„Die Situation ist zwar ernst, aber ich bin kein Alarmist“, sagt Stefan Schleicher, Professor am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel an der Universität Graz. Er sieht es nüchtern: „Wenn die Winter wärmer und trockener werden, dann bekommen wir eben weniger Schnee.“ Das wirkt sich auf den Fremdenverkehr und die winterliche Buchungslage aus, wenn Skifahrer:innen nur noch auf künstlich beschneiten Schneebahnen talwärts carven können.
Winterlicher Kollaps
Unterm Strich wird der heurige Winter nach Angaben von GeoSphere im Tiefland als sechstwärmster Winter und auf den Bergen als zwölftwärmster Winter in die österreichische Wettergeschichte – also seit es Messungen gibt – eingehen. Neben der schleichenden linearen Wetterveränderung, die am Ende zu dem führt, was wir Klimawandel nennen, registrieren die Forscher:innen auch sogenannte Kipppunkte im Klimasystem. Das sind kritische Grenzwerte, bei denen schon eine kleine zusätzliche Störung genügen kann, um eine qualitative Veränderung im System auszulösen.
„Solche Kippelemente reagieren oft lange Zeit nur wenig auf den Klimastress“, sagt Marc Olefs, „aber wenn die Belastung dann nur geringfügig weiter zunimmt, kann es zum Umkippen kommen.“ Zum Beispiel könne so ein Kipppunkt das Austrocknen des amazonischen Regenwalds oder den Kollaps des Grönländischen Eisschilds auslösen. Auswirkungen zum Beispiel durch Überflutungen erfolgen aber auch wieder plötzlich durch Extremwetterereignisse: Wenn der Wasserpegel bei einem Hochwasserereignis nur bis zur Türschwelle steigt, dann ist der Schaden null. Steigt das Wasser weiter, ist der Schaden immens.
Die Uhr tickt
Olefs zieht einen Vergleich: „Das ist wie bei Corona, wo bei Extremen nur noch der Shutdown übrig bleibt, weil Krankenhäuser mit Patient:innen übergehen. Da wir aber beim Klima nicht alle unsere Aktivitäten auf null stellen können, müssen wir nach und nach und vor allem rasch handeln. Gleichzeitig können wir beim Klima nicht von der Vergangenheit auf die Zukunft schließen.“ Das könne laut Olefs tödlich sein, „da wir bei vielen Klimaprozessen nicht linear, sondern exponentiell denken müssen“, zudem werde die Klimakatastrophe mit jeder zusätzlichen Tonne CO2 weiter angeheizt. 90 Prozent der Überschussenergie gehen in die Ozeane. Das ist eine riesige Menge an Wärmeenergie. Das kann zu schlagartigen Änderungen führen, auch weil das freigesetzte CO2 bis zu 100.000 Jahre in der Atmosphäre bleibt.
Es geht auch um die Demokratisierung der
Produktionsprozesse. Denn der Markt regelt nichts,
außer dass die Reichen reicher werden.
Alois Stöger, leitender Sekretär für Sozialpolitik der Pro-Ge
Es gibt zwar mittlerweile erste technische Anlagen, mit denen CO2 wieder aus der Atmosphäre entfernt werden kann. Das ist aber gleichermaßen schwierig wie kostspielig: Die derzeitige globale Kapazität dieser Anlagen entzieht der Atmosphäre etwa 8.000 Tonnen CO2 pro Jahr. Das entspricht dem ökologischen Fußabdruck eines Milliardärs. Eine Tonne umzuwandeln kostet derzeit rund 950 Euro. 8.000 Tonnen kosten demnach 7,6 Millionen Euro. Zum Vergleich: Derzeit emittieren wir auf der Erde rund 60 Milliarden Tonnen klimawirksame Treibhausgase im Jahr, zwei Drittel davon sind CO2 . Die Kosten dafür, das CO2 umzuwandeln, belaufen sich auf 38 Billionen Euro. „Das wäre weder technisch noch wirtschaftlich sinnvoll“, sagt Olefs. Besser sei es, die Emissionen zu verringern – und die Uhr tickt.
Spürbare Extreme
Eine weltweite Klimaerwärmung um einen zusätzlichen Grad bedeutet für Österreich ein Plus von zwei Grad. Hinzu kommt laut Olefs, „dass Niederschlagsextreme pro Grad um 10 Prozent steigen“. In der Südoststeiermark mache sich das schon seit vielen Jahren mit Starkregen und Murenabgängen bemerkbar.
Insgesamt zeigen sich Wetterextreme im Inland durch mehr Gewitter, durch die Zunahme an Starkniederschlag und auch durch Stürme im Frühjahr. Es gibt deutlich weniger Tage mit leichtem Regen. Weil insgesamt mehr Energie im System ist, registriert GeoSphere auch größere Hagelkörner. Denn der ganze Wasserkreislauf ist angekurbelt. Die Folge sind Schadenereignisse, und auch pluviale, durch Starkregen verursachte Hochwasser nehmen zu, wenn der Boden kein Wasser mehr aufnehmen kann.
