Wem der Sozialstaat nutzt
Wie gut der Sozialstaat wirkt, lässt sich unter anderem daran ablesen, ob er in der Lage ist, die sozial Schwächsten zu unterstützen. Allerdings ist dies in jenem Wohlfahrtsstaatssystem, in das sich Österreich einreiht, lediglich die Minimalanforderung, ein weiteres Thema ist die Umverteilung. „Die Einkommensunterschiede am Arbeitsplatz sind in den letzten Jahren weiter angestiegen“, weiß Christine Mayrhuber, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO). „Der Sozialstaat setzt sich die Aufgabe, diese Ungleichheit zu mindern. Er wird in der Ökonomie über Verteilungsgerechtigkeit und über ein umfassendes Leistungsangebot etwa bei der Betreuung, Bildung, Gesundheit etc. definiert.“ Mayrhuber ist eine der AutorInnen der WIFO-Studie „Umverteilung durch den Staat in Österreich“, erschienen im Mai 2016. Dabei zeigte sich: Bei den monetären Transfers profitiert das unterste Drittel am meisten – und zwar mit etwa 60 Prozent. Mit 25 Prozent gewinnt das mittlere Drittel und mit knapp 16 Prozent das oberste Drittel. Damit wird allerdings nur ein Aspekt des Sozialstaats berücksichtigt. Ein mindestens ebenso wichtiger Aspekt sind die sogenannten realen Transfers, zu denen etwa Kindergarten oder Leistungen des Gesundheitssystems zählen. Werden diese in die Betrachtung miteinbezogen, so zeigt sich ein anderes Bild: 37 Prozent fließen ins untere Drittel, 34 Prozent ins mittlere und 29 Prozent in das obere Drittel. Kurz gesagt: Sozialstaatlichkeit kommt beinahe allen in gleichem Maße zugute.
Im Bericht wurde auch untersucht, wie sehr der Sozialstaat für einen Ausgleich sorgt – und er leistet in Österreich sehr viel. „Wenn man sich die Markteinkommen anschaut, so haben die reichsten 10 Prozent ein 32-mal so hohes Einkommen wie die ärmsten 10 Prozent“, erklärt Marc Pointecker, der die Abteilung „Sozialpolitische Grundlagenarbeit“ im Sozialministerium leitet. „Nach Eingreifen des Staates, etwa durch Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Pensionen, liegt das Verhältnis nur mehr bei 1:6.“ Zwar sei die Einkommensungleichheit in Österreich hoch, doch im europäischen Vergleich stehe Österreich noch relativ gut da. Gravierend und auffällig hingegen sei der Unterschied bei den Vermögen. Österreich ist hier in einer problematischen Spitzenposition: Der Europäischen Zentralbank (EZB) zufolge findet sich die höchste Vermögenskonzentration innerhalb der EU ausgerechnet in Österreich. Damit besitzt das reichste Prozent in Österreich etwa ein Drittel des Vermögens. Umgekehrt betrachtet, verhält sich die Schieflage wie folgt: Gemeinsam verfügen die unteren 80 Prozent über so viel Besitz wie das reichste Prozent. „Das hängt wahrscheinlich auch mit der geringen Vermögenssteuer zusammen“, vermutet Pointecker. Die Folge: Nicht nur die Finanzierung des Sozialstaats basiert in erster Linie auf Arbeitseinkommen.
S soll nicht nur fürs Sparen stehen
„Sozialschutz in schwierigen Lebenslagen, Stabilisierungsfunktion in Krisenzeiten und Sozialinvestitionen: Das sind die drei Aufgaben, die jeder Sozialstaat erfüllen muss“, erklärt Adi Buxbaum die drei wichtigen „S“ im Sozialstaat. Der Volkswirt ist in der Abteilung Sozialpolitik der Arbeiterkammer Wien tätig. Sozialschutz gewährleistet vor allem Hilfe im Krankheitsfall und Alter, bei Arbeitslosigkeit und Invalidität oder unterstützt bei der Gründung einer Familie. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten stabilisiert der Sozialstaat mittels Konjunktur- und Arbeitsmarktpaketen, kürzt keine Leistungen, um den privaten Konsum aufrechtzuerhalten, und investiert zur Erleichterung des Wiederaufschwungs. In Kindergärten und Schulen stecken die sogenannten Sozialinvestitionen, um nur zwei Beispiele zu nennen.