Globale Solidarität: Das andere „gute Leben“

Porträt Alexander Behr. Er findet, dass die Klimakrise nur durch internationale Solidarität gelöst werden kann.
Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger Senkung des CO2-Ausstoßes sei laut Alexander Behr unrealistisch. Stattdessen brauche es De-Growth in bestimmten Bereichen. | © Markus Zahradnik
Die Klimakrise ist nur durch internationale Solidarität bewältigbar. Davon ist der Wiener Autor und Politikwissenschaftler Alexander Behr überzeugt. Doch was heißt das eigentlich, und was geht Gewerkschafter:innen das an?
Die Menschheit hat dringende Probleme zu lösen: Schon im ersten Satz seines Buches „Globale Solidarität – Wie wir die imperiale Lebensweise überwinden und die sozial-ökologische Transformation umsetzen“ nimmt Alexander Behr zur Verdeutlichung Rudi Dutschke zu Hilfe. „Wir haben nicht mehr viel Zeit“, so die Mahnung des deutschen sozialistischen Aktivisten auf dem Berliner Vietnam-Kongress im Jahr 1968. Jetzt schreiben wir das Jahr 2023, und der Begriff „Vielfachkrise“ steckt in aller Munde. „Die Klimakatastrophe wirkt heute als Brandbeschleuniger für alle anderen Krisen – seien es soziale, ökonomische und ökologische Krisen oder kriegerische Auseinandersetzungen“, schreibt Alexander Behr in seinem Buch. Dass die Klimakrise internationale Solidarität benötigt, ist für Behr unumstößlich.

Besonders der globale Norden habe einen Beitrag zu leisten, betont Behr im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft: „Deshalb arbeite ich ja auch sehr stark mit dem Begriff der imperialen Lebensweise, weil die meisten Menschen im globalen Norden auf Kosten der meisten Menschen des globalen Südens, der Umwelt und des Klimas leben.“ Dies sei messbar, am einfachsten durch den CO₂-Fußabdruck. Es gebe aber auch Indikatoren, die mit der Ausbeutung der Arbeitskraft zu tun haben: „Es jährt sich am 24. April 2023 zum zehnten Mal das Unglück von Rana Plaza, als über 1.000 Menschen durch den Einsturz eines Dachs einer Näherei in Bangladesch gestorben sind. Hier offenbarten sich die tödlichen Konsequenzen der Billigmode von KiK, H&M, Lidl und Co.“

Lieferketten im Visier

Behr plädiert deshalb dafür, dass Gewerkschaften globale Liefer- und Wertschöpfungsketten ins Visier nehmen. „Dafür müssen die Gewerkschaften hierzulande aber ernsthafte, stabile und verlässliche Partner:innen für die Gewerkschaften und sozialen Bewegungen im globalen Süden sein“, so Behr. Zwar gebe es bereits einige Formen der Vernetzung, diese seien aber noch zu schwach aufgestellt. „Man merkt, dass die Gewerkschaften im globalen Norden das nie zu ihrer Priorität erklärt haben. Es gibt ja durchaus Initiativen, zum Beispiel, dass Betriebsrät:innen der Handelskonzerne H&M und ZARA ihre Kolleg:innen in Bangladesch besucht haben. Das geht aber immer von den Rändern der Gewerkschaft aus und kommt nicht aus dem Zentrum.“ Dabei habe gerade die Basis der Gewerkschaften, und hier besonders die Betriebsrät:innen, eine wichtige Rolle zu spielen. „Dafür muss aber die Gewerkschaftsbewegung den Betriebsrät:innen auch die dafür nötigen Ermächtigungen geben. Globale Kontakte brauchen Raum und Zeit. Und die Gewerkschaften hierzulande müssen sich die Forderungen aus dem globalen Süden zu eigen machen, und in die Verhandlungsgremien der Sozialpartnerschaft mitnehmen.“

