Isabella Weber: Eine Frau hat einen Plan

Ökonomin Isabella Weber ist als Expertin auch bei Regierungen gefragt. Sie will die Gierflation verhindern.
Ökonomin Isabella Weber ist als Expertin auch bei Regierungen gefragt. Sie will die Gierflation verhindern. | © Sonja Kothe
Die Ökonomin Isabella Weber hat klare Konzepte, wie die Inflation bekämpft werden könnte. Sehr spät, aber doch, folgen ihr immer mehr Regierungen.
Sie ist gegenwärtig die wohl meistdiskutierte Wirtschaftswissenschaftlerin der Welt, der neue Star am Ökonominnen-Himmel. Isabella Weber, Professorin an der Universität im beschaulichen Amherst in Massachusetts, zwei Autostunden von Boston entfernt. Seit sie Preiskontrollen zur Bekämpfung der Inflation vorgeschlagen hat, wird sie im britischen Guardian diskutiert, entfachte Kontroversen in der „New York Times“, und nicht nur die neoliberalen Mainstream-Ökonomen reagieren geradezu panisch auf die Vorschläge der 35-jährigen, aus Nürnberg stammenden Wissenschaftlerin. Auch Nobelpreisträger Paul Krugman geriet in Rage. „Einfach dumm“, nannte er ihre Vorschläge, wofür er sich hinterher entschuldigte. Eine Armada an linken Forscherstars wiederum sprang ihr zur Hilfe. Wie etwa James K. Galbraith oder Stephanie Kelton. Innerhalb von gerade etwas mehr als einem Jahr haben sich Webers Vorschläge aber allmählich durchgesetzt. Die deutsche Bundesregierung hat sie in ihre „Preiskommission“ zu Regulierung des Gasmarktes berufen.

„Die Frau, die den Preisdeckel erfand“, feierte der deutsche „Spiegel“ Isabella Weber

„Bei einer Inflationsdynamik muss man immer genau betrachten, mit welcher Inflation man es zu tun hat“, erklärt Weber. „Natürlich kann es eine Inflation geben, die primär ein Ergebnis steigender Nachfrage ist.“ Also etwa, wenn die Wirtschaft brummt, Vollbeschäftigung herrscht, die Arbeitnehmer hohe Lohnerhöhungen durchsetzen. „Aber das ist ja nicht unsere Situation. Wir haben steil ansteigende Energiepreise und einen Angebots-Schock. Und in einer solchen Situation muss man mit den Maßnahmen reagieren, die dafür passen.“ Preiskontrollen haben den neoliberalen Ökonomen-Mainstream und die rechten Politik-Eliten auch deshalb so in Panik versetzt, weil das Mantra von freien Märkten, auf denen freie Unternehmen freie Preise setzen, zu einem Dogma geworden ist. Dabei waren in vielen Epochen der Geschichte Preise kontrolliert, reguliert, um optimale wirtschaftliche Ergebnisse zu erzielen.

Eine Inflationsdynamik wie die Gegenwärtige hat eine Reihe von Gründen. Gerissene Lieferketten, erst durch die Pandemie, dann durch den Krieg; steil ansteigende Energiepreise. Schockartige Ungleichgewichte. Dann steigen manche Preise, und es führt zu Verheerungen, wenn man nichts unternimmt. Die Inflationsspirale bekämpft man dann am besten, bevor sie überhaupt in Gang geraten ist. Bereits vor einem Jahr hat Weber mit dem Chefökonomen des deutschen IMK-Instituts, Sebastian Dullien, einen Plan für einen Gaspreisdeckel ausgearbeitet. Die grobe Idee dahinter: Ein Grundverbrauch von etwa 80 Prozent des jeweiligen Vorjahrsverbrauchs eines Haushaltes unterliegt der „Preisbremse“, alles darüber wird zu den höheren Marktpreisen verrechnet. Der Gedanke dabei: Damit sind die Grundbedürfnisse gesichert, doch die Haushalte haben dennoch einen Anreiz, zu sparen. „Unser Ziel war, die Grundbedürfnisse vom Preisschock zu schützen, und dennoch die Preissignale wirken zu lassen.“ Am Ende haben viele Regierungen ihre Pläne aufgegriffen.

