Das kommt vielen von uns bekannt vor: Der Betriebsrat hat zur gesetzlich vorgesehenen, halbjährlichen Betriebsversammlung geladen. Veranstaltungsort ist der abgedunkelte Speisesaal. Die Sitzreihen sind frontal Richtung Redner:innenpult aufgestellt. Der Blick in die Sitzreihen verrät: Nur ein kleiner Teil der Kolleg:innen ist überhaupt erschienen. Es folgt eine Ansprache des Betriebsrats, deren Inhalt die meisten Anwesenden verschlafen. Am Schluss ein schüchterner Blick des Vortragenden in die Runde: „Gibt es Fragen?“ Keine Fragen. Danke. Ende der Veranstaltung.
Betriebsversammlung aktiv gestalten
Dass es auch anders geht, davon ist Elisabeth Steinklammer überzeugt. Sie leitet die Referent:innen-Akademie der Arbeiterkammer Wien und ist Co-Autorin des Skriptums „Betriebsversammlungen aktiv gestalten“. Eine gelungene, aktive Betriebsversammlung beginne bereits mit ihrer Vorbereitung. Schon der Einladungspolitik komme da eine wichtige Bedeutung zu. „Wenn nur wenige zur Betriebsversammlung erscheinen, lohnt sich die Frage, warum das so ist. Vielleicht ist der Veranstaltungszeitpunkt für Teilzeitkräfte ungünstig? Oder möglicherweise wurde nicht bedacht, dass manche Kolleg:innen schlecht Deutsch sprechen und deshalb eine Übersetzung brauchen?“
Murmelgruppen statt Frontalvortrag in der Betriebsversammlug
Auch für die Gestaltung der Betriebsversammlung hat Steinklammer viele Vorschläge. Zum Beispiel, wenn niemand nach dem Frontalvortrag des Vorsitzenden Fragen stellen möchte: „Hier können Murmelgruppen helfen, wo sich alle Teilnehmenden kurz mit ihren Nachbar:innen über das Gehörte austauschen und anschließend ihre Ergebnisse in das Plenum zurücktragen.“ Frontalvorträge des oder der Betriebsratsvorsitzenden müssen heute nicht mehr sein. „Immer mehr Betriebsratskörperschaften arbeiten mit Marktständen, an denen verschiedene Themenbereiche aufbereitet und zur Diskussion gestellt werden. Kleingruppen können dann von Stand zu Stand gehen, sich informieren und diskutieren. Das ist auch eine gute Möglichkeit, weitere Betriebsratsmitglieder vor den Vorhang zu holen.“
Schon die Raumgestaltung habe einen Effekt auf die Erwartungshaltung der Teilnehmenden: Tischgruppen wirken beispielsweise einladender als Sitzreihen. Wichtig sei aber auch, Belegschaften nicht mit zu vielen Neuigkeiten auf einmal zu überfallen. Neuerungen sollten schrittweise eingeführt werden, um die Belegschaften auch mitzunehmen. Generell hätten Betriebsversammlungen das Potenzial, strategisch eingesetzt zu werden: „Ich kann Beschäftigte über Betriebsversammlungen in betriebliche Entscheidungsprozesse einbinden. Allerdings darf das keine Placebo-Mitbestimmung sein – das merken die Kolleg:innen und fühlen sich dann nicht ernst genommen“, so Steinklammer.
Online-Betriebsversammlung für mehr Teilhabe
Spätestens mit der Digitalisierung in der Corona-Pandemie ist ein weiterer Aspekt hinzugekommen: Betriebsversammlungen gibt es nun nicht mehr nur als ausschließlich physischen Event, sondern auch komplett digital oder als Hybrid-Veranstaltung. Sandra Steiner, Betriebsratsvorsitzende bei Atos IT Solutions hat damit seit Jahren Erfahrung. Ihre These: „Online-Betriebsversammlungen sind weiter verbreitet, als viele denken. Im Banken- und IT-Bereich sind sie längst Standard. Und auch im Sozialbereich nimmt ihre Zahl zu.“ Gerade für Arbeitnehmer:innen, deren Arbeitsmittelpunkt nicht an einem festen Arbeitsplatz, sondern vielleicht im Homeoffice oder im Außendienst liegt, biete die Online-Betriebsversammlung Möglichkeiten der Teilhabe: „Eine Online-Betriebsversammlung dauert eine Stunde. Da können bei uns im Unternehmen Kolleg:innen zwischen zwei Kundenterminen teilnehmen.“
Feedback durch Umfragen
Auch bei Online-Betriebsversammlungen ist eine gute Vorbereitung mehr als die halbe Miete. Für die Vorbereitung muss man etwas mehr Zeit einrechnen, um sich mit der Technik und den Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen. Dafür bietet sich hier die Möglichkeit, gut zu strukturieren. „Ich kann online Kleingruppendiskussionen oder Umfragen durchführen. Das hilft mir auch, Feedback einzuholen. Denn schließlich kriege ich online keinen direkten Publikumsapplaus“, so Steiner. Ähnlich wie bei Präsenz-Betriebsversammlungen gibt es auch bei Online-Betriebsversammlungen inzwischen ein Schulungsangebot des VÖGB. „Es ist wichtig, dass den Kolleg:innen über solche Schulungen die Angst genommen wird“, findet Sandra Steiner.
Diverse Belegschaften, diverse Gestaltung
Wie kann man eine große, diverse Belegschaft über Betriebsversammlungen aktivieren? Dieses Thema beschäftigt auch Heidemarie Supper. Sie ist Betriebsrätin bei der Wiener Volkshilfe, einem Betrieb mit 1.300 Beschäftigten aus verschiedensten Berufen der Pflege- und Sozialbereiche. „Extrem wichtig ist, die Kolleg:innen einzubinden. Deshalb arbeiten wir auch sehr viel mit Gruppenarbeit in Kleingruppen während der Versammlungen“, erzählt sie. Auch das Internet wird inzwischen für Betriebsversammlungen genutzt. „Heuer haben wir mit einer Berufsgruppe in unserem Unternehmen erstmals eine Hybrid-Betriebsversammlung durchgeführt. Wir haben mit Arbeitsgruppen gearbeitet. Eine war online und eine physisch vor Ort. Das hat gut funktioniert. Wir konnten Maßnahmen ausarbeiten, die als wichtige Forderung für weitere Verhandlungen mit der Geschäftsführung dienen.“
Für Heidemarie Supper sind Online-Betriebsversammlungen wichtige Ergänzungen im Werkzeugkoffer betrieblicher Mitbestimmung. Jedoch sieht sie auch Fragen, die es zu berücksichtigen gelte: „Nicht alle Kolleg:innen haben dieselben technischen Voraussetzungen. Online-Betriebsversammlungen dürfen nicht dazu führen, dass die Teilnahme-Hürden höher gehängt werden.“ In unserer Reportage gibt es noch mehr Beispiele guter Betriebsratsarbeit aus der Praxis.