Setzt endlich die rosa Brille auf!

© Markus Zahradnik
Frauen sind im Betriebsrat unterrepräsentiert. Dieses Ungleichgewicht bringt auch das Betriebsklima in Schieflage. Welche Rahmenbedingungen sind notwendig, damit mehr Frauen betrieblich mitbestimmen?

Ursula Filipič ist Grundlagenforscherin in der Abteilung Sozialpolitik der Arbeiterkammer. Die Politologin hat an der Studie „Betriebliche Mitbestimmung in Österreich 2022“ mitgearbeitet, die die Arbeiterkammer (AK) und der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) beauftragt haben. Wie sieht Filipič die Situation von Frauen in Betriebsräten? „Schaut man sich die Verteilung der Betriebsratsmitglieder an, sieht man ein Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern, das bei Betriebsratsvorsitzenden sogar noch größer ist. Das ist ein enormes Gefälle gegenüber dem Befund, dass 85 Prozent der befragten Frauen die betriebliche Mitbestimmung in der Arbeit für gut und wichtig halten. Gleichzeitig haben nur 51 Prozent von ihnen in ihrem Unternehmen einen Betriebsrat.“

Frauen im Betriebsrat: Gerechtigkeit als Antrieb

Eine Frau, die viele Jahre im Betriebsrat tätig war, ist Elfriede Schober. Heute ist sie Bundesfrauenvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende der Produktionsgewerkschaft PRO-GE. Ihre Reise in den Betriebsrat begann in Oberösterreich „Ich habe fast 33 Jahre bei der Firma Miba in Vorchdorf gearbeitet. Miba ist eine Firma im Bereich der Fahrzeugindustrie und damit ein typischer Männerbetrieb“, erzählt Schober. 1992 wurde sie gefragt, ob sie sich vorstellen könne, Betriebsrätin zu werden. Ihre Antwort? Ja! „Das hängt wohl damit zusammen, dass mein persönlicher Antrieb die Gerechtigkeit ist. Wenn ich Ungerechtigkeit sehe, dann muss ich etwas tun.“ Es folgten Aus- und Weiterbildungen im gewerkschaftlichen Bereich, die Absolvierung der Gewerkschaftsschule und der Zukunftsakademie in Oberösterreich. „Dadurch bin ich immer tiefer in die Materie eingetaucht und habe gemerkt: Das passt gut für mich.“ 1998 wurde Schober die Stellvertreterin des damaligen Betriebsratsvorsitzenden und 2014 – nach dessen Pensionierung – schließlich die Vorsitzende des Betriebsrats.

Politologin Ursula Filipič im Interview über Frauen im Betriebsrat.
Zwei Drittel aller Betriebsrätinnen engagieren sich, weil sie vom Betriebsrat gefragt worden sind. Für die Politologin Ursula Filipič ist das ein Ansatz, um den Frauenanteil im Betriebsrat zu erhöhen. | © Markus Zahradnik

In die Frauenarbeit sei sie erst mit der Zeit hineingewachsen. „Ich habe im Laufe meiner Tätigkeit schon gemerkt, dass an vielen Ecken und Enden Handlungsbedarf ist. Es gibt für Frauen nach wie vor die Doppelbelastung mit Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die aufgrund von traditionellen Rollenbildern entsteht“, betont Schober. Um im Betrieb und vor allem von der Managementebene wahrgenommen zu werden, müssen Frauen großen Einsatz zeigen: „Als Frau muss man nicht 100, sondern 150 Prozent leisten, damit man auf gleicher Ebene gesehen und ernst genommen wird. Fehler dürfen wir uns keine erlauben. Erst als diese Hürde überwunden war, gab es keine Unterschiede mehr.“

Bekannte Ursachen – neue Lösungsansätze

Obwohl die betriebliche Mitbestimmung von Frauen befürwortet wird, können sich nur vier Prozent der arbeitenden Frauen vorstellen, „ganz sicher“ Betriebsrätin zu werden. 51 Prozent hingegen schließen eine Kandidatur aus. Die Gründe sind vielfältig: „Es gibt gesellschaftliche, betriebliche und individuelle Ursachen“, so Filipič. „Wenn wir uns die gesellschaftlichen Strukturen ansehen, dann ist es einfach so, dass Frauen nach wie vor in vielfacher Hinsicht benachteiligt sind.“ Beim Einkommen beispielsweise oder der ungleichen Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Daraus resultieren Mehrfachbelastungen, denen Frauen in deutlich höherem Ausmaß ausgesetzt sind.

Grafik zu Frauenanteil in Betriebsräten in Österreich.

„Das hindert Frauen oft daran, sich im Betriebsrat einzubringen.“ Um die Care-Arbeit zu bewältigen, arbeiten Frauen oft in Teilzeit. Als Teilzeitbeschäftigte sei es aber fast unmöglich, eine Betriebsratsarbeit auszuüben. Das zeigen die Befunde sehr deutlich. „Es verwundert daher nicht, dass in der Studie die zeitliche Überbelastung von Frauen als zentrales Hemmnis für eine Mitarbeit im Betriebsrat genannt wurde, an zweiter Stelle stand die hohe psychische Belastung“, sagt Filipič.

