Arbeit&Wirtschaft: Nur wenige werden wissen, was der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss ist. Worum handelt es sich, und was tut er?
Oliver Röpke: Der EWSA ist eine beratende Einrichtung der Europäischen Union, in der die gesamte Zivilgesellschaft versammelt ist. Er hat 329 Mitglieder, die sich auf drei etwa gleich große Gruppen aufteilen: Arbeitgeber:innen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen. Wir erarbeiten Stellungnahmen zu fast allen Gesetzesvorschlägen aus Sicht der Zivilgesellschaft. Wir versuchen, das im Konsens zu machen. Darüber hinaus kann der EWSA auch eigene Initiativen und Schwerpunkte setzen. Was aus meiner Sicht besonders wichtig ist: Der EWSA ist ein Gegengewicht zum Lobbyismus-Dschungel, für den Brüssel ja immer kritisiert wird.
Was wäre denn ein konkretes Beispiel für eine politische Schwerpunktsetzung durch den EWSA?
Die Stärkung der europäischen Mitbestimmung: Das war einer der Schwerpunkte meiner Gruppe im EWSA, die sich aus Vertreter:innen der nationalen Gewerkschaftsbünde aus allen Mitgliedsstaaten zusammensetzt. Hierzu haben wir eine Initiativstellungnahme erarbeitet und abgestimmt. Jetzt sehen wir, dass die EU-Kommission und die zukünftige spanische EU-Ratspräsidentschaft dieses Thema aufnehmen möchten. Wir glauben, dass Mitbestimmung im Unternehmen unter Einbeziehung der Arbeitnehmer:innen ein Erfolgsmodell ist.
Gerade die Mitbestimmung steht europaweit zunehmend unter Druck. Wie spiegelt sich das in der Arbeit des EWSA wider?
Das ist natürlich ein wichtiges Thema. Über die Dimension der Europäischen Säule „Soziale Rechte“ geht es auch darum, sozialpartnerschaftliche Strukturen und den Dialog zu stärken. Aber ich würde noch einen Schritt weitergehen, da wir als EWSA ja nicht nur die Gewerkschaften, sondern die gesamte Zivilgesellschaft vertreten. Leider geraten nicht nur weltweit, sondern auch in der EU zivilgesellschaftliche Organisationen einschließlich der Gewerkschaften zunehmend unter Druck. Die Freiräume werden geringer. Ich sehe es als einen Schwerpunkt des EWSA an, Demokratie, Grundrechte und partizipative Demokratie zu stärken und zu sichern, wo sie in Gefahr sind. Nicht erst seit den Ereignissen in Belarus wissen wir: Wenn Demokratie und Grundrechte gefährdet sind, dann leiden auch die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer:innen als erste darunter.
Vorhin haben Sie den Lobbyismus-Dschungel erwähnt. Befindet sich der EWSA in einer direkten Auseinandersetzung mit den Lobbyist:innen?
Lobbyismus ist ja an sich nichts Verwerfliches, so lange es transparent ist, so lange klar ist, wer welche Interessen vertritt. Aber dort, wo es zu starke Ungleichgewichte gibt, wird es aus meiner Sicht ungesund und demokratiegefährdend. Und deswegen ist der EWSA ein Gegenmodell, weil bei uns Gewerkschaften, Arbeitgeber:innen und NGOs auf Augenhöhe agieren. Und deshalb werden wir von den anderen Gremien der EU auch ernst genommen.
Dabei gibt es zwischen den drei Flügeln innerhalb des EWSA doch deutliche Interessengegensätze. Sorgt das für Konflikte bei der Positionsfindung?
Ja, durchaus. Die große Mehrheit unserer Stellungnahmen wird mit breiten Mehrheiten verabschiedet. Aber es gibt immer wieder Punkte, wo es Gegenstellungnahmen gibt. Zum Beispiel gab es im EWSA einen Konflikt rund um die Mindestlohnrichtlinie, der nicht aufzulösen war. Die Gewerkschaften und große Teile der NGOs haben gefordert, dass Europa auch bei den Löhnen aktiv werden soll. Die Arbeitgeber:innen waren da sehr skeptisch und haben das als eine rein nationale Angelegenheit angesehen. Im Endergebnis haben die Wirtschaftsvertreter:innen dann eine Gegenstellungnahme gegen die Mehrheitsmeinung im EWSA verfasst. Insgesamt versuchen wir immer einen Konsens zu erzielen, oder auch mögliche Kompromisslinien anzudeuten und vorzugeben. Nur dann haben unsere Stellungnahmen wirklich einen Mehrwert.