Faktencheck: Inflationsmaßnahmen ersetzen Lohnerhöhungen nicht

Eine Angestellte der Metallindustrie steht in einer Werkstatt. Symbolbild für Lohnerhöhungen in der Inflation während der Herbstlohnrunde.
Die Herbstlohnrunde bringt den Metaller:innen einen fairen Lohnabschluss. | © Adobestock/Gorodenkoff
Die Arbeitgeber:innen haben ein extrem niedriges Angebot an die Beschäftigten im Metallgewerbe abgegeben. Sie verlassen sich darauf, dass das Maßnahmenpaket der Regierung zur Teuerung den Reallohnverlust auffängt. Ein Faktencheck.
Die zweite Runde der Kollektivvertragsverhandlungen endeten am Montag, 9. Oktober 2023, nach rund fünf Stunden mit einer ergebnislosen Unterbrechung. Grund war das viel zu niedrige Angebot der Arbeitgeberseite des Fachverbands der Metalltechnischen Industrie (FMTI). Die Gewerkschaftsforderung ist ein Plus von 11,6 Prozent. Denn es geht darum, in Zeiten hoher Inflation mit einer Lohnerhöhung die Kaufkraft zu erhalten. Die Arbeitgeber:innen boten jedoch lediglich 2,5 Prozent. „Die Arbeitgeberseite will sich tatsächlich aus der Verantwortung stehlen, denn das Angebot des FMTI mit 2,5 Prozent ist deutlich unter der relevanten Inflationsrate von 9,6 Prozent. Auch die zusätzlich angebotene Einmalzahlung in Höhe von 1.050 Euro kann den massiven Reallohnverlust niemals ausgleichen. Das ist respektlos gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich seit dem Abschluss im Vorjahr um fast zehn Prozent weniger leisten können und daher faire und dauerhafte Lohn- und Gehaltserhöhungen dringend brauchen“, zeigen sich die beiden Chefverhandler der Arbeitnehmer:innenseite, Reinhold Binder (PRO-GE) und Karl Dürtscher (GPA), sichtlich verärgert. Bei den KV-Verhandlungen im Handel läuft es ähnlich ab.

Inflation: Nur Lohnerhöhungen helfen

Unter dem interessant gewählten Motto „Arbeit-Sicherheit-Wohlstand“ legten die Arbeitgeber:innen der Metallindustrie ihr Angebot vor. Es sollte sich am durchschnittlichen Wachstum der Industrie orientieren, so der Verband. In Zahlen hätte das eine Lohn- und Gehaltserhöhung um 2,5 Prozent bedeutet und eine steuer- und abgabenfreie Einmalzahlung von 1.050 Euro.

Portrait Karl Dürtscher GPA. Chefverhandler in der Herbstlohnrunde für die Metaller. Inflation Lohnerhöhung.
Karl Dürtscher ist einer der Chefverhandler. Das erste Angebot des FMTI dürfte er als Frechheit wahrgenommen haben. | © markus Zahradnik

Das Angebot bedeutet aus Sicht der Arbeitgeber:innen damit einen Netto-Kaufkraftzuwachs von durchschnittlich sieben Prozent für die Beschäftigten der Branche. Untere Beschäftigungsgruppen würden sogar bis zu neun Prozent mehr Netto erhalten. Diese Sicht hat der FMTI allerdings exklusiv. Denn der Rechentrick ist, dass steuerliche Erleichterungen (kalte Progression) eingerechnet werden. Zusätzlich wurde die Möglichkeit angeboten, Lohn- und Gehaltserhöhungen auch in Form von Freizeit zu konsumieren. Was sich aus Sicht der Industrie schön anhört, ist ein Schlag ins Gesicht der Beschäftigten. Ein Faktencheck zeigt, warum.

Wohlstand mit 2,5 Prozent mehr?

Für einen Euro im Jahr 2023 bekommt man weniger als im Jahr 2022. Um die durchschnittliche Inflation zu berechnen, gibt es einen Warenkorb. Darin enthalten sind beispielsweise Energie- und Treibstoffkosten. Ein Unternehmen muss dann beispielsweise mehr für den Strom zahlen, dieses Mehr ist im Verkaufspreis enthalten. Damit die Menschen die Produkte weiter kaufen können, brauchen sie mehr Geld. Die Gewerkschaft verhandelt anhand der sogenannten rollierenden Inflation, dem Durchschnitt der letzten zwölf Monate. Dieser beträgt 9,6 Prozent.