Wenn sich die Gierflation verselbstständigt

Isabella Weber musste sich dennoch viel anhören, dass sie etwa eine Planwirtschaft befürworte. All das ist freilich Unfug. „Preissignale sind extrem wichtig für eine Marktwirtschaft“, unterstreicht sie. „Aber es gibt Situationen, wo Preise nicht so funktionieren, wie wir sie uns vorstellen. Normal sollte es doch so sein: Der Preis geht hoch, daher zieht auch das Angebot nach. Dann gibt es mehr Güter am Markt, und der Preis fällt wieder. Aber es gibt auch Situationen, in denen es ganz anders läuft.“

Heute ist viel von „Gierflation“ die Rede, weil die Unternehmen, nachdem sie selbst mit höheren Kosten konfrontiert waren, die Preise stärker erhöhten, als notwendig gewesen wäre. Die Gewinne der Unternehmen steigen, währen die normalen Leute ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen können. Sie selbst, sagt Weber, würde den Begriff „Gierflation“ nicht verwenden, weil es „nicht darum geht, dass man das als moralisch verwerfliches Verhalten kritisiert. Dass Unternehmen versuchen, ihre Profite zu erhöhen, ist in einer Marktwirtschaft normal. Man muss aber genau darauf schauen, was ihnen das ermöglicht. In einer Schocksituation können Unternehmen ihre Preise steigern, ohne dass sie befürchten müssen, Kunden zu verlieren. Wenn eine solche Dynamik sich verallgemeinert, kann das ein Eigenleben annehmen.“

Wenn man freie Preisbildung ohne Preiskontrollen laufen lässt, wird man verheerende Auswirkungen haben: Konsumenten verarmen, wichtige Unternehmen verschwinden vom Markt, einzelne Sektoren machen Mega-Gewinne. Dennoch halten die Anhänger völlig liberalisierter Märkte bis heute am Mantra fest, dass sich die Regierungen aus der Preissetzung raushalten sollen. Wie etwa der österreichische Finanzminister, der stets bekundet, Inflationsbekämpfung wäre Sache der Europäischen Zentralbank. Was gern verschwiegen wird: Bekämpft die Zentralbank die Inflation mit Zinserhöhungen, setzt sie auf einen simplen, aber unschönen Mechanismus. Höhere Zinsen verteuern Investitionen, Unternehmen weiten ihre Produktion dann nicht aus, es werden weniger Jobs geschaffen, die Konjunktur wird abgewürgt, mehr Menschen sind arbeitslos. Alles zusammen reduziert die Nachfrage und dämpft dann die Preise.

Isabella Weber auf Tournee

Viel daheim in Massachusetts ist Isabella Weber in diesen Monaten nicht. Gerade ist sie auf Europa-Tour, um ihr jüngstes Buch vorzustellen: „Das Gespenst der Inflation.“ Eigentlich handelt das Buch in weiten Teilen davon, wie China den Übergang zur Marktwirtschaft und ein Wirtschaftswunder schaffte. Weber vergleicht die Mittel, die die chinesischen Wirtschaftsreformer anwandten, mit ähnlichen Konzeptionen, die etwa die USA im Vorfeld, während und nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgten. Fazit: Überall dort, wo brutale Preisschocks durch Regulierungen vermieden wurden, begründete das eine Erfolgsgeschichte. Aber: „Es gibt kein Modell, das immer passt“. Man braucht einfach pragmatische Lösungen. Nur Ideologen glauben an simple Lösungen – wie etwa die Fundamentalisten, die jeden Markteingriff für Teufelszeug halten.

Über den/die Autor:in

Robert Misik

Robert Misik ist Journalist, Ausstellungsmacher und Buchautor. Jüngste Buchveröffentlichung: "Die falschen Freunde der einfachen Leute" (Suhrkamp-Verlag, 2020). Er kuratierte die Ausstellung "Arbeit ist unsichtbar" am Museum Arbeitswelt in Steyr. Für seine publizistische Tätigkeit ist er mit dem Staatspreis für Kulturpublizistik ausgezeichnet, 2019 erhielt er den Preis für Wirtschaftspublizistik der John Maynard Keynes Gesellschaft.

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