Kinderbetreuung in Österreich
In Sachen Kinderbetreuung hat Österreich Nachholbedarf. Gerade einmal 17,6 Prozent der Kinder unter drei Jahren haben in Österreich einen Betreuungsplatz, der sich mit einer Vollzeitstelle vereinbaren ließe. Wobei die Zahlen der Statistik Austria je nach Bundesland variieren. In Oberösterreich sind es gerade einmal fünf Prozent, in Wien immerhin 37,5 Prozent. Überraschend ist dieses Ergebnis nicht. Österreich gibt gerade einmal 0,72 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für frühkindliche Bildung, so die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – das ist weniger als der OECD-Schnitt von 0,89 Prozent. Auf die Missstände wies das betroffene Personal Anfang 2023 lautstark hin.
Österreich hat sich im Jahr 2002 verpflichte, die sogenannten Barcelona-Ziele zu erfüllen. Eigentlich hätten bis zum Jahr 2010 dadurch ein Drittel der Kinder unter drei Jahren einen Betreuungsplatz haben sollen. Ganz uneigentlich scheiterte Österreich in diesem Sommer zum 13. Mal in Folge an der selbst festgelegten Hürde. Auch deswegen hat die EU-Kommission eine neue Zielvorgabe vorgelegt. Die Hälfte aller Kinder drei Jahren sollen bis zum Jahr 2030 einen Betreuungsplatz haben. Das Jahr dürfte Nehammer also nicht zufällig ausgesucht haben.
Probleme durch fehlende Kinderbetreuung
An die Kinder wird in der Debatte meist erst im zweiten Schritt gedacht. Doch sie sind es, die unter einem fehlenden Betreuungsangebot am meisten leiden. Mit langfristigen Folgen – auch für den Staat. Denn die frühkindliche Bildung ist vor allem bei der Sprachförderung entscheidend. Für Kinder mit Migrationshintergrund ist das in der Schule – in der Bildung vererbt wird – ein entscheidender Schlüssel zum Erfolg. Wird das verpasst, kann es teuer werden. Denn James Heckman, Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger, hat erkannt, dass sich ungleiche Chancen aufgrund unterschiedlicher finanzieller Voraussetzungen im Laufe eines Schullebens verstärken. Je früher in Bildung investiert werde, desto effizienter könne diese Lücke geschlossen werden. Je später damit begonnen wird, desto teurer wird es – der entsprechende Graph nennt sich „Heckman-Kurve“.
In der aktuellen Debatte geht es aber in erster Linie darum, es Müttern zu ermöglichen, (länger) arbeiten zu gehen. Denn auch das ist mit fehlender Kinderbetreuung nicht möglich. „In Österreich arbeiten Frauen im europäischen Vergleich deutlich häufiger wegen Betreuungspflichten in Teilzeit. Die Quote der unter 3-Jährigen-Betreuung ist sehr niedrig (Rang 18) und der Gender Pay Gap ist mit fast 19 Prozent der zweithöchste in der EU. Das können wir so nicht länger hinnehmen“, sagt AK-Präsidentin Renate Anderl. Dass die Teilzeitarbeit nicht freiwillig ist, belegen auch Zahlen von Statistik Austria. Im ersten Quartal 2023 gingen 50,7 Prozent der arbeitenden Frauen einer Teilzeitbeschäftigung nach (im EU-Durchschnitt sind es nur 27 Prozent). Aber 80.900 Frauen sagten, dass sie gerne länger arbeiten wollen würden. Unbezahlte Care-Arbeit – mit all den Folgeerscheinungen – ist in Österreich immer noch Frauensache.
4,5 Milliarden bis zum Jahr 2030
Tatsächlich dürfte es also die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften sein, die Nehammer gerade an einer Betreuungsoffensive feilen lässt. Selbst die Agenda Austria vermeldet: „Kinder sind in den meisten Fällen der Grund, warum Frauen beruflich kürzertreten.“ Und der Handelsverband kommentiert Nehammers Ankündigung so: „Damit kommt die Bundesregierung einer langjährigen Kernforderung des Handelsverbandes nach, der mit dem Bundeskanzler, zahlreichen Minister:innen und Landeshauptleuten persönliche Gespräche dazu geführt hat.“ Tatsächlich geht der Handelsverband sogar noch weiter und fordert einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr.
Das ist auch eine Kernforderung von Korinna Schumann, ÖGB-Vizepräsidentin und -Bundesfrauenvorsitzende. Sie steht dem Versprechen von Nehammer allerdings skeptisch gegenüber. Schließlich ist noch unklar, wie die angekündigten 4,5 Milliarden überhaupt ausgezahlt werden. Schließlich sei es der ehemalige ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz gewesen, der eine bereits budgetierte Milliarde für die Elementarpädagogik einfach wieder zurückgenommen habe.
Nehammers Versprechen stößt auf Skepsis
Mit dieser Skepsis ist Schumann nicht allein. „Es fehlt mir der Glaube, dass das auch ernsthaft umgesetzt wird. Sebastian Kurz, der Nehammer in die Regierung geholt hat, wollte in Chats noch ‚ein Bundesland aufhetzen‘, damit nicht mehr Geld für Kinderbetreuung kommt.“ Auch die aktuelle Regierung habe sich in diesem Bereich nicht Ruhm bekleckert. Die letzte von Nehammer angekündigte ‚Kindergartenmilliarde‘ entpuppte sich als Mogelpackung von lediglich 55 Millionen Euro pro Jahr. Kinderbetreuung ist kein Thema für Marketingschmähs“, kommentiert Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA, die Pläne des Kanzlers.
Auch das Budget im vergangenen Jahr und die 15a-Vereinbarung im Jahr 2022 waren in dieser Hinsicht eher enttäuschend. Zumal die 4,5 Milliarden Euro zwar ein erster Schritt seien, mehr aber auch nicht. „Es braucht eine dauerhafte Finanzierung, die sich vor allem auf bessere Arbeitsbedingungen und Entlohnung für Pädagoginnen und Assistentinnen auswirken muss. Eine gute Kinderbetreuung und -bildung gibt es nur durch gutes Personal“, ergänzt Teiber.
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Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung
Eine Absage erteilte Nehammer den Forderungen nach einem Rechtsanspruch. Er führt eine fehlende Infrastruktur an, die Überforderung der Gemeinden und die Schaffung einer falschen Erwartungshaltung an. „Ein Rechtsanspruch ohne Möglichkeit bringt weder den Kindern noch den Müttern etwas“, erteilte er der Idee eine Absage.
Tatsächlich hat Nachbarland Deutschland einen entsprechenden Rechtsanspruch bereits seit dem Jahr 2013. Ab dem Jahr 2026 wird es außerdem einen Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung in der Grundschule geben. Beiden Gesetzen ging jedoch eine jahrelange Vorbereitung voraus. Auch Österreich hätte also genug Zeit, die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen.