Silvia Hofbauer im Interview: Gute Arbeit gesucht!

Porträt Silvia Hofbauer. Sie spricht über Arbeitslosigkeit.
„Die Leistungen bei Arbeitslosigkeit müssen erhöht werden, in allen Einkommensschichten“, fordert Silvia Hofbauer. | © Markus Zahradnik
Menschen mit Arbeitsstellen zusammenzubringen ist keine leichte Angelegenheit. Silvia Hofbauer, Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der AK Wien, weiß, was Unternehmen und das Arbeitsmarktservice tun sollten, um die Situation zu verbessern.
Kein sozialer Abstieg, kein Nachteil im Berufsleben: Silvia Hofbauer, Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration in der AK Wien, hat eine klare Linie zum Thema Arbeitslosigkeit. Für sie steht fest: Die Arbeitsvermittlung muss auf Bedürfnisse, Fähigkeiten und Kenntnisse der Arbeitssuchenden Rücksicht zu nehmen. Im Interview mit der Arbeit&Wirtschaft erklärt sie, wie das gelingen kann.

Arbeit&Wirtschaft: Die Arbeitslosenzahlen sind gut, das behauptet zumindest das Arbeitsministerium. Wie schätzen Sie allgemein die aktuelle Lage bezüglich Arbeitslosigkeit ein?

Silvia Hofbauer: Nicht alle können von dem Aufschwung profitieren. Im April sind die Arbeitslosenzahlen erstmals wieder leicht gestiegen. Der Arbeitsmarkt ist zudem auch nicht für alle gleich gut. Zwar ist die Langzeitbeschäftigungslosigkeit zurückgegangen, aber wir sehen, dass Ältere deutlich länger arbeitsuchend sind als Jüngere. Sie verlieren zwar seltener den Arbeitsplatz, falls aber doch, dann suchen sie länger. Auch die Jugendarbeitslosigkeit steigt wieder leicht. Des Weiteren tun sich gesundheitlich eingeschränkte Menschen deutlich schwerer, einen Arbeitsplatz zu finden.

Der Regierung schweben verschiedene Neuerungen vor. Höhe und Bezugsdauer sind aber zu niedrig bzw. zu kurz. 2021 lagen das durchschnittliche Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe unter der Armutsgefährdungsgrenze!

Die Leistungen bei Arbeitslosigkeit müssen aus AK-Sicht grundsätzlich erhöht werden, in allen Einkommensschichten. Insgesamt wird das Arbeitslosengeld auf Basis des vorvergangenen Jahres berechnet. Die jetzigen Kollektivvertrags-Abschlüsse sind somit nicht miteingerechnet, und auch die Inflation wird nicht abgegolten. Zudem sind die Familienzuschläge in der Höhe von 97 Cent pro Tag seit 2001 nicht mehr erhöht worden. Die Teuerung schlägt also bei Bezieher:innen voll durch. Eine Valorisierung auch bei der Notstandshilfe empfiehlt jetzt sogar der WIFO-Chef. Zudem muss der Ergänzungsbeitrag bleiben, damit auch Menschen mit niedrigen Einkommen ein Arbeitslosengeld erhalten, von dem sie leben können. Auch bei der Dauer muss sich etwas tun. Menschen unter 40 können für maximal 30 Wochen Arbeitslosengeld beziehen, dies muss verlängert werden.

Auf der einen Seite klagen Arbeitgeber:innen über die mühsame Fachkräftesuche, auf der anderen Seite finden Menschen nicht die für sie richtige Arbeit. Wie bringt das AMS offene Stellen und Arbeitsuchende zusammen?

Oftmals passen die Qualifikation des:der Arbeitsuchenden und die Kompetenzen, die die offene Stelle verlangt, nicht zusammen. Daher ist Qualifizierung ein wichtiger Schlüssel. Arbeitgeber:innen sind aber auch selbst schuld. Gewisse Trends zeichnen sich langfristig ab, wie etwa die Nachfrage nach Montage von Solarpaneelen. Aus Studien wissen wir, dass Arbeitgeber:innen sich sowohl aus Aus- als auch aus Weiterbildungen immer mehr zurückziehen. Das muss sich ändern. Ein weiterer Punkt sind die Arbeitsbedingungen: Die Dienstleistungsbranche sucht beispielsweise Arbeitskräfte, fällt aber auch immer wieder durch Fälle von nicht korrekter Entlohnung, nicht ausgezahlten Überstunden, geteilten Diensten oder nur sehr kurzfristig übermittelten Dienstplänen auf. Wenn man heute nicht weiß, wann man morgen arbeiten muss, kann man sein Leben schlecht bestreiten. Es nur an der Bezahlung festzumachen, greift zu kurz. Es geht um ein Gesamtpaket – mit Wertschätzung und Anerkennung.

