Gesundheit der Lehrlinge: Arbeitsplatz spielt eine wichtige Rolle
Psychische Probleme können aufgrund vielerlei persönlicher Umstände auftreten, jedoch kann auch der Arbeitsplatz eine erhebliche Rolle spielen und depressive Verstimmungen oder Depressionen auslösen. Hohe Arbeitsbelastung, Zeitdruck oder unklare Arbeitsanforderungen sind nur einige Faktoren, die einen negativen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden haben können. Auch von der Inflation sind Lehrlinge besonders betroffen.
„Der Faktor Arbeit spielt eine Rolle. Denn die Vorstellung der ausgeübten Tätigkeit vor dem Beginn einer Lehre und die tatsächlichen Erfahrungen im Betrieb können sehr unterschiedlich sein. Wunsch und Wirklichkeit können weit auseinanderliegen“, sagt Günther Zauner. Er ist Referent in der Abteilung Lehrlingsausbildung und Bildungspolitik der Arbeiterkammer Wien (AK). Ein anderer Auslöser für psychische Probleme ist mangelnder Respekt in den jeweiligen Lehrbetrieben vor den Lehrlingen. „Wohlmeinende Feedback-Gespräche in den Unternehmen finden mit Lehrlingen zu wenig statt“, so Zauner.
Psychische Gesundheit bei Lehrlingen ist kein Randthema
Auch für die Österreichische Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) ist die psychische Gesundheit der Lehrlinge ein genauso wichtiges Thema wie jenes der körperlichen Gesundheit. Beide Aspekte sollen gleichermaßen berücksichtigt werden, der Mensch muss im Mittelpunkt stehen. „Die psychische Gesundheit sollte nicht als Randthema betrachtet werden, sondern als integraler Bestandteil einer nachhaltigen Arbeitswelt. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, Lehrlingen und Arbeitnehmer:innen aller Altersgruppen die Unterstützung zu bieten, die sie benötigen, um ihre psychische Gesundheit zu schützen und zu fördern“, sagt Richard Tiefenbacher, Bundesjugendvorsitzender der ÖGJ.
Die Gewerkschaftsjugend fordert daher, eine gesunde Arbeitsumgebung zu schaffen, die Reduktion der Arbeitsbelastungen und die Förderung eines positiven Arbeitsklimas. „Diese Punkte sind von entscheidender Bedeutung“, so Tiefenbacher. Unterstützung bei psychischen Problemen können sich Lehrlinge beispielsweise bei den Jugendvertrauensräten in den Betrieben holen.
Sollte es im Unternehmen keine Jugendvertrauensräte geben, sind Lehrlings- und Lehrbetriebscoaching geeignete Ansprechpartner. „Egal ob beruflich, schulisch oder privat. Dabei wird ihnen ein Coach zur Verfügung gestellt und wenn psychologische Betreuung benötigt wird, wird dort auch nach der passenden Unterstützung gesucht und vermittelt. Lehrlinge können sich auf lehre-statt-leere.at für dieses Service anmelden“, sagt Zauner.
Betriebe und Politik: Verantwortung für Gesundheit von Lehrlingen
Die Lehrlingsgesundheitsbefragung 2021/22 zeigt jedoch nicht nur die psychischen Belastungen und Probleme auf, sondern gibt ebenfalls Aufschluss über die physische Gesundheit und Konsumpraxen der Lehrlinge. So ist Zigarettenkonsum weiterhin äußerst beliebt. 46 Prozent aller befragten Lehrlinge gaben an zu rauchen. Unter den gleichaltrigen Schüler:innen ist der Anteil nur halb so hoch.
Die parallel durchgeführte Studie zu Gesundheit und Gesundheitsverhalten von Schüler:innen macht diese Ergebnisse ersichtlich. „Lehrbetriebe haben eine Verantwortung, sich um das Wohlergehen ihrer Lehrlinge zu kümmern. Aufklärungskampagnen und Gesundheitsmaßnahmen sind wesentliche Instrumente, um junge Menschen dabei zu unterstützen, gesunde Entscheidungen zu treffen und ihre Gesundheit langfristig zu schützen“, nimmt Tiefenbacher gegenüber Arbeit&Wirtschaft die Betriebe in die Pflicht.
Übergewicht unter Lehrlingen nimmt zu
Ein anderes gesundheitliches Problem ist der Anstieg von Übergewicht und Adipositas. 27 Prozent der weiblichen und 36 Prozent der männlichen Lehrlinge leiden an Übergewicht oder Adipositas. Bei der Lehrlingsgesundheitsbefragung 2018/19 waren es noch deutlich weniger – damals waren 20 Prozent der weiblichen beziehungsweise 28 Prozent der männlichen Lehrlinge davon betroffen.
Die Corona-Pandemie, Fast-Food, Energydrinks, Softdrinks und Süßspeisen sind für diese deutliche Steigerung mitverantwortlich. Beim Essen in Betriebskantinen anzusetzen, wäre eine Möglichkeit, aber das allein wird nicht reichen. „Man kann an die Verantwortung der Lehrbetriebe appellieren, für gesundes Essen in den Kantinen zu sorgen, aber man kann nicht vom Betrieb allein erwarten, hier Lösungen zu finden. Das beginnt zumeist schon früher, also beispielsweise bei den Eltern, die einen gewissen Ernährungsstil vorleben“, sagt Zauner.
Tiefenbacher von der ÖGJ sieht es ähnlich, möchte aber, dass sich die Unternehmen hier mehr engagieren. „Es liegt in der Verantwortung der Unternehmen, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Lehrlinge zu fördern. Indem sie gesunde Verpflegungsoptionen einführen und eine unterstützende Arbeitsumgebung schaffen, können sie aktiv dazu beitragen, den Trend von Übergewicht und Adipositas bei Lehrlingen umzukehren.“
Wie niedrig ist die Höhe unseres Arbeitslosengeldes? Und warum wird immer mehr Druck auf Arbeitslose ausgeübt? Darüber sprechen @michaelmazohl, @natascha_strobl und @adibuxbaum in der neuen Podcastfolge zum Thema „Arbeitslosigkeit“https://t.co/1x9eJGF0OE pic.twitter.com/Wlv2oKEVp0
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) June 7, 2023
Unternehmen bei Gesundheit der Lehrlinge unterstützen
Einen Vorschlag, wie man kleinere und mittlere Betriebe unterstützen und in weiterer Folge die Lehrlinge besser über gesunde Ernährung aufklären kann, hat Zauner von der AK.
Denn nicht alle Unternehmen haben eigene Kantinen und die personellen Ressourcen zur Verfügung, um sich dem Thema gesunde Ernährung intensiv anzunehmen. Deshalb wäre hier auch die Politik gefragt. „Was die Politik machen könnte, wäre ein Modell für kleinere und mittlere Betriebe in beispielsweise Gewerbeparks zu entwickeln, um aus diesen die Lehrlinge zusammenzuziehen, um spezielle Workshop zum Thema Ernährung und Gesundheit zu veranstalten“ meint Zauner.
Physische und psychische Gesundheit zu fördern ist jedenfalls nicht nur die individuelle Aufgabe des jeweiligen Lehrlings, sondern es braucht Anlaufstellen, Workshops, die Hilfe der Jugendvertrauensräte und noch mehr. Die Betriebe und die Politik sind hier gefordert, die notwendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Denn „von gesunden Lehrlingen und zukünftigen Fachkräften profitiert die gesamte Gesellschaft“, ist Tiefenbacher überzeugt.