Dafür gibt es Schober zufolge zwar Lösungen, jedoch müssen sich Betriebsräte aktiv damit auseinandersetzen. Auf die Frage, welche Bedingungen es geben muss, damit sich die Situation stark verbessert, antwortet sie klar: „Die Grundvoraussetzung ist, dass frau Vollzeit arbeiten und sich darüber hinaus noch engagieren kann.“ Es stehe und falle mit der Kinderbetreuung und der Bewertung und Aufteilung von Care-Arbeit. Diese müsse als genauso wertvoll angesehen werden wie die Erwerbsarbeit. „Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, die Arbeitszeit zu verkürzen“, so Schober. Dadurch hätten es auch Männer einfacher, sich ebenso um Kinder und Haushalt zu kümmern.

Kind und Kurs? 

Der Veränderungshorizont? Das Ganze gehe nicht von heute auf morgen. Es gibt aber durchaus Ansatzpunkte, um Frauen die mögliche Arbeit im Betriebsrat zu erleichtern. „Es können entweder Kurse zu familienfreundlicheren Zeiten angeboten werden, oder man macht es den Frauen möglich, ihr Kind zum Kurs mitzunehmen. Auch die Sitzungszeiten können dahingehend angepasst werden“, schildert Schober. Ein Faktor, der Frauen wesentlich darin bestärkt, sich im Betriebsrat zu engagieren: Zwei Drittel der Betriebsrätinnen haben angegeben, dass sie sich engagieren, weil sie vom Betriebsrat gefragt worden sind.

Wichtig ist es auch, die betriebsrätliche Arbeit positiv aufzusetzen. Elfriede Schober weiß aus persönlicher Erfahrung: „Es macht einen riesigen Spaß mit Menschen zu arbeiten. Ich habe große Wertschätzung von meinen Kolleg:innen erfahren. Und jeder Kurs, den man zur Aus- und Weiterbildung macht, ist eine Persönlichkeitsentwicklung. Wir versuchen in der PRO-GE, Frauen zu motivieren, sich zu engagieren und ihr extremes Wissen und ihr Einfühlungsvermögen für die Beschäftigten einzubringen.“

Elfriede Schober war viele Jahre Betriebsratsvorsitzende bei Miba im Bereich der Fahrzeugindustrie – eine Männerdomäne. Als Frau musste sie 150 Prozent leisten, um wahrgenommen zu werden. | © Markus Zahradnik

Frauen im Betriebsrat: Es geht um Demokratie!

Angenommen der Frauenanteil in Betriebsräten läge bei 50 Prozent. Wie würde sich das auf die Betriebe auswirken? „Wir hätten mehr Sichtweisen und unterschiedliche Herangehensweisen, wenn beide Geschlechter gleichermaßen abgebildet würden. Frauen und Männer denken in vielen Dingen anders. Im Endeffekt würde das auch dem ganzen Unternehmen helfen“, sagt Schober. Dem stimmt auch die Politologin Ursula Filipič zu. „Wenn mehr Frauen in Betriebsräten vertreten sind, dann profitieren alle davon – nicht nur die Frauen. Denn im Wesentlichen wird die Gesellschaft dadurch besser repräsentiert.“ Wenn sich Mitarbeiterinnen mit ihren Anliegen gleichermaßen abgeholt fühlen, steigt ihre Zufriedenheit und Arbeitsmotivation.

Die Wichtigkeit betrieblicher Mitbestimmung hat aber noch einen anderen wesentlichen Aspekt, der häufig außer Acht gelassen wird. „Ich glaube, dass wir uns oft nicht bewusst sind, welch wichtiger demokratiepolitischer Faktor die betriebliche Mitbestimmung ist“, so Filipič. Mitbestimmung im Betrieb biete eine Plattform, in der Arbeitende sich einbringen und mitwirken können. „Viele Menschen kommen erst in Betrieben mit der Mitbestimmung in Kontakt. In unseren Schul- und Bildungssystemen ist das ein vernachlässigtes Thema.“ Dabei werde diese demokratiepolitische Funktion in Zukunft – vor dem Hintergrund, dass demokratische Strukturen zum Teil erodieren oder zumindest gefährdet sind – besonders relevant. Mehr zur Arbeit in Betriebsräten gibt es in der aktuellen Ausgabe der Arbeit&Wirtschaft „Komm, mach mit!„.

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Über den/die Autor:in

Nadja Riahi

Nadja Riahi arbeitet als freie Journalistin und Moderatorin in Wien. Sie schreibt über gesellschaftspolitische Fragestellungen der Gegenwart und Zukunft, soziale Ungerechtigkeiten und die Arbeitswelt.

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