Hitze tötet
Hitze, also vor allem ab Temperaturen jenseits der 35 oder gar 40 Grad Celsius, sei in Österreich mittlerweile „die tödlichste Naturgefahr“, sagt Olefs: „In vier der vergangenen zehn Jahre gab es bereits mehr Hitze- als Verkehrstote.“ Das sticht auch klar aus dem Hitzemortalitätsmonitoring der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit hervor – mit einer starken hitzebedingten Übersterblichkeit. „Das wird weiter zunehmen“, fürchtet er.
Brennend heiße Tage, an denen der Asphalt auf Gehsteigen Blasen bildet, und Tropennächte, in denen die Temperatur nicht mehr unter 20 Grad Celsius absinkt, haben nicht nur Auswirkungen auf unser Wohlbefinden, sondern sind Ursache für Schlafstörungen, besonders in Ballungsräumen.
Drastischer Leistungsabfall
Enorme Hitze hat Effekte auf unsere Leistung. Der Grazer Professor Karl Steininger, ebenfalls am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel, hat die Veränderung der Produktivität von Beschäftigten durch Hitze untersucht. So verursacht der Klimawandel im Zeitraum 2016 bis 2045 Produktivitätsverluste von bis zu rund 40 Millionen Euro pro Jahr und im Zeitraum von 2036 bis 2065 sogar von bis zu rund 140 Millionen Euro jährlich. Laut Steininger ist der Großraum Wien besonders betroffen – sowohl an Einzeltagen als auch im jährlichen Durchschnitt. Bei Menschen, die unter freiem Himmel schwer körperlich arbeiten, sieht Steininger „eine Abnahme der Leistungsfähigkeit um bis zu 70 Prozent“. In Regionen wie St. Pölten, Linz-Wels, der Oststeiermark und Graz rechnet Steininger an heißen Einzeltagen mit einem Abfall der Leistung in der Größenordnung von 40 Prozent.
Steininger bringt ein Beispiel: Wenn die Leistungsfähigkeit sinkt, nimmt auch die Produktivität in einer Fahrzeugproduktion ab, weil Beschäftigte etwa aufgrund von Hitze in Krankenstand gehen müssen. So kann die Herstellung eines Fahrzeugs länger dauern. Dann werden Autos teurer. Und am Ende pflanzt sich die geringere Produktivität fort, sodass auch andere Sektoren teurer einkaufen müssen.
Auswirkungen auf die Landwirtschaft
Auch abseits der Produktivität hat ein sich änderndes Klima Auswirkungen auf die Wirtschaft. So wirken sich Trockenheit und Hitze auf die Land- und Forstwirtschaft aus. Beim Forst leiden Baumsorten wie die Fichte längst an Trockenstress. Hohe Temperaturen und wenig Niederschlag haben im Jahr 2018 zu geradezu paradiesischen Zuständen für Borkenkäfer gesorgt. 5,2 Millionen Kubikmeter Holz fielen den Schädlingen allein 2018 zum Opfer. Aufgrund der Trockenheit können sich die Bäume nicht mehr gegen die Käfer wehren. Auch wenn Österreichs Waldfläche momentan noch wächst: Durch den Anstieg von Schadholzmengen kann der Wald als Kohlenstoffspeicher wanken. Das Verbrennen von Biomasse beurteilt der Ökonom Schleicher jetzt schon als „heikel, weil wir an eine kritische Grenze gekommen sind und die Wälder nicht mehr die CO2 -Senke sind, die sie einmal waren“.
Österreich wird in Zukunft also klimafitte Baumarten auspflanzen müssen – die schon jetzt bereit für Österreichs künftiges Klima sind und sich schon in klimatisch vergleichbaren Gegenden bewähren.
Gravierende Auswirkungen
Auf die Wirtschaft hat der Klimawandel gravierende Auswirkungen. So bedeuten weniger Schneefälle weniger Wasserkraft. „Das bekommen wir jetzt schon heftig zu spüren“, sagt der Wirtschaftsforscher Stefan Schleicher. Der Grund: „Die erneuerbare Wasserkraft wird erheblich weniger. Die einst gute Basis geht uns langsam verloren.“ Auch wenn der Ausbau der Photovoltaik zum Teil stark zunimmt (während der Ausbau der Windkraft schwächelt), bleibt der Anteil der erneuerbaren Energien in Österreich konstant bei rund 30 Prozent. Den nächsten Schub erwartet Schleicher erst durch das sogenannte Repowering, also wenn kleine Windanlagen vom Netz gehen und durch große ersetzt werden. In der Regel wird die Kapazität dann verdreifacht.
