Individuelle Arbeitszeit würde Wohlstand erhöhen

Eine Frau hält einen roten Wecker in der Hand. Ein Symbolbild für individuelle arbeitszeit.
Eine Studie des WIFO belegt die Vorteile einer individuellen Arbeitszeit. | © Adobestock/ Kana Design Image
Individuelle Arbeitszeit bedeutet Wohlstandsgewinn für die Beschäftigten ohne eine Schwächung der Wirtschaft. Eine Studie des WIFO arbeitet die positiven Effekte der Arbeitszeitanpassung heraus.
Die Menschen in Österreich wollen weniger arbeiten. Im Schnitt möchten sie ihre Wochenarbeitszeit um 1,2 Stunden (3,3 Prozent) reduzieren. Das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO hat im Auftrag der Arbeiterkammer Wien (AK) eine Studie zu den möglichen makroökonomischen Effekten einer Arbeitszeitanpassung anhand eines (hypothetischen) Szenarios durchgeführt. Die Arbeitszeit wurde in der Studie so angepasst, dass sie dem Wunsch der Arbeitnehmer:innen entspricht. Was sofort auffällt: Eine Reduzierung der Arbeitszeit ist nicht gleichbedeutend mit einer Schmälerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Vorteile der individuellen Arbeitszeit überwiegen.

Individuelle Arbeitszeit heißt für manche, mehr arbeiten zu wollen

„Der größte Wunsch nach Arbeitszeitveränderung ist bei den Menschen an den Rändern zu erkennen. Bei jenen, die sehr wenig arbeiten, wird häufig eine Erhöhung der Wochenstunden angestrebt. Und von den Arbeitnehmer:innen, die sehr viel arbeiten, wollen viele eine Reduktion“, sagt Stefan Ederer. Er ist Autor der WIFO-Studie. Kein Wunder, dass auch die Debatte über die 4-Tage-Woche wieder an Schwung gewonnen hat.

Eine blaue, alte Stechuhr an einer Wand. Symbolbild für die individuelle Arbeitszeit.
Vielleicht ist die Zukunft der Arbeit eine weniger starre Arbeitszeit. | © Adobestock/Roberto

Laut Mikrozensus aus dem Jahr 2019 (2019 war das letzte volle Jahr vor der Pandemie, daher ist dieses Jahr aussagekräftiger als die Folgejahre) lag die durchschnittliche Arbeitszeit in Österreich bei 36,1 Stunden pro Woche (inklusive Teilzeitarbeit). Über die Branchen hinweg wünschten sich die Beschäftigten damals eine Reduktion auf 34,9 Wochenstunden, wie die WIFO-Studie erkennen lässt. „Das Ziel der Studie war, die individuellen Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten mit gesamtwirtschaftlichen Effekten zu kombinieren“ führt Markus Marterbauer aus, der Chefökonom der AK Wien.

Reduzierung der Arbeitszeit

Die Wünsche nach einer Reduzierung der Wochenstunden ist besonders bei drei großen Gruppen gut ersichtlich.

  • Bei jenen zwei Millionen Arbeitnehmer:innen in Österreich, die der Kategorie Normalarbeitszeit (35 bis 40 Stunden) zuzurechnen sind.
  • Bei der Gruppe, die zwischen 40 und 60 Stunden pro Woche arbeitet (670.000 Arbeitnehmer:innen).
  • Sowie bei älteren Beschäftigten über 55 Jahren.

„Bei der Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen ist der Wunsch nach einer Arbeitszeitreduktion besonders stark ausgeprägt“ so Ederer. Im Schnitt arbeitet diese Gruppe 36,2 Stunden pro Woche und möchte am liebsten eine individuelle Arbeitszeit von 34,2 Stunden. Am anderen Ende der Skala finden sich Teilzeitbeschäftigte. In der Regel sind es hier Arbeitnehmer:innen unter 30 Stunden pro Woche, die die Stunden aufstocken möchten. Sie haben häufig aus unterschiedlichen Gründen nicht die Chance dazu.

