Vernichtungsverbot: Kleider machen Klimakrise

Eine Frau liegt mit geschlossenen Augen auf einem Berg voller Kleidung, neben ihrem Gesicht liegt weitere Kleidung. Symbolbild für das Vernichtungsverbot von Neuware.
Die Kleiderschränke sind voll und trotzdem wird weiterproduziert. Neuware, die niemand kauft, landet dann auf der Müllhalde. | © Adobestock/Lucas Ottone/Stocksy
2.000 Liter Wasser für ein T-Shirt, und niemand trägt es: Das Vernichtungsverbot der Europäische Union (EU) will solchen Unsinnigkeiten an den Kragen. Neuware zu entsorgen, ist in Zeiten der Klimakrise längst untragbar.
Der Stoff, aus dem Österreichs Kleidung, ist … ungetragen. Rund 185 Millionen (beinahe) unbenutzte Kleidungsstücke aus Polyester, Baumwolle und Viskose hängen in unseren Schränken. Das ergab eine repräsentative Online-Befragung (Nachhaltiger) Modekonsum in Österreich: Hohes Bewusstsein, aber noch Lücken beim Handeln im Auftrag der Arbeiterkammer Wien und Greenpeace Österreich. Das Institut Integral befragte 1.506 Österreicher:innen zu ihrem Konsumverhalten beim Kleidungskauf. Was auffällt: Der eigene Schrank mag ordentlich gefüllt sein, doch von Unternehmen erwarten die Befragten mehr. 86 Prozent sprachen sich gegen die Vernichtung von Neuware durch Modeunternehmen aus. In der EU scheint dieser Wunsch auf Anklang gestoßen zu sein, im Mai einigten sich die 27 EU-Mitgliedsstaaten auf ein Vernichtungsverbot von unverkauften Textilien und Schuhen. Schluss mit dem durch Konsumgüter entstehenden Abfall, lautet das Motto des Beschlusses.

Vernichtungsverbot für einen klimaneutralen „Kontinent“

Der Vorschlag des Umweltausschusses im EU-Parlament geht aber über das Vernichtungsverbot von Kleidung hinaus. Auch Elektrogeräte sollen zukünftig energieeffizient, langlebig, reparierbar, wiederverwendbar und recyclebar sein. „Greenpeace fordert ein generelles Vernichtungsverbot für alle Konsumprodukte – die Erfassung von Kleidung und Elektrogeräte ist aber jedenfalls ein guter erster Schritt. Das Verbot war im Ministerrat umstritten und es ist deshalb ein großer Erfolg der Umweltorganisationen, dass sich die Befürworter:innen durchgesetzt haben“, sagt Lisa Panhuber, Campaignerin und Konsum-Expertin bei Greenpeace Österreich. Obwohl der Europäische Green Deal die Netto-Emissionen von Treibhausgasen in der EU bis zum Jahr 2050 auf null reduzieren soll, und die EU der erste klimaneutralen „Kontinent“ werden will, steigt gerade in der Modeindustrie die Produktion weiter an.

Kleidung ist teilweise so billig,
dass sie von den Menschen nur einmal getragen
und dann entsorgt wird. 

Nina Tröger, Konsumforscherin und Referentin in der Abteilung Konsument:innenpolitik

„Wir sind jetzt bereits mit einer Form von Fast Fashion konfrontiert, die es aufgrund von umwelt- und klimaschädlichen Konsequenzen so nicht mehr geben dürfte. Kleidung ist teilweise so billig, dass sie von den Menschen nur einmal getragen und dann entsorgt wird. Das darf so nicht sein“, sagt Nina Tröger, Konsumforscherin und Referentin in der Abteilung Konsument:innenpolitik der AK Wien. Das Vernichtungsgebot ist für die Arbeiterkammer ein wichtiger Schritt gegen die Ressourcenverschwendung. Allein die Produktion eines T-Shirts benötigt mindestens 2.000 Liter Wasser, für synthetische Kunstfasern braucht es jährlich über 100 Millionen Tonnen Öl. Bis 2050 soll diese Zahl weltweit auf 350 Millionen Tonnen steigen, rechnet die Ellen Macarthur Foundation, eine gemeinnützige Organisation zur Förderung der Kreislaufwirtschaft, vor. „Die Ökodesign-Verordnung sollte deshalb aus Sicht der AK sofort greifen und nicht erst nach einer gewissen Übergangsfrist“, bestätigt Tröger den raschen Handlungsbedarf.