In Summe müssten in Österreich jede Woche drei neue Windturbinen mit einer Leistung von jeweils sechs Megawatt ans Netz gehen. „Doch davon sind wir weit weg.“ Und nur Dachflächen für Photovoltaik zu nützen sei laut Schleicher nicht ausreichend: „Wir müssten Photovoltaikpaneele wie in der Schweiz auch in die Gebäudehülle integrieren.“
Die großen Baustellen
Was für Schleicher vor dem Klima kommt, ist, „dass wir mehr aus Energie herausholen“. Und hier nennt er die Schweiz als Vorbild. „Dort entstehen auf alten Industrieflächen ganz fantastische neue Entwicklungsgebiete.“ Deren Grundidee sei es, die Trennung zwischen Wohn- und Geschäftsgebäuden aufzugeben. Die Durchmischung führe zu kurzen Wegen. Und die Gebäude würden energetisch ausgereizt. Das Ergebnis sei eine hohe Gebäudequalität beim Heizen und Kühlen. Kühl- und Heizenergie werden lokal bereitgestellt, und auch elektrischer Strom wird zu zwei Dritteln lokal erzeugt. Als Wunderding bezeichnet er „die lokale Geothermie, gekoppelt mit Wärmepumpen. Auch der Mobilitätbedarf sinkt enorm“, schwärmt Schleicher.
Eine Herkulesaufgabe sei laut Schleicher auch der Umbau der Schwerindustrie: „Das wird sehr schwierig. Weil wir müssen die Emissionen bei der Stahl-, Kunststoff und Zementproduktion und auch beim Raffinieren von Rohöl sehr stark senken, damit wir zum Beispiel zu emissionsfreiem Stahl kommen.“ Bei diesem Thema geht es, merkt Alois Stöger, leitender Sekretär für Sozialpolitik in der Metallergewerkschaft Pro-Ge, an, „auch um die Demokratisierung der Produktionsprozesse“. Was es brauche, wenn Einkäufer:innen das billigste Produkt suchen und neue Wege entstehen, die zusätzlichen CO2 -Ausstoß verursachen? „Uns als Gesellschaft darf das nicht gleichgültig sein“, sagt Stöger. Und er fordert „ordnungspolitische Maßnahmen durch die Politik oder die Mitbestimmung der Arbeitnehmer:innen in Aufsichtsräten, weil der Markt nichts regelt, außer dass die Reichen reicher werden“, wie Stöger sagt.
Österreich als gefährdeter Nachzügler?
So müssen bei einem Produkt, das 500 Kilometer in Europa zurücklegt, mindestens 80 Prozent der Fahrleistung auf der Schiene erfolgen. Oder es müsse bei der Inbetriebnahme einer gewerblichen Anlage ein Verkehrskonzept geben. Zurück zum emissionsfreien Stahl: Hier sieht der Wirtschaftsprofessor einen globalen Wettlauf, bei dem „die Schweden, Dänen und Finnen schon viel weiter als wir sind und auch Deutschland stark aufholt: In all diesen Branchen waren wir Technologieführer, sind jetzt aber in der Situation des gefährdeten Nachzüglers.“
Der #IPCC-Report zeigt: #Treibhausgasemissionen müssen schnell verringert werden, sonst drohen 1,5 Grad bereits 2030. Doch statt zu handeln, kommt die #Regierung nicht in die Gänge. Österreich steht de facto seit 2021 ohne #Klimaschutzgesetz da.https://t.co/ysQ44vup8K
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) March 21, 2023
Schleicher vermisst in Österreich auch eine „breit geführte Diskussion um das Thema Wasserstoff“. Es sei auch zu wenig, „einige finanzielle Goodies unter dem Titel ‚grüne Transformation‘ zu verteilen. Dafür ist das Budget zwar bis 2030 mit 5,7 Milliarden Euro dotiert. Das ist aber viel zu wenig“, wie er sagt. Die Politik brauche seiner Meinung nach ein neues Selbstverständnis. Sie sollte sich heute als Möglichmacher verstehen, der unterstützend eingreift.
Hinter mir die Sintflut
Auch hier hakt Alois Stöger ein. Er kritisiert das Wirtschaftssystem, „bei dem die Steuerung nur nach Marktprinzipien erfolgt. Und diese sind: Geiz und Geilheit.“ Er kritisiert „große Industriegruppen, die sich ihre klimafreundlichen technischen Neuerungen vom Steuerzahler bezahlen lassen wollen“, und die Grünen, „die glauben, dass man mit einer Marktlogik Umweltschutz machen kann. Da irren sie.“ Denn am Ende der Transformation „bleiben die Arbeiter übrig, weil zum Beispiel in Elektrofahrzeugen keine Zylinderkopfdichtungen aus Aluminium mehr benötigt werden“. Hier sei die Frage zu klären, wie die Neuqualifikation für diese Menschen zusammengebracht werden kann. Und wenn Unternehmen, deren Produkte aus dem Markt fallen, zusperren müssen, „kann es nicht sein, dass hier mit einer Hinter-mir-die-Sintflut-Mentalität agiert wird. Das müssen wir gewerkschaftlich begleiten.“