Ein Schritt in die Richtung, mehr aber auch nicht
Das ist wichtig, denn die Zahlen sind eindeutig: Die Beschäftigungsquote bei Frauen liegt laut EU über zehn Prozent unter der der Männer; nicht einmal zehn Prozent der Männer arbeiten Teilzeit, bei Frauen sind es über 30 Prozent. Nur knapp die Hälfte der Frauen arbeiten Vollzeit, bei den Männern sind es über 70 Prozent. Fast 20 Prozent der nicht erwerbstätigen Frauen üben Betreuungs- und Pflegepflichten aus – bei den Männern sind es nicht einmal zwei Prozent.
Im Juni dieses Jahres brachten Abgeordnete von ÖVP und Grüne deshalb einen Antrag zur Gesetzesänderung ein, um die „Work-Life-Balance“-Richtlinie umzusetzen, am 21.09. wurde das Gesetz zusammen mit den Neos beschlossen. AK-Expertin Melanie Kocsan-Göschl erklärt im Interview mit Arbeit & Wirtschaft: „Es geht primär eben um Eltern und pflegende Angehörige.“ Es gebe Verbesserungen, etwa, dass pflegende Angehörige freigestellt werden können, wenn sie nicht im selben Haushalt wohnen oder ein Motivkündigungsschutz bei Pflegefreistellung. Zudem wurde das Diskriminierungsverbot ausgeweitet. Nun ist jegliche Diskriminierung in Zusammenhang mit Elternschaft und Pflege verboten und ein Tatbestand im Gleichbehandlungsgesetz – unabhängig vom Geschlecht. Einige Schritte in die richtige Richtung also, mehr aber nicht.
Das Minimum an Work-Life-Balance
So ist das nationale Gesetz aus AK-Sicht nicht sonderlich gut gelungen, da „lediglich die Mindestvorschriften umgesetzt wurden. Österreich ist zwar mit dem Rechtsanspruch auf den Papamonat bereits um einiges weiter als andere Mitgliedsstaaten und das zu beziehende Geld wird seit diesem Jahr nach langem Fordern vonseiten der AK nicht mehr vom Kinderbetreuungsgeld abgezogen, aber das große Ziel der Richtlinie, die vermehrte Väterbeteiligung, erreicht die Regierung keineswegs.“
„Aus unserem Wiedereinstiegsmonitoring wissen wir, dass die Väterbeteiligung sehr gering ist und sie sinkt. Gerade einmal zwei Prozent der Väter gehen mehr als zwei Monate in Karenz. Hier hätte man viel mehr machen können.“ Kritisch sei auch die Reduktion der Karenz. Statt 24 Monaten gibt es nun nur noch einen Anspruch auf 22 Monate, außer der Partner geht auch in Karenz. Im Lichte von vor allem in ländlichen Bereichen schlecht ausgebauter Kinderbetreuung heißt das also: Wenn der Vater nicht in Karenz geht, entsteht eine Lücke in der Kinderbetreuung. Nicht umsonst fordert die AK seit langem einen Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem 1. Geburtstag.
Versteckte Verschlechterung
Doch das ist längst nicht alles. Genauso schwer wiegt die Kritik an der Elternteilzeitregelung. Auf den ersten Blick gibt es mehr Flexibilität bis zum achten Lebensjahr, da die mögliche Dauer der Elternteilzeit auf das achte Lebensjahr angehoben werden soll. Die Elternteilzeit selbst ist dennoch nur höchstens 7 Jahre möglich, wobei Beschäftigungsverbot und Karenz abgezogen werden. „Rechnet man sich das durch, hat sich der Handlungsspielraum nicht nur keinesfalls erweitert, sondern es ist sogar eine Verschlechterung: Bis jetzt gibt es nach drei Jahren im Unternehmen einen Anspruch auf Elternteilzeit, wenn es über 20 Beschäftigte gibt. Dieser geht derzeit bis zum siebten Geburtstag des Kindes oder einem späteren Schuleintritt. Sowohl der siebte Geburtstag, also auch der spätere Schuleintritt, sollen nun wegfallen und durch die beschriebene komplexe Regelung abgelöst werden.“
Wird das Kind später eingeschult, gibt es keinen Anspruch mehr auf Elternteilzeit. „Es wäre kein Problem gewesen, im Gesetz einen Rechtsanspruch auf Elternteilzeit bis zum achten Geburtstag reinzuschreiben“, meint Kocsan-Göschl, „das hat man einfach nicht gemacht, sondern diese total komplizierte Regelung erfunden. Jetzt müssen Eltern herumrechnen, in der Praxis wird das eine Katastrophe – und nebenbei nicht das, was die Richtlinie eigentlich sagt.“ Um wirklich etwas am Geschlechterverhältnis zu ändern, brauche es viel mehr einen finanziellen Anreiz. Etwa durch eine Erhöhung des Partnerschaftsbonus, den die Eltern erhalten, wenn sie sich das Kinderbetreuungsgeld annähernd gleich aufteilen. Das Wiedereinstiegsmonitoring zeigt, dass bei einer Erhöhung des finanziellen Anreizes mehr Väter in Karenz gehen.
