Inflation: Nur Lohnerhöhungen helfen
Unter dem interessant gewählten Motto „Arbeit-Sicherheit-Wohlstand“ legten die Arbeitgeber:innen der Metallindustrie ihr Angebot vor. Es sollte sich am durchschnittlichen Wachstum der Industrie orientieren, so der Verband. In Zahlen hätte das eine Lohn- und Gehaltserhöhung um 2,5 Prozent bedeutet und eine steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung von 1.050 Euro.
Das Angebot bedeutet aus Sicht der Arbeitgeber:innen damit einen Netto-Kaufkraftzuwachs von durchschnittlich sieben Prozent für die Beschäftigten der Branche. Untere Beschäftigungsgruppen würden sogar bis zu neun Prozent mehr Netto erhalten. Diese Sicht hat der FMTI allerdings exklusiv. Denn der Rechentrick ist, dass steuerliche Erleichterungen (kalte Progression) eingerechnet werden. Zusätzlich wurde die Möglichkeit angeboten, Lohn- und Gehaltserhöhungen auch in Form von Freizeit zu konsumieren. Was sich aus Sicht der Industrie schön anhört, ist ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten. Ein Faktencheck zeigt, warum.
Wohlstand mit 2,5 Prozent mehr?
Für einen Euro im Jahr 2023 bekommt man weniger als im Jahr 2022. Um die durchschnittliche Inflation zu berechnen, gibt es einen Warenkorb. Darin enthalten sind beispielsweise Energie- und Treibstoffkosten. Ein Unternehmen muss dann beispielsweise mehr für den Strom zahlen, dieses Mehr ist im Verkaufspreis enthalten. Damit die Menschen die Produkte weiter kaufen können, brauchen sie mehr Geld. Die Gewerkschaft verhandelt anhand der sogenannten rollierenden Inflation, dem Durchschnitt der letzten zwölf Monate. Dieser beträgt 9,6 Prozent.
Laut Isabel Schnabel, Direktorin der Europäischen Zentralbank, treiben die seit vielen Monaten anhaltenden Profite der Unternehmen die Inflation stärker an als in der Vergangenheit. Auch Helene Schuberth, Chefökonomin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), erläutert im Interview mit Arbeit&Wirtschaft, wie Unternehmen von der aktuellen Krise profitieren. Provokanter ausgedrückt: Viele Unternehmen im Euroraum haben vom jüngsten Inflationsanstieg profitiert. Ärmere Haushalte leiden nicht nur unter der historisch hohen Inflation, die ihr Realeinkommen schmälert. Sie profitieren auch nicht von höheren Gewinnen durch Aktienbesitz oder andere Arten der Beteiligung. Die Produkte werden teurer, also müssen die Löhne nachziehen, betonte jüngst auch ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. „Die Lohn- und Gehaltsforderungen der Gewerkschaften folgen den Preisen und nicht umgekehrt. Um das zu verstehen, muss man kein Intellektueller sein.“
Die Abschaffung der Kalten Progression zahlt man sich selbst
Wer mehr verdient, bezahlt auch mehr Lohnsteuer. So ist durch das Leistungsprinzip sichergestellt, dass, wer mehr verdient, auch mehr zum Allgemeinwohl beiträgt. Aber Arbeitnehmehmer:innen rücken durch kollektivvertragliche Erhöhungen manchmal in höhere Steuerklassen, obwohl sie sich real nicht mehr von ihrem Lohn leisten können. Denn die Werte für die Berechnung der Steuerklassen werden nicht an die Teuerung angepasst. Das kann dazu führen, dass man sich in Summe trotz höheren Einkommens weniger leisten kann. Diese Mehrbelastung nennt man „kalte Progression“.
Die Regierung hat die Kalte Progression jüngst abgeschafft. Genauer gesagt sie so korrigiert, dass die Steuerklassen auch vorrücken. Aber die Berücksichtigung der Abschaffung der Kalten Progression im Rahmen der Lohn- und Gehaltsverhandlungen kommen für die Gewerkschaften PRO-GE und GPA nicht infrage. Denn diese politischen Maßnahmen werden ohnehin im hohen Maß durch Steuern auf Arbeit und Konsum finanziert. Und somit von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern selbst.
Inflation: Einmalzahlungen sind keine Lohnerhöhung
Die gebotene Einmalzahlung klingt auf den ersten Blick nach viel, ist aber laut der Verhandler:innen der Gewerkschaft „nicht nachhaltig und verpufft rasch“. Der ÖGB hat den Effekt von Einmalzahlungen schon durchgerechnet. Die Wirtschaftsexpert:innen haben kalkuliert, dass bei einem Verzicht um wenige Prozentpunkte bei der Lohn- und Gehaltsverhandlung schon tausende Euro an Lebensverdienst verloren gehen.
Ein Beispiel: So hört sich zum Beispiel für eine Arbeitnehmerin mit einem Bruttoeinkommen von 3.000 Euro pro Monat eine Einmalzahlung von 3.000 Euro möglicherweise viel besser an als eine Lohnerhöhung in Höhe der rollierenden Inflation der letzten Monate. Wenn die Löhne im langjährigen Schnitt jedes Jahr um drei Prozent steigen, im Jahr 2024 aber stattdessen eine Einmalzahlung von 3.000 Euro erfolgt, würde die Arbeitnehmerin über zwanzig Jahre gerechnet rund 66.000 Euro brutto weniger verdienen.
Gemeinsam mit der PRO-GE haben wir heute wieder über den #Metaller-KV verhandelt und +11,6% gefordert. Die AG haben 2,5 % angeboten, bei einer relevanten Inflation v 9,6 %
Von 12. bis 16.10. gibt es jetzt Betriebsrätekonferenzen. ▶️ https://t.co/GgZhxUIxUl pic.twitter.com/6oenYrtx97— Gewerkschaft GPA (@GewerkschaftGPA) October 9, 2023
Wie gehen die KV-Verhandlungen weiter?
Das Angebot mit 2,5 Prozent mehr, einer Einmalzahlung und einem steuerlichen Rechentrick müssen die Gewerkschaften ablehnen. Die derzeitige wirtschaftliche Situation kommt nicht überraschend. Insofern hatten die Beschäftigten erwartet, dass sich die Seite der Arbeitgeber:innen besser auf die Lohnverhandlungen vorbereitet hätte. Die Faustregel ist, dass die Löhne parallel mit der Inflation steigen und die erhöhte Produktivität berücksichtigt wird. Sinn der Herbstlohnrunde ist es nicht, diverse Regierungsmaßnahmen gegenzurechnen, die sich die Beschäftigten ohnehin selbst zahlen.
„Wir werden ab sofort gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen vorbereiten, sollte es auch bei der dritten Verhandlungsrunde mit dem FMTI am 20. Oktober keine Fortschritte geben, wird der Herbst noch sehr heiß“, sagen die beiden Chefverhandler abschließend. Eine mehr als berechtige Ansage. Auch im Sozialbereich haben die Verhandlungen schon begonnen und die Gewerkschaften pochen auf einen fairen Lohn. Ob die Arbeitgeber:innenseite mitzieht, ist trotz bekundetem Verständnis für die Situation noch offen. Alle News zur Herbstlohnrunde 2023 gibt es hier im Überblick.