Unsicheres Forschen: Die Ketten sprengen

Ein voller Hörsaal an einer Universität in dem eine Professorin oder ein Professor eine Lesung hält. Symbolbild für Kettenvertragsregelung.
Universitäten tun sich mit einer fairen und modernen Personalpolitik schwer. | © Adobestock/kasto
Die geltende Kettenvertragsregelung an den Universitäten sorgt für Unmut. Das wissenschaftliche Personal darf nach aktueller Regelung maximal acht Jahre an derselben Universität forschen und lehren. Fixanstellungen wären eine Lösung, nur sind sie im universitären Wissenschaftsbetrieb äußerst selten.
Ständige Unsicherheit, Existenzangst und keine Möglichkeit langfristiger beruflicher Planung – so forscht und lehrt es sich an den öffentlichen österreichischen Universitäten. Denn Fixanstellungen gibt es nur für eine kleine Anzahl wissenschaftlicher Mitarbeiter:innen. Zumeist handelt es sich dabei um Professor:innen, während sich der wissenschaftliche Mittel- und Unterbau von Vertrag zu Vertrag hangelt. Die geltende Kettenvertragsregelung an den Universitäten sorgt für Unmut.

Kettenvertragsregelung: Unsichere Arbeitsplätze und Diskriminierung

Nach der gültigen Universitätsgesetz-Novelle aus dem Jahr 2021 ist es nach acht Jahren forschen und lehren vorbei mit einem weiteren befristeten Vertrag an derselben Uni. Immerhin: Im Falle eines zeitgleichen Doktoratsstudiums kommen noch vier Jahre hinzu. Einzig eine Festanstellung kann die Beschäftigten mit Kettenverträgen davor bewahren. Allein an der größten Universität Österreichs, der Universität Wien, sind 6.000 Lehrende und Forschende potenziell von dieser Neuregelung betroffen. Das bedeutet, dass sie in absehbarer Zukunft die Uni Wien dauerhaft verlassen müssen.

Vor der Universität in Wien steht eine Frau mit buntem Regenschirm im Regen. Symbolbild für die Kettenvertragsregelung.
Lassen Universitäten ihr Personal im Regen stehen? | © Adobestock/muratart

Österreichweit sind 79 Prozent des wissenschaftlichen Unterbaus – also sämtliche Stellen unter einer Professur, und des künstlerischen Personals an öffentlichen Kunstuniversitäten – befristet beschäftigt. Schuld daran ist der Paragraf 109 im Universitätsgesetz. „Der Paragraf 109, der die Kettenvertragsregel regelt, widerspricht aus Sicht der Arbeiterkammer (AK) Unionsrecht. Der Paragraf könnte geschlechterdiskriminierend sein, denn Frauen können davon stärker betroffen sein als Männer. Stichwort Schwangerschaften und Karenz. Dieser Annahme folgt auch der Europäische Gerichtshof (EuGH)“, sagt Wolfgang Kozak. Er ist Arbeitsrechtsexperte der AK Wien.

„Hohe Unsicherheit und Prekarität führen nicht zu mehr Innovation“

Besonders Jungakademiker:innen zwischen 30 und 40 Jahren sind durch den Paragrafen 109 einem intensiven Wettbewerb ausgesetzt. Sie müssen jederzeit einen Umzug an einen anderen Ort im In- und Ausland in Kauf nehmen, um weiterhin in der universitären Forschung bleiben zu können. Durch diese Regelung entsteht ein Brain-Drain an den österreichischen Universitäten. Also eine Abwanderung von hochqualifizierten Wissenschaftler:innen mit viel Erfahrung.

„Dem internationalen Trend folgend wurden in den letzten zwei Jahrzehnten eine massive Verwettbewerblichung von Wissenschaft und eine Ökonomisierung von Universitäten durchgesetzt“, sagt Julia Heinemann. Sie ist Post-Doc am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Uni Wien. Heinemann engagiert sich bei der Initiative Unterbau Uni Wien. Ziel der Initiative ist es, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von prekär beschäftigten Forschenden und Lehrenden einzufordern. Die von Heinemann genannte Verwettbewerblichung hemmt Innovation und Risikobereitschaft in der Wissenschaft. Das belegt eine Studie aus dem renommierten Wissenschaftsjournal ‚Nature“ aus dem Jahr 2022. „Hohe Unsicherheit und Prekarität führen eben nicht zu mehr Innovation, sondern dazu, dass viele hoch qualifizierte Forscher:innen aus der Wissenschaft aussteigen und/oder, dass keine langwierige Grundlagenforschung oder Studien mit hohem Risiko durchgeführt werden“, bekräftigt Heinemann.