Ist die Work-Life-Balance-Richtlinie ein „Fingerzeig?“
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Framing als „Work-Life-Balance“-Richtlinie irreführend ist, weil sie sich nur an Eltern und Pflegende richtet. AK und Gewerkschaften fordern schon lange eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Wer heutzutage (zumeist unfreiwillig) Teilzeit arbeitet, der schaut finanziell nicht zuletzt vor dem Hintergrund der anhaltenden Teuerungswelle durch die Finger. Es ist auch kein Lifestyle, wie so oft von Unternehmerseite vermittelt wird, sondern faktisch vielfach ein Muss, das unmittelbar auf das unzureichende Kinderbetreuungs- oder Pflegeangebot einerseits und die in Österreich auffallend schlecht verteilte Arbeitszeit andererseits zurückzuführen ist. Viele Stellen, etwa im Handel, sind gar nicht Vollzeit verfügbar. Dass die EU aber bereits 2017 eine Richtlinie auf den Weg brachte, um die Arbeitswelt gerechter zu machen, ist da mehr als nur ein Fingerzeig.
Gerade einmal zwei Prozent der Väter
gehen mehr als zwei Monate in Karenz.
Hier hätte man viel mehr machen können.
Melanie Kocsan-Göschl, AK-Expertin
Dem stimmt die Expertin zu. „Das kann man schon sagen, und gerade bei der jüngeren Generation wissen wir aus Studien, dass die gegenwärtige Vollzeitarbeit im Sinne der seit 1975 nicht mehr angetasteten gesetzlichen Vollzeitdefinition gar nicht mehr erwünscht ist.“ Die Richtlinie ist also keine Arbeitszeitverkürzung per se, aber die Stoßrichtung passt. Man erkennt an, dass eine gewisse Gruppe – in dem Fall Eltern und pflegende Angehörige – mehr zeitliche Ressourcen brauchen.
Wirtschaft und Beschäftigte weiter
Die Anzahl der Teilzeitbeschäftigten steigt seit knapp 30 Jahren an, von insgesamt unter 15 Prozent auf über 30, bei Frauen mehr als bei Männern. Parallel dazu liegt Österreich auf Platz 3 und damit im europäischen Spitzenfeld, was die tatsächliche Arbeitszeit von Vollzeitkräften betrifft. Fazit: Arbeitszeit ist in Österreich ausgesprochen ungleich verteilt. AK-Befragungen ergeben, dass die Wunscharbeitszeit über alle Altersgruppen hinweg bei 30 bis 35 Stunden liegt. On top kommt noch, dass sich die Produktivität seit den 1970er-Jahren verdoppelt hat. Gegenwärtige Teilzeitprobleme würden – wenn es dazu flankierende Maßnahmen wie mehr Kinderbetreuung gebe – mit einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich spürbar nivelliert werden.
Erneut wurde eine Chance vertan, um die partnerschaftliche Teilung der #Kindererziehung voranzutreiben, sagt #AK Präsidentin @renate_anderl. Denn 2 Monate #Karenz für Väter wird die #Väterbeteiligung nicht erhöhen. Zudem fehlt es an Plätzen für unter 2-Jährige. 1/3
— AK Österreich (@Arbeiterkammer) September 21, 2023
Wirtschaftsbetriebe sind da teilweise weiter und preschen im Werben um Fachkräfte vor. Das Recruiting-Unternehmen ePunkt etwa hat seit fast einem Jahr eine Viertage-Woche mit 34 Stunden bei vollem Lohn eingeführt, ähnliche Modelle gibt es immer wieder. Ein weiteres Beispiel: Infineon. Hier werden für Berufseinsteiger 24 von 83 Stellen als Voll- oder Teilzeit angeboten, auch für Führungskräfte. Sonja Smolak-Loidl etwa leitete ihre Abteilung Marketing Communications in Teilzeit.
Zusammenfassend kann attestiert werden: Es ist einiges in Bewegung hinsichtlich mehr Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit. Das muss auch der Gesetzgeber hierzulande anerkennen und nicht warten, bis Richtlinien kommen, die dann nur minimal umgesetzt werden. Mit einem etwas bitteren Lachen sagt Melanie Kocsan-Göschl abschließend: „Die in Österreich geltende Vollzeitnorm stammt aus dem Jahr 1975. Bei der gestiegenen Produktivität müssen wir diese Vollzeit neu denken. Damit Work-Life-Balance für alle möglich wird, braucht es endlich eine kürzere, gesunde Vollarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich.“
Einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen könnte die Herbstlohnrunde 2023 liefern. Die Gewerkschaften vida und GPA haben ihre Forderungen im Sozialbereich übergeben.