Tomaten vor Augen

Seit Jahren betreibt Alexander Behr Solidaritätsarbeit mit einer migrantischen Gewerkschaft in der südspanischen Hafenstadt Almeriá. Almeriá liegt in der Region Andalusien. Und für Alexander Behr befindet sich genau hier „einer der Hotspots der Gemüseproduktion in Europa“, an dessen Beispiel sich die Notwendigkeit globaler Solidarität konkretisieren lässt. „Hier wird ein Großteil des Wintergemüses für die europäischen Supermärkte produziert“, erklärt er. „Ein ganz großer Teil der zwischen November und Februar hier erhältlichen Paprika, Tomaten, Auberginen und Gurken stammen aus dieser Region.“ Die Produktionsbedingungen in Almeriá seien extrem ausbeuterisch und problematisch, so Behr. Mehr als 100.000 Menschen seien vor Ort dadurch betroffen. „Gleichzeitig ist der Lebensmittelhandel in Österreich extrem konzentriert. Er befindet sich in der Hand von drei Konzernen. Und die müssen mittels Lieferkettengesetzen in die Pflicht genommen werden, damit sich die Produktionsbedingungen in Südspanien und anderen Orten verbessern können.“

 | @ Adobestock/Caterina_Pak
Mehr als 100.000 Menschen sind von den extrem ausbeuterischen und problematischen Produktionsbedingungen in Almeriá betroffen. | @ Adobestock/Caterina_Pak

Allerdings sei es damit nicht getan. Der globale Süden sei auch direkt in Österreich zu finden, sagt Behr, dessen aktivistische Wurzeln im Landwirtschaftsbereich liegen. „Das strukturelle Problem der Profitmaximierung finden wir auch in Österreich, zum Beispiel im Marchfeld. Es ist der Sezonieri-Kampagne zu verdanken, dass dies inzwischen öffentlich thematisiert wurde. Aber auch die Sezonieri-Kampagne ist von den Rändern der Gewerkschaftsbewegung her entstanden. Sie hat mit bescheidenen Mitteln vorgezeigt, was möglich und nötig ist – etwa indem mit in anderen Sprachen verfassten Flugblättern auf die Arbeiter:innen auf den Feldern zugegangen wird, um diese über ihre Arbeitsrechte aufzuklären. So etwas braucht es im großen Stil.“

Sozialökologische Raserei

Insgesamt stellt Behr die Logik von Profit- und Wirtschaftswachstum infrage. Wirtschaftswachstum bei gleichzeitiger Senkung des CO2-Ausstoßes, wie dies unter anderem die EU mit ihrem „European Green Deal“ vorhat, hält er für undurchführbar und wissenschaftlich widerlegt. Er sagt: „Was wir brauchen ist De-Growth, Wachstumsrücknahme. Wohlgemerkt in bestimmten Bereichen. Wir müssen runter vom hohen Fleischkonsum, der individuellen Automobilität, der Containerfracht, dem Flugverkehr. Luxusemissionen wie Kreuzfahrtschiffe und Privatjets gehören ohnehin abgeschafft. Das bedeutet runter von der sozialökologischen Raserei. Das muss sich die Gewerkschaft zu eigen machen und ernst nehmen.“

Der „Raserei“ stellt Behr die Vision eines entschleunigten, auch durch Arbeitszeitverkürzung ermöglichten „guten Lebens“ entgegen. Dessen Kern sei durch einen „Infrastruktursozialismus“ zu ermöglichen. „Dieser Begriff bedeutet, dass alle Grundbedürfnisse der Menschen abgesichert sein müssen“, sagt Behr. „Dazu gehören günstige Mieten, gratis Gesundheitsversorgung und Bildung, günstigere oder sogar Gratis-Mobilität für alle sowie der Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel. Die Versorgung mit biologischem Essen in öffentlichen Kantinen gehört auch dazu. Dieser Infrastruktursozialismus ist neben guten Löhnen ein weiteres wichtiges Element dafür, dass Menschen nicht in die Armut abrutschen.“

Der so entstehende „Zeitwohlstand“ ermögliche es, Sorgearbeit ins Zentrum zu nehmen. Dazu gehöre „die Sorge um den Freundeskreis, die Familie, vielleicht den eigenen Garten. Das wäre ein anderer Begriff von Fortschritt und Wohlstand, anstatt übers Wochenende mal schnell in den Billigflieger zu steigen oder jeden zweiten Tag Fleisch am Teller zu haben.“ Doch damit es so weit überhaupt kommen kann, brauche es die Gewerkschaften, ist Behr überzeugt. „Die müssten diesen anderen Fortschritts- und Wohlstandsbegriff in Form von Aufklärung und Bildung, aber auch in Form von Kampagnen umsetzen. Dazu gehören auch Streiks sowie die mutige Solidarisierung mit den Klimabewegungen“, so Behr abschließend.

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