Trotz Rechtsanspruch und Gesundheitsrisiken: Ausreichend Hebammen nur für Reiche

Ein Frau im Kreißsaal bringt ein Kind zur Welt. Symbolbild für den Mangel an Hebammen in Österreich.
In Österreich gibt es zu wenige Hebammen. Über den Kreißsaal gehen die Leistungen oft nicht hinaus. | ©Adobestock/Gorodenkoff
Bei Hebammen gibt es einen Personalnotstand. Österreich ist weit von den Empfehlungen der WHO entfernt. Nur der Oberschicht stehen die entsprechenden Dienste zur Verfügung.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, dass bei jeder Geburt eine Hebamme dabei sein sollte. In Österreich muss eine Hebamme gleich fünf Geburten betreuen. Eine Nachbetreuung ist beinahe unmöglich geworden. Dabei haben Mütter einen kostenfreien Rechtsanspruch darauf. Selbst die Pflege des Säuglings und der Mutter im Wochenbett muss vom ebenfalls überlasteten Pflegepersonal erledigt werden. Die Arbeiterkammer Wien  (AK) hat gemeinsam mit dem Österreichischen Hebammengremium (ÖHG) eine Studie zu Hebammen durchgeführt. Sie listet auf, was sich ändern muss.

Mangel an Hebammen: Österreich hinkt international hinterher

Österreich ist nicht nur von den Zielen der WHO weit entfernt. Auch im internationalen Vergleich hinkt das Land in Europa hinterher. Mit 29,9 Hebammen pro tausend Geburten rangiert Österreich im unteren Drittel. Nur in den Niederlanden, Ungarn, Lettland und Slowenien gibt es noch weniger Hebammen. Spitzenreiter ist Belgien mit über 70 Hebammen pro 1.000 Geburten.

Ein Säugling kurz nach Geburt in den Armen einer Hebamme.
Der Mangel an Hebammen in Österreich kann für Mütter und Säuglinge zu einem Gesundheitsrisiko werden. | © Adobestock/bevisphoto

Das führt dazu, dass es statt der geforderten 1:1-Betreuung in Österreich einen Schlüssel von 1:5 gibt. Die Hebammen reagieren natürlich auf diese Arbeitsbelastung. In Krankenhäuser ist die Arbeitsbelastung nur schwer zu steuern. Babys halten sich eben nicht an Zeitpläne. „Private Einrichtungen und freiberufliche Praxen sind Alternativen, die aber von werdenden Eltern privat bezahlt werden müssen. Das führt schlussendlich zu einer Zwei-Klassen-Versorgung“, fasst die Studie der AK die Folgen der hohen Arbeitsbelastung zusammen.

Fehlende Ausbildungsmöglichkeiten verschärfen Mangel

Erstaunlich ist, dass es eigentlich genug Menschen gibt, die den Beruf der Hebamme gerne machen möchten. Anders als in anderen Bereichen des Gesundheitswesens gibt es keine Flucht aus dem Beruf oder zu wenige Bewerber:innen. Im Gegenteil. Im Schnitt kamen im Ausbildungsjahr 2021/22 auf jeden Studienplatz rund 18 Bewerber:innen. Aber: „Aktuell gibt es in Österreich nur an zwei Fachhochschulen das Angebot, evidenzbasiertes geburtshilfliches Wissen zu vertiefen und einen Abschluss in „Advanced Practice Midwifery“ zu erlangen. Hier sind mehr berufliche Perspektiven zur Verfolgung einer Fachkarriere gefragt“, fordert die AK.

Das ist auch aus gesundheitlicher Sicht dringend notwendig. Denn der Mangel an Hebammen kann auf Mütter negative Auswirkungen haben. Traumatische Geburten bekommen nicht mehr die notwendige Aufmerksamkeit. Zusätzlich kommt es zu langen Phasen, in denen Mutter und Säugling während der Geburt alleingelassen werden. So steigt das Risiko von Komplikationen. Auch beim Pflegepersonal kommt es so zu Überlastung, Konflikten und einer gestiegenen Fehleranfälligkeit.

So viele Hebammen braucht Österreich

Die Studie der AK und des ÖHG analysiert außerdem, wie hoch der Bedarf an Hebammen in Österreich ist. Hierbei unterscheidet das Papier mehrere Zielsetzungen. Aktuell gibt es in Österreich 2.510 Hebammen. Bis zum Jahr 2032 werden allerdings 557 davon in Pension gehen. Diese Zahlen sind für alle Szenarien gleich. Das Basisszenario ist die jetzige Situation. Das bedeutet weiterhin einen Schlüssel von 1:5 und ausreichende Hebammenleistungen trotz Rechtsanspruch nur für Menschen, die sich diesen Service auch leisten können. Möchte die Regierung diesen Status quo beibehalten, müssen bis zum Jahr 2032 insgesamt 509 neue Hebammen eine Ausbildung abgeschlossen haben. Berücksichtigt man die Pensionierungen, wird es dann sogar 48 Hebammen weniger geben.

Die WHO fordert allerdings eine deutlich bessere Situation. Es geht dabei um die Gesundheit der Säuglinge und der Mütter. Um diese Auflagen zu erfüllen, benötigt Österreich im Jahr 2032 insgesamt 3.365 Hebammen. Die Pensionierungen mit einkalkuliert, braucht es in den kommenden neun Jahren also 1.412 Menschen, die den Beruf erlernen.

Damit das gelingt, muss die Regierung an zwei Stellschrauben drehen. An den Arbeitsbedingungen und an der Ausbildung. Für Krankenhäuser braucht es verpflichtende Personalvorgaben. Damit es ausreichend Arbeitnehmer:innen für die entsprechenden Berufe gibt, müssten zusätzlich Verbesserungen der Rahmenbedingungen und Entlastungsmaßnahmen für die Pflegeberufe durchgesetzt werden. Eine Ausbildungsoffensive für Hebammen könne helfen, den Personalbedarf zu decken, so die Studie. Hierbei gehe es um die Schaffung von zeitlichen Ressourcen für die praktische Ausbildung für eine fachgerechte. Begleitung und Anleitung der Studierenden. Das sei nur durch den Ausbau der Masterstudiengänge in Advanced Practice Midwifery für berufliche Fachkarrieren zu erreichen.

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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