Die große Frage: Wozu eine EU-Richtlinie für Mindestlöhne?

Die große Frage. Eine Frau steht vor einem gelben Hintergrund und schaut nachdenklich.
Die große Frage | © Adobe Stock/Pormezz
Fragen über Fragen - das A&W Magazin sieht in seiner neuen Rubrik „Die große Frage“ genauer hin und stellt ganz konkrete Fragen. Und die Experten antworten. Heute: Politikwissenschaftler Thorsten Schulten über die EU-Richtlinie für Mindestlöhne.

Prägnante Fragen – klare Antworten. In der Rubrik „Die große Frage“ geht A&W den Dingen auf den Grund und fragt bei renommierten Expert:innen nach. Heute widmen wir uns dem Thema Mindestlöhne in der EU: Am 4. Oktober 2022 wurde durch den Rat der EU Geschichte geschrieben, die EU einigte sich überraschend auf eine Mindestlohnrichtlinie. Doch wozu braucht es überhaupt eine EU-Richtlinie für Mindestlöhne? Diese Frage beantwortet Thorsten Schulten, der Leiter des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf und Honorarprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen.

Wozu eine EU-Richtlinie für Mindestlöhne?

© Uli Baatz

„Es ist noch nicht lange her, als die EU dem neoliberalen Zeitgeist folgend ihre Mitgliedsstaaten drängte, Mindestlöhne abzusenken und KV-Systeme abzubauen. Gemessen daran markiert die neue Europäische Mindestlohnrichtlinie eine Wende um 180 Grad. Angemessene Mindestlöhne und starke KV-Systeme gelten nunmehr als zentrale Institutionen gegen Armut in Arbeit und für eine gerechtere Einkommensverteilung. Die EU-Richtlinie gibt den Mitgliedsstaaten wichtige Orientierungsregeln: Alle Länder, deren KV-Abdeckungsgrad unterhalb von 80 % liegt, sollen konkrete Aktionspläne zur Stärkung der KV-Systeme vorlegen (Anm. d. Red.: In Österreich sind etwa 98 Prozent der Dienstverhältnisse von kollektivvertraglichen oder ähnlichen Regelungen erfasst).  Darüber hinaus sollen Mindestlöhne auf ein angemessenes Niveau angehoben werden. Dieses orientiert sich an international üblichen Referenzwerten wie 60 % des Median- oder 50 % des Durchschnittslohns.

Während Österreich als KV-Weltmeister bei der Abdeckung kein Problem hat, besteht bei den Mindestlöhnen durchaus Handlungsbedarf. Hier kann die Mindestlohnrichtlinie helfen, den Niedriglohnsektor einzudämmen. Entsprechen doch die Referenzwerte für ein angemessenes Mindestlohnniveau ziemlich genau dem vom ÖGB geforderten KV-Mindestlohn von 2.000 Euro pro Monat.“

Über den/die Autor:in

Thorsten Schulten

Prof. Dr. Thorsten Schulten ist Leiter des Tarifarchivs des WSI der Hans-Böckler-Stiftung. Seine Arbeitsschwerpunkte beziehen sich auf international vergleichende Lohn- und Tarifpolitik, Arbeitsforschung und Industrielle Beziehungen.

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