Menschen nur Jobs zu vermitteln, die sie kaum machen wollen, hilft weder Arbeitgeber:innen noch den Arbeitsuchenden. Wie verhindert man diesen Drehtür-Effekt?

Arbeitslosigkeit, davon bin ich überzeugt, darf nicht zu einem sozialen Abstieg bzw. zu einem Nachteil im Berufsleben führen. Es ist wichtig, dass die Arbeitsvermittlung auf die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Kenntnisse der Arbeitsuchenden Rücksicht nimmt und Menschen am bisherigen Einkommen anknüpfen können. Das Arbeitslosenversicherungsgesetz ist aber eng gefasst: Es gibt nur einen vage formulierten Berufsschutz. Der Einkommensschutz bietet eine gewisse Sicherheit, aber auch nur während des Bezugs von Arbeitslosengeld. Sobald Menschen Notstandshilfe beziehen, gibt es beides nicht mehr.

Nach welchen Qualifikationen suchen Unternehmen beim AMS?

Je niedriger die Qualifikation, desto eher suchen Unternehmen über das AMS. Es braucht Anreize, dass Unternehmen ihre offenen Stellen auch melden. Die Meldung könnte eine Bedingung für Förderungen sein.

Oftmals hört man, dass Menschen in Österreich zu wenig bereit seien, weiter entfernte Arbeitsstellen zu akzeptieren. Was ist „zumutbar“?

Derzeit sind bei einer Vollzeitstelle täglich zwei Stunden hin und retour zumutbar. Das ist aber auch wirklich ausreichend. Es zeigt sich, dass Menschen für eine gute Beschäftigung durchaus bereit sind, weit zu pendeln. Aber am Ende ist das in der Praxis kein großes Thema. Überregionale Vermittlung – also nicht täglich heimfahren zu können – ist dann möglich, wenn man keine Kinderbetreuungspflichten hat und Unternehmen eine Unterkunft bereitstellen. Andere Verpflichtungen müssen sie nicht berücksichtigen. Da braucht es jedenfalls mehr Qualitätsvorgaben bei den angebotenen Wohnmöglichkeiten.

Die Regierung ist gegen eine Jobgarantie – mit dem Argument, man könne solch ein Modell nicht auf Bundesebene ausrollen …

Die AK ist für eine Jobgarantie! Wir haben mit der Chance 45 auch ein AK-Modell entwickelt, in dem es darum geht, langzeitarbeitslose Menschen wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern. Dieses Modell generell flächendeckend anzubieten wird schwierig. Mit einer Step-by-Step-Umsetzung aber können Kosten und Organisationsaufwand kontrolliert und gut begleitet werden. Es gibt bereits einige sehr erfolgreiche Modelle – neben dem Beschäftigungsprojekt in Marienthal etwa auch die Aktion 20.000. Diese Modelle müssen eben für den Bund gut adaptiert werden.

Inwiefern?

Zunächst muss Geld investiert werden. Aber: Zieht man die Steuern ab, die der Staat im Fall einer Jobgarantie an sich selbst zahlt, kostet sie nur unwesentlich mehr, als die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung für die Teilnehmer:innen betragen würden. Solche Modelle rechnen sich also.

Was müsste sich aufseiten des AMS bei der Vermittlung ändern?

Das AMS entwickelt sich weiter. Es wird derzeit ein System erprobt, um stärker nach Kompetenzen zu vermitteln. Da sollen nicht nur der Beruf, sondern alle sonstigen Kompetenzen erfasst werden, die nicht automatisch im Berufsbild aufscheinen. Dafür ist ein guter Vermittlungsprozess notwendig. Der beginnt mit einem qualitativ hochwertigen Erstgespräch. Das führt dann zu einem Matching zwischen denen, die die Stellen anbieten, und jenen, die dort arbeiten könnten. Es braucht aber auch mehr Personal, und davon sind wir leider weit entfernt.

& Podcast:

Mehr zum Thema hören Sie in der Folge „Arbeitslosigkeit” des Podcasts „Klassenkampf von oben”.

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