Individuelle Arbeitszeit: Zentrale Studienergebnisse

„Die Hauptergebnisse der Studie sind, dass die Verkürzung bzw. die Verlängerung der Arbeitszeit den Wohlstand der Beschäftigten erhöht, es jedoch bescheidene Effekte auf die Gesamtwirtschaft gibt“ so Marterbauer. Interessant sind auch die Branchen, die am häufigsten den Wunsch äußern, weniger arbeiten zu wollen.

  • So möchten in den Branchen Information und Kommunikation die Beschäftigten die Wochenstunden um 2,2 Stunden reduzieren.
  • Auch in den Bereichen Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen ist ein Reduzierungswunsch stark ausgeprägt. Hier würden die Menschen gerne 1,8 Stunden weniger pro Woche arbeiten.

„Die gesunde Vollzeit, also die Anpassung der Arbeitszeit an den Wünschen der Beschäftigten, ist ein mittelfristiges Ziel“, so Marterbauer. Er betont, dass eine Reduktion der Arbeitszeit ein Prozess ist. Von heute auf morgen lasse sich eine individuelle Arbeitszeit nur schwer umsetzen.

Individuelle Arbeitszeit ist eine Geschlechterfrage

Die Ausprägung der individuellen Arbeitszeit ist auch eine Geschlechterfrage. Männer arbeiten im Schnitt 40,1 Wochenstunden, Frauen 31,9 Stunden. Entsprechend ist der Wunsch nach einer Reduzierung bei Männern mit 1,6 Stunden ausgeprägter als bei Frauen (-0,8 Stunden). Frauen arbeiten vergleichsweise häufig in Teilzeit.

Nicht alle wollen das, sondern werden aus verschiedenen Gründen dazu gezwungen. Etwa durch fehlende Betreuungseinrichtungen für Kinder. Eine Schlechterstellung, die es zu beseitigen gilt. „Die Anpassung der Arbeitszeit an den Wunsch der Beschäftigten wird den Strukturwandel vorantreiben. Deshalb ist es sinnvoll, dem Wunsch der Arbeitnehmer:innen nachzugehen“, sagt Marterbauer.

Aus der Geschichte lernen

Dass eine Reduktion der Wochenstunden und Wirtschaftswachstum einhergehen kann, zeigt ein Beispiel aus den 1970er-Jahren. Zwischen 1970 bis 1975 senkte die Regierung die Wochenarbeitszeit von 45 auf zuerst 42 und dann 40 Stunden. „Damals war die Arbeitskräfteknappheit viel größer als heute. Es wurde nicht nur die Arbeitszeit gesenkt und dadurch der Wohlstand der Beschäftigten angehoben, sondern auch die gesamtwirtschaftliche Entwicklung war sehr gut. Eine Arbeitszeitverkürzung ist daher offensichtlich gut kombinierbar mit gesamtwirtschaftlicher Entwicklung“, beschreibt Marterbauer die Situation.

Eine Arbeitszeitreduktion bedeutet also nicht automatisch, dass die Wettbewerbsfähigkeit leidet oder die Produktion einbricht. „Das zu glauben, wäre viel zu statisch. In einer dynamischen Wirtschaft ist eine Anpassung nicht gleichzusetzen mit dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Mit makroökonomischen Modellen kann man daher die Effekte gut abschätzen“, so Marterbauer zu den moderaten Auswirkungen auf das BIP.

Die WIFO-Studie zeigt, dass der Wohlstand der Beschäftigten durch eine individuelle Arbeitszeit steigt. Weniger Arbeitsstunden bei Vollzeit bedeutet mehr Freizeit, mehr Zeit für die Familie und Hobbys. Eine Erhöhung der Stundenzahl bei Teilzeitkräften erhöht dagegen das Einkommen und die soziale Absicherung. Flexibel auf die Wünsche der Arbeitnehmer:innen einzugehen, ist daher sinnvoll und angebracht. Und die Arbeitzeitverkürzung funktioniert. Sogar in der Bauwirtschaft ist eine 4-Tage-Woche umsetzbar.

Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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