Vor dem Hintergrund von Mietpreis-Spiralen stellt sich die Frage: Gibt es das Grundrecht auf Wohnen wirklich, und wäre es nicht gerade jetzt als politisches Lenkungsinstrument von besonderer Bedeutung?
Geschäftsmodell Mieten vs. Grundrecht Wohnen
Harald Stöger, Senior Lecturer an der Johannes Kepler Universität Linz, dazu: „Wohnen sollte ein Grundrecht sein. Die Vereinten Nationen sprechen sogar von einem Menschenrecht auf angemessenen Wohnraum. Von einer Umsetzung sind wir jedoch noch weit entfernt.“
Die Wohnung ist in der Praxis immer
mehr zu einer Ware geworden ist,
mit der man als Investor:in eine
entsprechende Rendite erzielen kann.
Harald Stöger, Senior Lecturer an der Johannes Kepler Universität Linz
Die Frage des Grundrechts auf Wohnen wird besonders in Deutschland heiß diskutiert, wo Bund, Länder, Gemeinden und Städte mit den Auswirkungen des Verkaufs von einem großen Teil des vormals sozialen Wohnbaus an Immobilienkonzerne zu kämpfen haben. Mit dem Verkauf wurde ein neues lukratives Geschäftsmodell geschaffen: Gewinn durch Gentrifizierung samt enormer Mietpreisanstiege. Gleichzeitig bedeutet es, dass die Politik ihre sozialpolitische Gestaltungs- und Lenkungsmöglichkeiten durch den Wohnbau aus der Hand gab. Das Ergebnis der Marktbildung war ein steigendes Angebot an Eigentumswohnungen anstelle von leistbaren Mietwohnungen – entgegen der liberalen Wirtschaftstheorie, wonach sich das Angebot an der Nachfrage orientieren sollte.
Umdenken unumgänglich
Gerade jetzt wäre ein Grundrecht auf Wohnen von hoher Bedeutung, meint Stöger, da es ein sehr wirksames Mittel gegen eine marktorientierte Wohnungspolitik von Regierungen, gegen Wohnungsverlust und gegen Wohnungslosigkeit sei. Es müsse dringend gegengesteuert werden, weil, so Stöger, „die Wohnung in der Praxis immer mehr zu einer Ware geworden ist, mit der man als Investor:in eine entsprechende Rendite erzielen kann“.
„Sagen wir es so: Beim Thema Wohnen stellt sich die Frage einfach nicht, ob man wohnen will oder nicht. Wir alle müssen wohnen“, unterstreicht Elke Hanel-Torsch, Wiener Landesgeschäftsführerin der Mietervereinigung Österreich. Wichtig sei daher die Struktur des Wohnraums, der zur Verfügung gestellt werden soll – mehr Eigentum oder mehr leistbare und sichere Mietwohnungen. Dass in Österreich ein Umdenken in Richtung eines höheren Stellenwerts des leistbaren Wohnens dringend notwendig sei, zeige die Debatte zur Mietpreisbremse, meint Hanel-Torsch und ergänzt: „Andere Länder haben vorgezeigt, dass es anders geht. Wie man sieht, ist das in Österreich nicht möglich.“
Der Weg zum Grundrecht sei noch ein langer, sind beide Expert:innen überzeugt. Jedoch – wie Stöger es auf den Punkt bringt: „Wir haben schon Instrumente in der Hand. Wir sollten sie nur nutzen.“ Für Hanel-Torsch ist ein soches Instrument etwa eine Reform des Mietrechts – hin zu einem Mietrecht für alle. Daneben sieht sie die Abschaffung von Befristungen als zentral, und: „Es braucht Strafen für Vermieter:innen, wenn sie sich nicht an Gesetze halten. Es ist eine Kuriosität, dass anders als bei anderen Gesetzen den Vermieter:innen bei Nichteinhaltung keinerlei Konsequenzen drohen, selbst bei wiederholten Verstößen.“
Spirale nach oben
Kurzfristig wirksam umgesetzt werden könne eine Mietpreisbremse. „Denn“, so Hanel-Torsch, „wir haben eine Spirale nach oben.“ Diese müsse durch die Entkoppelung der Mietzinsanhebungen von der Inflation unterbrochen werden. Bereits im Juli 2023 stehe eine weitere Erhöhung der Kategoriemieten an, und sie rechnet vor: „Das heißt, wir stehen bei einer Mietpreissteigerung um 20 Prozent innerhalb von eineinhalb Jahren. Den Kaufkraftverlust, den wir derzeit erleben, tragen also die Mieter:innen, während den Eigentümer:innen das Geld zufließt.“ Diese dürften immer weiter erhöhen, ohne dass für sie die Ausgaben für die vermieteten Wohnungen steigen. Denn, so Hanel-Torsch: „Die regelmäßig wiederkehrenden Kosten tragen die Mieter:innen über die Betriebskosten (z. B. Versicherung des Hauses, Grundsteuer, Müll, Wasser, Hausverwaltung etc.). Die Erhaltungsarbeiten sind aus der Mietzinsreserve zu decken.“ Die Vermieter:innen wälzen also im Rahmen der Betriebskosten die Steuer auf Eigentum und die Versicherung von Eigentum auf die Mieter:innen um.