Italien wehrt sich

Damit sind aber längst nicht alle einverstanden, kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) pochen auf die Übergangsfrist. Speziell italienische Unternehmen fordern sie ein, die Modeindustrie ist im südlichen Nachbarland von Österreich ein großer wirtschaftlicher Faktor. Rumänien, Bulgarien und Kroatien schlossen sich dieser Haltung an. „Kleine und mittlere Unternehmen sind zu Beginn ausgeschlossen – Mittlere Unternehmen sind nach vier Jahren betroffen“, sagt Panhuber. Das Problem? Vernichten bleibt Vernichten, für die Umwelt spielt die Unternehmensgröße keine Rolle. „Der Aufwand bei KMUs ist genauso vorhanden, wie bei größeren Unternehmen, daher gibt es keine Grundlage, sie davon auszunehmen“, meint Tröger.

Laut einer Schätzung von Greenpeace wurden in Österreich im Jahr 2021 4,6 Millionen Kilogramm ungenutzter Textilien vernichtet. Ware wird überproduziert, landet laufend in den Geschäften, bleibt dann aber oft in den Regalen liegen und wird nicht verkauft. „Das ist im Geschäftsmodell schon eingepreist, dass vieles davon nicht dort verkauft wird. Oft werden die Restposten ballenweise an Großhändler weiterverkauft und diese laden sie in Ländern im Globalen Süden ab“, erklärt Panhuber von Greenpeace. Statt die Ware zu vernichten, könnte man diese natürlich auch spenden. Das ist allerdings umsatzsteuerpflichtig. „Manche Konzerne argumentieren daher, dass es teuer ist zu spenden und ihnen ein ‚Verscherbeln‘ günstiger kommt“; so Panhuber.

Größe 38 ist nicht gleich Größe 38

Aber nicht nur die gewollte Überproduktion lässt die Müllberge anwachsen. Gerade im Onlinehandel sind Warenretouren gelebte Praxis, Unternehmen verlangen vielfach keine oder nur geringe Liefergebühren. „Kleidergrößen unterscheiden sich oft zwischen den Ketten und auch teilweise innerhalb des gleichen Textilunternehmens, Jeans der Größe 38 sind nicht immer gleich geschnitten. Das hängt mit den verschiedenen Produktionsstätten zusammen“, beschreibt Tröger die Situation. AK und Greenpeace fordern deshalb eine Standardisierung der Kleidergrößen, damit Größe 38 auch wirklich Größe 38 bedeutet. „Man darf nicht nur bei den Konsument:innen ansetzen, sondern die Überproduktion der Unternehmen ist das noch größere Problem“, sagt Tröger.

Auf EU-Ebene will man dennoch die Verantwortung auch auf die Konsument:innen ausweiten. Ein „digitaler Produktpass“ soll über die Umweltauswirkungen des Produkts informieren. Neben dem Produktpass soll außerdem ein Label für mehr Transparenz sorgen. Dieses ist am Produkt selbst angebracht, damit Konsument:innen sofort sehen, wie es um die Nachhaltigkeit des Produkts steht. „Aus Sicht der AK ist eine transparente und klar ersichtliche Information beim Kauf des Produkts wichtig und es braucht einen niederschwelligen Produktpass, der auch offline genutzt werden kann, denn nicht alle Menschen sind digital unterwegs“ so Tröger. Ob das reicht, ist fraglich. „Information ist gut und wichtig, aber der stärkere Hebel ist natürlich einen Fokus daraufzulegen, dass Produkte im Vorhinein reguliert werden. Es braucht Vorgaben, dass die Produkte, die auf dem Markt kommen, besonders lang haltbar und reparaturfähig sind“, meint Tröger.

Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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