Laut Isabel Schnabel, Direktorin der Europäischen Zentralbank, treiben die seit vielen Monaten anhaltenden Profite der Unternehmen die Inflation stärker an als in der Vergangenheit. Auch Helene Schuberth, Chefökonomin des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), erläutert im Interview mit Arbeit&Wirtschaft, wie Unternehmen von der aktuellen Krise profitieren. Provokanter ausgedrückt: Viele Unternehmen im Euroraum haben vom jüngsten Inflationsanstieg profitiert. Ärmere Haushalte leiden nicht nur unter der historisch hohen Inflation, die ihr Realeinkommen schmälert. Sie profitieren auch nicht von höheren Gewinnen durch Aktienbesitz oder andere Arten der Beteiligung. Die Produkte werden teurer, also müssen die Löhne nachziehen, betonte jüngst auch ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. „Die Lohn- und Gehaltsforderungen der Gewerkschaften folgen den Preisen und nicht umgekehrt. Um das zu verstehen, muss man kein Intellektueller sein.“

Die Abschaffung der Kalten Progression zahlt man sich selbst

Wer mehr verdient, bezahlt auch mehr Lohnsteuer. So ist durch das Leistungsprinzip sichergestellt, dass, wer mehr verdient, auch mehr zum Allgemeinwohl beiträgt. Aber Arbeitnehmehmer:innen rücken durch kollektivvertragliche Erhöhungen manchmal in höhere Steuerklassen, obwohl sie sich real nicht mehr von ihrem Lohn leisten können. Denn die Werte für die Berechnung der Steuerklassen werden nicht an die Teuerung angepasst. Das kann dazu führen, dass man sich in Summe trotz höheren Einkommens weniger leisten kann. Diese Mehrbelastung nennt man „kalte Progression“.

Die Regierung hat die Kalte Progression jüngst abgeschafft. Genauer gesagt sie so korrigiert, dass die Steuerklassen auch vorrücken. Aber die Berücksichtigung der Abschaffung der Kalten Progression im Rahmen der Lohn- und Gehaltsverhandlungen kommen für die Gewerkschaften PRO-GE und GPA nicht infrage. Denn diese politischen Maßnahmen werden ohnehin im hohen Maß durch Steuern auf Arbeit und Konsum finanziert. Und somit von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern selbst.

Inflation: Einmalzahlungen sind keine Lohnerhöhung

Die gebotene Einmalzahlung klingt auf den ersten Blick nach viel, ist aber laut der Verhandler:innen der Gewerkschaft „nicht nachhaltig und verpufft rasch“. Der ÖGB hat den Effekt von Einmalzahlungen schon durchgerechnet. Die Wirtschaftsexpert:innen haben kalkuliert, dass bei einem Verzicht um wenige Prozentpunkte bei der Lohn- und Gehaltsverhandlung schon tausende Euro an Lebensverdienst verloren gehen.

Ein Beispiel: So hört sich zum Beispiel für eine Arbeitnehmerin mit einem Bruttoeinkommen von 3.000 Euro pro Monat eine Einmalzahlung von 3.000 Euro möglicherweise viel besser an als eine Lohnerhöhung in Höhe der rollierenden Inflation der letzten Monate. Wenn die Löhne im langjährigen Schnitt jedes Jahr um drei Prozent steigen, im Jahr 2024 aber stattdessen eine Einmalzahlung von 3.000 Euro erfolgt, würde die Arbeitnehmerin über zwanzig Jahre gerechnet rund 66.000 Euro brutto weniger verdienen.

Wie gehen die KV-Verhandlungen weiter?

Das Angebot mit 2,5 Prozent mehr, einer Einmalzahlung und einem steuerlichen Rechentrick müssen die Gewerkschaften ablehnen. Die derzeitige wirtschaftliche Situation kommt nicht überraschend. Insofern hatten die Beschäftigten erwartet, dass sich die Seite der Arbeitgeber:innen besser auf die Lohnverhandlungen vorbereitet hätte. Die Faustregel ist, dass die Löhne parallel mit der Inflation steigen und die erhöhte Produktivität berücksichtigt wird. Sinn der Herbstlohnrunde ist es nicht, diverse Regierungsmaßnahmen gegenzurechnen, die sich die Beschäftigten ohnehin selbst zahlen.

„Wir werden ab sofort gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen vorbereiten, sollte es auch bei der dritten Verhandlungsrunde mit dem FMTI am 20. Oktober keine Fortschritte geben, wird der Herbst noch sehr heiß“, sagen die beiden Chefverhandler abschließend. Eine mehr als berechtige Ansage. Auch im Sozialbereich haben die Verhandlungen schon begonnen und die Gewerkschaften pochen auf einen fairen Lohn. Ob die Arbeitgeber:innenseite mitzieht, ist trotz bekundetem Verständnis für die Situation noch offen. Alle News zur Herbstlohnrunde 2023 gibt es hier im Überblick.

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