Geringe Chancen ohne internationale Erfahrung

Wenn ein:e Jungforscher:in eine entfristete Anstellung möchte, dann ist es in Österreich beinahe unerlässlich, Auslandserfahrung an einer Universität gesammelt zu haben. „Internationale Erfahrung wird als eine wichtige Voraussetzung für eine wissenschaftliche Karriere angesehen. Wer beispielsweise aus familiären Gründen nicht international mobil ist, hat daher weniger Chancen“, sagt Julia Partheymüller. Sie ist Mitglied der AG Recherche der Initiative Unterbau Uni Wien und Senior Scientist am Vienna Center for Electoral Research (VieCER).

Florian Part, Senior Scientist am Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft an der BOKU Wien und Betriebsrat für das wissenschaftliche Personal ist einer der Glücklichen, der einen unbefristeten Vertrag hat. „Ich hatte 2017 unglaublich viel Glück, als Senior Scientist entfristet zu werden. Damals wurde gerade eine halbe Globalstelle, die von der Universität und nicht durch Drittmittel finanziert wurde, frei und meine Chefin hat sich dankenswerterweise beim Rektorat für mich eingesetzt“, erklärt der Forscher in Nanotechnologie und Umwelttechnik.

Part wollte aus familiären Gründen keine längere Zeit an einer Universität im Ausland verbringen. Lediglich im Jahr 2022 war er für ein halbes Jahr in Berlin, um so eine Chance auf eine Professur zu wahren. „Jedoch musste ich sowohl in Berlin als auch in Wien mein Zimmer und die Fahrtkosten selbst zahlen. Das hat mich zusätzlich über 7.000 Euro gekostet, die ich investieren musste. Mit Kindern wäre so etwas kaum möglich gewesen und außerdem würde meine Partnerin niemals ihren guten Job und ihre Familie für meinen Auslandsaufenthalt aufgeben“, beschreibt Part die Situation.

Keine Kinder, kaum Privatleben

Nicht alle haben das Glück, dass sich die Chefin oder der Chef für einen einsetzt. Häufige Umzüge gehören beinahe schon zur Jobbeschreibung von wissenschaftlichem Personal an öffentlichen Universitäten. Dazu gibt es noch eine zusätzliche Schlechterstellung von Frauen. Besonders, wenn diese einen Kinderwunsch hegen. „Durch das erzwungene akademische Nomadentum sind Familienplanungen oft schwierig bzw. unmöglich und es gehen Partnerschaften zu Bruch. Frauen sind hier tendenziell noch stärker betroffen als Männer und sehen sich häufiger gezwungen, auf Kinder zu verzichten oder die akademische Karriere aufzugeben, nachdem sie Kinder bekommen haben“, so Heinemann. Sie hat einen ihrer Forschungsschwerpunkte auf das Thema Geschlechtergeschichte gelegt hat.

Sollte man sich für eine akademische Karriere an einer öffentlichen Universität entscheiden, bedeutet das möglicherweise eine lebenslange Befristung der Dienstverträge. Denn wenn man an eine andere Uni wechselt, beginnt das Spiel mit den Kettenverträgen von vorne. „Das kann bedeuten, dass eine:e wissenschaftliche:r Mitarbeiter:in das ganze Berufsleben lang nicht aus der Befristung rauskommt. Wir haben eine Gruppe von hoch qualifizierten und motivierten Menschen, die vom staatlichen Sonderdienstrecht, an den öffentlichen Universitäten, im Prekariat gehalten werden. Das muss deutlich betont werden“, meint Kozak.

Kettenvertragsregelung schafft Abhängigkeiten

Durch den Paragrafen 109 entstehen Machtgefälle und Abhängigkeitsverhältnisse. Eine zeitgemäße Personalführung ist an vielen Universitäten mehr Wunsch als Realität. „Beispielsweise werden Dinge wie MeToo durch den Paragrafen genährt. Durch die Kettenvertragsregelung kümmert man sich an den öffentlichen Universitäten auch nicht um eine moderne und adäquate Personalführung, da die Befristung nach einer gewissen Zeit sowieso ausläuft. Kurz gesagt: Prekäre Arbeitsverhältnisse sorgen für starke Machtgefälle“, so Kozak.

