Trotz der massiven Ablehnung seiner Reform im ganzen Land – sie wird weiterhin von 70 Prozent der Bevölkerung und mehr als 90 Prozent der Berufstätigen verurteilt – hat Präsident Macron dieses Gesetz nach dem Urteil des Verfassungsrats, der es für verfassungsgemäß erklärte, erlassen.
Dennoch geben sich die Arbeitnehmer:innen nicht geschlagen und bleiben fest entschlossen, die Rücknahme der Reform zu erreichen. Nichts ist zu Ende. Weder die Streiks, noch die Demonstrationen, noch die tiefe politische und institutionelle Krise, die diese in den vergangenen Jahrzehnten beispiellose Bewegung ausgelöst hat. Wie immer die Kämpfe der französischen Arbeitnehmer:innen in Zukunft aussehen mögen, die Lehren, die sich aus dieser bereits sechs Monate dauernden Mobilisierung ergeben, sind schon heute für die gesamte Arbeiter:innenbewegung von größter Bedeutung.
„Ungerechtes und brutales Gesetz“
Seit Januar hat sich die Arbeiter:innen- und Jugendbewegung um die klare Forderung nach der Rücknahme des Gesetzes organisiert. Eines „ungerecht und brutal“ empfundenen Gesetzes, weil es sie im Namen eines angeblichen „Defizits“ des Pensionsystems, das in Wirklichkeit nicht besteht, dazu zwingen soll, mindestens zwei Jahre länger zu arbeiten, und sogar mehr, wenn man nicht genügend Beitragsjahre hat.
Zu Recht sehen die Arbeitnehmer:innen in dieser Reform, die nur von ihnen Opfer abverlangt, während die Arbeitgeber:innen ungeschoren davonkommen, einen weiteren Schritt in der sozialen Fehde, den die Regierung gegen die Bevölkerung führt, während die Kaufkraft einbricht, die Treibstoff- und Energiepreise noch nie so hoch waren, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes um 25 Prozent reduziert wurde, das Krankenhaussystem am Rande des Zusammenbruchs steht … Gleichzeitig werden den Bossen Hunderte Milliarden Euro an Sozialbeiträgen erlassen und Macron lässt ein Gesetz über militärische Ausgaben absegnen, das für Krieg und Rüstungsindustrie 377 Milliarden Euro bereitstellt!
Antidemokratische Mittel, um die Pensionsreform durchzuboxen
Die Bewegung gegen die Pensionsreform hat zum Ausdruck gebracht, wie tief der Aufstand der Bevölkerung gegen diese arbeitnehmer:innenfeindliche Politik geht. Die zwölf Streik– und Demonstrationstage, zu denen die vereinigten Gewerkschaften binnen drei Monaten aufgerufen haben, haben auf beispiellose Weise alle Arbeitnehmer:innen- und Jugendorganisationen und damit Millionen von Arbeitnehmer:innen im ganzen Land versammelt. Die Entschlossenheit der Bevölkerung ist stark. Und auch die Repression und Polizeigewalt, die Macron gegen die Demonstrant:innen entfesselt hat, konnte ihr nichts anhaben.
In zahlreichen Unternehmen wurden Betriebsversammlungen und Streiks abgehalten, häufig wurden auf Initiative der Arbeiter:innen an der Basis Streik- oder Organisationskomitees gebildet. Und trotzdem fehlte von den vereinigten Gewerkschaften der Aufruf zum Generalstreik, der oft als wirksamstes Mittel gilt, Macron zum Rückzug zu bewegen.
Nach Jahren der Krise, in denen sich Arbeitnehmer:innen für die Wirtschaft abrackerten, haben viele genug: Eine Streikwelle schwappt über Europa. Wir haben bei deutschen und französischen Gewerkschaften nachgefragt.https://t.co/yiawdLwEZQ
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) June 1, 2023
In dieser Bewegung hat sich auch sehr deutlich die Frage nach Demokratie und Macht gestellt. Um ihre Reform durchzusetzen, setzte die Regierung Macron, die im Land immer isolierter dasteht und immer stärker abgelehnt wird, alle antidemokratischen Mittel ein, die ihr von der Verfassung der 5. Republik zugestanden werden, die es erlaubt, das Parlament an die Leine zu legen und die Meinungsäußerung des Volkes zu beschneiden. Im Zuge der Mobilisierung brachte sich die Ablehnung dieser Institutionen und die Frage danach, was eine Regierung im Dienst der Interessen der arbeitenden Bevölkerung sein müsste, immer stärker zum Ausdruck, insbesondere unter jungen Menschen. Und diese Frage bleibt für alle diejenigen weiterhin offen, die sich der Arbeiter:innenbewegung und der Demokratie verpflichtet fühlen.
Aus dem Französischen von Brita Pohl