Europäisches Lieferkettengesetz nimmt Konzerne in die Pflicht

Kinderarbeit auf einer Plantage soll ein europäisches Lieferkettengesetz zukünftig verhindern.
Ein europäisches Lieferkettengesetz soll zukünftig auch Kinderarbeit verhindern. | © ADobestock/Tinnakorn
Das EU-Parlament hat das europäische Lieferkettengesetz durchgewunken. Vorangegangen ist ein jahrelanges Tauziehen um Verantwortung, Geld und Einfluss. Jetzt ist ein Anfang gemacht.
Mit 366 zu 225 Stimmen (38 Enthaltungen) hat das EU-Parlament Anfang Juni das Sorgfaltspflichtengesetz angenommen. Im Volksmund ist es ein europäisches Lieferkettengesetz. Die EU möchte damit Unternehmen gesetzlich verpflichten, negative Auswirkungen ihrer Tätigkeiten auf Menschenrechte und Umwelt zu ermitteln und zu verhindern, zu beenden oder abzumildern. Vorausgegangen war ein politisches Ringen um Details, Verantwortung, Ausnahmen und Begrifflichkeiten. Arbeit&Wirtschaft gibt hier eine Übersicht.

Warum das europäische Lieferkettengesetz notwendig ist

Es ist über zwei Jahrzehnte her, da unterzeichneten Nestlé, Mars und Hershey das Harkin-Engel-Protokoll. Darin verpflichteten sich die Schokoladenhersteller, bis zum Jahr 2005 die Kinderarbeit auf ihren Kakaoplantagen zu beenden. Als die Tulane University das Abkommen im Jahr 2011 evaluierte, stellten die Forscher:innen fest, dass die Lebensmittelriesen keinen einzigen Punkt der freiwilligen Selbstverpflichtung umgesetzt hatten. Aktuell sieht es so aus, dass allein in Westafrika etwa 1,5 Millionen Kinder Kakao anbauen, den die Firmen unter anderem in M&M, KitKat oder Balisto verwenden.

Ein weiteres Beispiel ist die Automobilindustrie. Die ist ohne China nicht mehr vorstellbar. Nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch, weil zentrale Zulieferer dort angesiedelt sind – vor allem in der Uiguren-Region Xinjiang. Die Kommunistische Partei hat diese Gegend – obwohl extrem abgelegen – mit Subventionen überschüttet, um Unternehmen dort anzusiedeln. Zu den Subventionen gehören unter anderem billige Zwangsarbeit. Das ist kein Geheimnis, Staatsmedien werben damit und es gibt Berichte in den Zeitungen über Kooperationen.

Eine Mine in China. Ein europäisches Lieferkettengesetz soll künftig auch Umweltstandards einfordern.
Ein europäisches Lieferkettengesetz wird zukünftig auch Umweltstandards einfordern. | © Adobestock/evgenii_v

Die Sheffield University hat in der Studie „Driving Force“ aufgeschlüsselt, in welchen Betrieben Zwangsarbeit stattfindet und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass in einem Auto entsprechend vorbelastete Teile sind. Kurzum: „Höchstwahrscheinlich“. Es betrifft alle Marken und alle Märkte. Das Lieferkettengesetz ist nun ein erster Schritt in Richtung eines Marktes, in dem solche Menschenrechtsverletzungen zumindest nicht mehr Alltag sind. In dem Unternehmen nicht mehr problemlos von Umweltverschmutzung, Kinder- und Zwangsarbeit profitieren können.

„Heute ist ein guter Tag im Kampf für ein faires Lieferkettengesetz. Jetzt geht es darum, weitere Verwässerungsversuche der Wirtschaftslobbyisten zu bekämpfen, damit am Ende des Tages ein Lieferkettengesetz gilt, das Klima, Umwelt und Arbeitsrechte schützt“, kommentierte ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian das Abstimmungsergebnis im EU-Parlament.

Was besagt das europäische Lieferkettengesetz?

Das neue Lieferkettengesetz soll verhindern, dass Unternehmen zur Gewinnmaximierung gegen Menschenrechte verstoßen und Umweltstandards missachten. Große Firmen sind deswegen dazu verpflichtet, ihre weltweiten Lieferketten zu kontrollieren und negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Menschenrechte und die Umwelt „zu ermitteln und erforderlichenfalls zu verhindern, zu beenden oder abzumildern“, so das Gesetz. Das europäische Lieferkettengesetz erweitert die Verantwortung der Unternehmen auf die gesamte Lieferkette. Zu der gehören der gesamte Entstehungsprozess vom Rohstoff bis zum fertigen Verkaufsprodukt.

