscheibenvorfall etwa oder eine stressbedingte psychische Belastung – da schaue man nicht überall genau hin. Als Positivbeispiel nennt Hiden hier den Automotorenhersteller BMW in Steyr. „Dort wird sehr auf Ergonomie am Arbeitsplatz geachtet.“
Der Keine-Zeit-Faktor von Sicherheitsvertrauenspersonen
Dazu kommt noch: Wie eine IFES-Befragung im Auftrag der Arbeiterkammer (AK) Wien unter 500 Sicherheitsvertrauenspersonen in diesem Jahr ergab, haben drei von zehn SVP schlichtweg zu wenig Zeit, um ihre Funktion auszufüllen. Im Schnitt wenden sie knapp unter zwei Stunden pro Woche für ihre verschiedenen Aufgaben auf. 2015 investierten SVP noch eine halbe Stunde mehr pro Woche in Sicherheits- und Gesundheitsfragen im Betrieb. Dieser Zeitmangel führt laut Befragung auch dazu, dass selten Fortbildungsseminare besucht werden.
„Viele Sicherheitsvertrauenspersonen machen oft nur die gesetzlich vorgeschriebene Erstausbildung“, sagt Hiden. Es bräuchte aber regelmäßige Nachschulungen, zumindest alle zwei bis drei Jahre. „Schulen, schulen, schulen wäre wichtig.“ Ebenfalls wichtig wäre ihrer Ansicht nach, dass Sicherheitsfachkraft und Arbeitsmediziner:in die Rolle der SVP im Betrieb reflektieren und immer wieder ins Bewusstsein rufen. Und sie betont: Sicherheitsvertrauenspersonen, die auch Betriebsrät:innen sind, seien stärker. Dann gebe es in den Unternehmen auch Gesundheitsschutz, der alle Arten von Arbeitsplätzen umfasse.
Auf der sicheren Seite
Genau das zeigt Vivian Fletzer, Betriebsratsvorsitzende beim Psychosozialen Dienst (PSD) der Stadt Wien, vor. Als die Sozialarbeiterin 2017 den Vorsitz im Betriebsrat übernahm, ließ sie sich auch zur Sicherheitsvertrauensperson ausbilden. Inzwischen hat sie ein SVP-Team aufgebaut, das eine Ergotherapeutin, eine Pflegekraft, die bereits an ihrem vorherigen Arbeitsplatz SVP war, und einen Betreuer in einem Tageszentrum, der sehr technikaffin ist, umfasst. Die beiden Ersteren gehören heute zudem dem Betriebsrat an. „Mit dieser Doppelrolle haben sie auch Kündigungsschutz und viel mehr Spielraum, viel mehr Bewegungsmöglichkeit.“ Auch die vierte Sicherheitsvertrauensperson sei als Ersatz-Mitglied nah am Betriebsrat.
Nicht nur sie schreibe im PSD allerdings Arbeitnehmer:innen- und Gesundheitsschutz groß, beides sei auch dem Dienstgeber ein Anliegen, betont Fletzer. Gemeinsam haben sie die psychischen Belastungen evaluiert und in jenen Dienststellen, wo sich Probleme zeigten, in Workshops gemeinsam mit den Mitarbeiter:innen Lösungen gefunden, wie Abläufe weniger belastend gestaltet werden können. Oft geht es dabei beispielsweise um die Gestaltung des Telefondienstes. In einem Unternehmen wie dem Psychosozialen Dienst sind aber auch aggressive Patient:innen immer wieder ein Thema – während der Hochzeit der Covid-Pandemie spitzte sich das besonders zu. Hier kann die passende Möblierung etwas Distanz schaffen – das ist einer der Bausteine im erarbeiteten Gewaltschutzkonzept.
Die Geschäftsführung rufe die Belegschaft aber auch immer wieder dazu auf, Supervision in Anspruch zu nehmen. „Wir haben inzwischen erreicht, dass auch Mitarbeiter:innen in der Verwaltung Supervision machen können.“ Ergonomisches Arbeiten sei zudem ein wichtiger Aspekt. Dort, wo Arbeitsplätze geteilt werden, gebe es nun Kurbeltische, die auf die Höhe des jeweils dort Arbeitenden eingestellt werden können. Mit einer Bildschirmarbeitsbrillenvereinbarung wurde gewährleistet, dass hier der Arbeitgeber die Kosten übernimmt.
Gesunder Betrieb durch Sicherheitsvertrauenspersonen
Verhältnisprävention statt Verhaltensprävention: Dem versucht Fletzer in ihrem Tun als Betriebsrätin und SVP zu entsprechen. „Den Obstkorb haben wir schon länger, aber davon werden die Leute nicht gesünder“, sagt sie. „Mir geht es darum, dass wir die Rahmenbedingungen schaffen, damit jede Person, die bei uns eintritt, in der Lebensphase, in der sie gerade ist, gut bei uns arbeiten kann.“ Denn auch das gelte es zu berücksichtigen: Bedürfnisse verändern sich während eines Arbeitslebens. Um gesund das Pensionsalter zu erreichen, müsse einerseits auf ergonomisches Arbeiten geachtet werden. Andererseits entstehe Überforderung und damit Stress oft auch durch fehlende Qualifikation. „Wer vor 35 Jahren begonnen hat zu arbeiten, tut sich heute vielleicht beim Bedienen eines EDV-Tools schwer. Hier braucht es dann dringend Schulungen, damit es präventiv erst gar nicht zu einer Überforderung kommt.“
Von all dem profitiert am Ende auch das Unternehmen. Einerseits geht es da um Motivation. „Wer nicht jeden Tag mit Kreuzschmerzen aus der Arbeit geht und fit ist, fühlt sich wohl und ist dann auch ganz anders präsent am Arbeitsplatz.“ Gerade an Fachärzt:innen und Pflegekräften gebe es derzeit zudem einen Mangel. „Wenn ich da versuche, ein gesunder Betrieb zu sein, bin ich sicher attraktiver als ein anderer Arbeitgeber.“
Gut zu wissen …
- Sicherheitsvertrauenspersonen (SVP) sind zu bestellen, wenn im Betrieb regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer:innen beschäftigt werden. Die Anzahl der SVP ist von der Anzahl der Beschäftigten abhängig.
- SVP müssen eine mindestens 24-stündige Ausbildung im Bereich Arbeitsschutz absolvieren.
- SVP-Funktionsperiode beträgt vier Jahre.
- Für die Bestellung der SVP ist die Zustimmung des Betriebsrats erforderlich. In Betrieben ohne Betriebsrat müssen alle Arbeitnehmer:innen über die Bestellung informiert werden.
- Wichtig: Die Bestellung von SVP befreit die Arbeitgeber:innen nicht von ihrer Verantwortung, Vorschriften im Arbeitnehmer:innenschutz einzuhalten.
- Rechtsgrundlagen: § 11 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG), SVP-Verordnung.