Der Paragraf 109 verbietet es öffentliche Universitäten allerdings nicht, wissenschaftlichem Personal Dauerstellen anzubieten. Das geschieht aber nicht sehr häufig. Arbeit&Wirtschaft hat an den großen österreichischen Universitäten nachgefragt, weshalb das so ist. Rückmeldungen kamen nur von der Johannes-Keppler-Universität Linz und der Universität Graz. Dort verstehe man die Anliegen des Mittel- und Unterbaus und bemühe sich, Senior Lecturers und Senior Scientists unbefristet anzustellen, so das jeweilige Vize-Rektoraten heißt.

„Ein unbefristeter Dienstvertrag wird durch Paragraf 109 nicht verboten. Und wenn jemand als wertvolle:r Mitarbeiter:in betrachtet wird, dann ist es problemlos möglich, sie oder ihn entfristet zu beschäftigen. Aber es ist nicht bequem, jemanden einen unbefristeten Vertrag zu geben, denn die Universität kann dadurch nicht mehr willkürlich tätig sein“, beschreibt Kozak die Rechtslage. Eine etwas andere Betrachtungsweise als die Jungforscher:innen und der Arbeitsrechtler hat Michael Lang. Er ist Vize-Rektor der WU-Wien und Vorsitzender des Dachverbands der Universitäten. In einem Gastkommentar im Standard schrieb er im März: „Die Universitäten müssen sicherstellen, dass nicht alle in einem Fach verfügbaren Stellen von Personen in ähnlichem Alter besetzt werden. Der Zugang zum Wissenschaftsbetrieb muss auch in den nächsten Jahrzehnten offenstehen. Eine nachhaltige Personalpolitik hat der Generationengerechtigkeit verpflichtet zu sein.“

„Kettenbefristungen sind im Umfeld des Staats das Problem“

Warum nicht den Paragraf 109 einfach streichen? „Nur mit einem Wandel in der Stellenstruktur, Finanzierung und Beschäftigungskultur an Universitäten kann der Wissenschaftsbetrieb in Österreich aus unserer Sicht überhaupt in Zukunft funktionieren“, erläutert Heinemann. „Im ganzen DACH-Raum ist ein grundsätzlicher Systemwechsel an den Universitäten notwendig.“ Befristungen sind in Österreich kein Alleinstellungsmerkmal und auch in Deutschland und der Schweiz gängige Praxis.

Partheymüller sieht aber im Vergleich zu Österreich erste Diskussionen und Ansätze in Deutschland. „In Österreich stehen wir mit dieser Diskussion noch ganz am Anfang. Es gibt aber beispielsweise in Deutschland bereits verschiedene Vorschläge dazu, wie eine Personalstruktur für zukunftsfähige Universitäten aussehen könnte, einschließlich kosten- und lehrdeputatsneutraler Personalmodelle“, so die Forscherin, die sich in ihrer Arbeit unter anderem mit politischer Kommunikation und Wahlverhalten beschäftigt.

Auch Part, der seit 2017 an der BOKU fix angestellt ist, ist überzeugt, dass es ohne Kettenverträge möglich sein muss. „Eine Arbeitswelt, die jene 4,1 Millionen unselbstständig Beschäftigte ohne Kettenvertragsregel in Österreich erleben dürfen, wäre meine Meinung nach für Universitäten ‚innovativ‘ und vor allem nachhaltig.“ Der Betriebsrat fordert daher, das allgemeine Arbeitsrecht an den Universitäten einzuführen.

Weshalb etwas in der Privatwirtschaft funktioniert, aber nicht an öffentlichen Universitäten funktionieren soll, fragt sich auch Kozak von der AK Wien. „In der Privatwirtschaft funktioniert es mit unbefristeten Verträgen, dazu braucht es aber eine ordentliche Personalbewirtschaftung. Die Probleme ohne erlaubte Kettenbefristungen sind enden wollend, wie wir aus Erfahrung wissen. Traurig, aber wahr, doch Kettenbefristungen sind im Umfeld des Staats das Problem“ so der Arbeitsrechtsexperte, der hier die Politik in die Pflicht nimmt.

Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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