Umdenken notwendig
Vor diesem Hintergrund erweist sich die von der Regierung aufgelegte zusätzliche Wohnförderung in der Höhe von durchschnittlich 200 Euro pro antragsberechtigten Haushalt als glatter Hohn. Ebenso hält die immer wieder ins Treffen geführte notwendige Erhöhung der Mieten, um die gestiegenen Kosten für Sanierungsarbeiten abfedern zu können, einem genauen Blick nicht stand. „Ja, die Erhaltungskosten steigen“, bestätigt Hanel-Torsch, „aber ich muss ein Haus auch nicht jedes Jahr renovieren. Vielmehr wird ein Haus durchschnittlich alle 20 bis 30 Jahre saniert. Natürlich gibt es kleinere Arbeiten, die anstehen, aber ich glaube, das ist gut schaffbar, wenn man die Miete nur um 2 Prozent pro Jahr erhöht. Da ist noch genug Geld dafür da.“
Sagen wir es so:
Beim Thema Wohnen stellt sich
die Frage einfach nicht,
ob man wohnen will oder nicht.
Wir alle müssen wohnen.
Elke Hanel-Torsch, Wiener Landesgeschäftsführerin der Mietervereinigung Österreich
Sie regt auch hier pointiert zu einem Umdenken an: „Vielleicht müssten wir uns ansehen, welche Vermieter:innen mit dem Geld für Sanierungen bei einer Mieterhöhung von 2 Prozent nicht auskommen. Und die, die es tatsächlich nicht schaffen, mit den Mieteinnahmen ein gutes Leben zu führen, die kann man unterstützen. Ich glaube, da geben wir weniger Steuergeld aus, und die Regierung kann gezielt fördern.“
Kosten mit Folgewirkung
„Gleichzeitig erkennen wir mittlerweile, dass die sozialen Unterschiede im Bereich des Wohnens immer größer werden“, so Stöger. Dabei war es besonders in den Nachkriegsjahren und -jahrzehnten ein politisches Anliegen, die soziale Differenzierung möglichst klein zu halten. „Die Wohnsituation von Arbeiter:innen sollte sich nicht grundlegend von jener der Angestellten unterscheiden. Man war bestrebt, mehr Gleichheit in die Wohnversorgung zu bringen“, führt Stöger aus und resümiert: „Jetzt ist erkennbar, dass die sozialen Unterschiede größer werden. Eine Gesellschaft, die sich aufgrund von Grundbedürfnissen auseinanderentwickelt, bekommt ein Problem.“
Die hohen Wohnkosten wirken sich jedoch nicht nur auf das Haushaltsbudget aus. „Schlechte Wohnverhältnisse haben oft eine psychische Konsequenz“, betont Stöger und beruhigt gleichzeitig: „Österreich hat im Vergleich zu Deutschland darauf verzichtet, den sozialen Wohnbau zu umfassend zu privatisieren, und verfügt daher über einen großen Bestand an günstigen und bezahlbaren Wohnungen, was die Mietkosten zumindest einigermaßen dämpft.“
Etappenziele
Dass es eine Lenkungswirkung für Wohnraum braucht, sehen beide Expert:innen als unbestritten an. Diese Lenkungswirkung liegt entsprechend der föderalen Struktur und den Kompetenzverteilungen der Verfassung beim Bund. Denn dieser ist für Wohnungspolitik, wie etwa das Mietrecht, verantwortlich. Die Länder haben die Möglichkeit, Wohnbauförderungen zu vergeben, können jedoch keine gesetzlichen Maßnahmen wie Mietpreisbremsen oder tatsächlich wirkungsvolle Leerstandsabgaben erlassen.
„Wenn der Markt versagt, braucht es Regeln. Gerade beim Grundrecht #Wohnen ist das notwendig“, so unser Präsident Peter Eder. Und der Markt hat versagt, wie eine aktuelle @wifoat-Studie zeigt. Deswegen braucht es eine Obergrenze für #Mieten. #AKforderthttps://t.co/CSfOq7vk1x
— Arbeiterkammer Salzburg (@AKSalzburg) March 23, 2022
Daher ist die Regierung gefragt, die Wohnungspolitik so zu gestalten, dass sie langfristig eine sozial gerechte Lenkung ausübt. Denn eine verfehlte Wohnungspolitik hat massive gesellschaftliche, wirtschaftliche und gesundheitliche Auswirkungen auf eine Volkswirtschaft und ihre Bevölkerung.