Zu den zentralen Vorgaben im europäischen Lieferkettengesetz gehören:

  • Es gilt für Unternehmen ab 250 Mitarbeiter:innen und einem Jahresumsatz von mindestens 40 Millionen Euro.
  • Das europäische Lieferkettengesetz gilt auch für Firmen, die zwar kleiner, aber Teil eines größeren Mutterkonzerns sind (mehr als 500 Beschäftigte und 150 Millionen Euro Umsatz).
  • Je nach Größe gilt eine verzögerte Anwendung des europäischen Lieferkettengesetzes um drei oder fünf Jahre.
  • Die Leitlinien gelten nicht in den Risikosektoren Textilien, Bergbau und Gewinnung von Rohstoffen, Landwirtschaft, Energie, Bausektor und Finanzsektor. Hier werden noch spezifische Grenzen festgelegt.
  • Unternehmen haften für verursachte Schäden, wenn diese im Rahmen der Sorgfaltspflicht hätten verhindert werden können.

Vielen gehen diese Eckpunkte nicht weit genug. „Der Kommissionsvorschlag und die vom Rat beschlossene Position sind enttäuschend. In Österreich hätte dies zur Folge, dass die Regelung direkt lediglich für rund 0,06 Prozent der Unternehmen gelten würde“, gab beispielsweise Alice Wagner bereits im April im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft an. Sie ist Referentin für Arbeitsrecht und Wettbewerb im Brüssel Büro der Österreichischen Bundesarbeiterkammer.

Grundsätzlich gehe der Beschluss des EU-Parlaments aber in die richtige Richtung. „Aus Sicht der Arbeiterkammer ist das EU-Lieferkettengesetz ein Meilenstein“, sagt Valentin Wedl, Leiter der Abteilung EU-Politik in der AK. „Gewerkschaften und NGOs haben viele Jahre lang dafür gekämpft, Kinderarbeit auf Kakaoplantagen in Westafrika, Ausbeutung von Textilarbeiter:innen in Bangladesch, und Umweltzerstörung durch Minen in Brasilien einen Riegel vorzuschieben. Allein um die Klimaziele zu erreichen, brauchen wir ein wirksames Lieferkettengesetz ohne Schlupflöcher.“

Europäisches Lieferkettengesetz in Österreich

Die österreichische Politik hat sich lange Zeit gegen ein europäisches Lieferkettengesetz gewehrt und auch national keinerlei Vorstöße gewagt – anders als beispielsweise Frankreich und Deutschland. Diese Tatenlosigkeit ist deswegen problematisch, da es so an Input und Erfahrungswerten durch die Industrie mangelt. Als im Dezember 2022 über den Entwurf zum neuen Lieferkettengesetz auf europäischer Ebene abgestimmt wurde, hatte sich Wirtschaftsminister Martin Kocher sogar enthalten.

Schon damals kommentierte Katzian: „Diese politische Einigung auf ein Lieferkettengesetz ist zu begrüßen. Die Enthaltung Österreichs ist aber genauso wenig nachvollziehbar wie die geplante Ausklammerung des Finanzsektors.“

Die Arbeitgeber:innenseite reagierte deutlich kritischer. Der Österreichische Raiffeisenverband (ÖRV) beispielsweise gab in einer Pressemeldung an, die Bemühungen für eine nachhaltige Wirtschaft zwar grundsätzlich zu unterstützen, aber: „Mit dieser Regulierung wird aber definitiv über das Ziel hinausgeschossen, insbesondere für KMU und Landwirte.“ Erstaunlich ist, dass der ÖRV in der gleichen Pressemeldung einräumt, dass Privatpersonen und KMU von den Pflichten gar nicht betroffen seien.

Europäisches Lieferkettengesetz statt Krisengewinne

Währenddessen kritisiert die Industriellenvereinigung: „Durch das verabschiedete Gesetz müssen Unternehmen in Österreich und Europa für Versäumnisse der Politik in Drittstaaten haften, das ist für unsere Betriebe kaum administrierbar.“ Das sehen Expert:innen anders. Eine Studie der EU kommt zu dem Schluss, dass eine Überwachung der gesamten Lieferkette einen Großkonzern gerade einmal 0,005 Prozent des Umsatzes kostet. Bei kleineren Unternehmen wären es 0,07 Prozent. Die bereits erwähnte Studie „Driving Force“ zeigt, dass es sogar noch günstiger geht.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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