Immer Anschluss unter dieser Nummer: Ständige Erreichbarkeit im Beruf

Eine Frau sitzt vor ihrem Laptop und schaut müde auf ihr Handy. Symbolbild für die ständige Erreichbarkeit, mit der Beschäftigte umgehen müssen.
Wenn die Abgrenzung fehlt: Für viele Beschäftigte geht die Arbeit selbst nach Feierabend digital weiter | ©Adobestock/Prostock-studio
Andauernde Informationsflut, keine Zeit für Pausen und nach dem anstrengenden Arbeitstag noch immer ruhelos: Beschäftigte berichten immer häufiger davon, dass ihnen die Abgrenzung nach Feierabend schwerfällt. Dabei ginge es auch anders: Arbeitszeitverkürzung lautet das Zauberwort.

Einfach mal das Handy weglegen – für viele Beschäftigte selbst nach Feierabend unmöglich. Denn in einem Wirtschaftssystem mit steigendem Arbeitsdruck, Überlastung und Stress, scheint der Aus-Knopf keine Option zu sein. Und das macht etwas mit Arbeitnehmer:innen: So hat der psychische Stress seit 2019 – dem Jahr vor der Corona-Pandemie – stark zugenommen, zeigt der Arbeitsklimaindex der Arbeiterkammer Oberösterreich. Für die ständige Erreichbarkeit zahlen Beschäftigte einen hohen Preis.

Ständige Erreichbarkeit: Informationsflut

Beschäftigte fühlen sich immer stärker mit Information konfrontiert, deren Relevanz sie nicht einschätzen können. Die Informationsauswahl hat sich zur eigenen Leistungsanforderung entwickelt. „Man muss ständig entscheiden: Welche E-Mail betrifft mich überhaupt? Viele Menschen fühlen sich dadurch überlastet – von der Fülle an Information an sich, aber auch von dem Zwang, permanent zu sichten und herauszufiltern, was überhaupt relevant ist“, betont Wolfgang Menz, Professor für Soziologie mit den Schwerpunkten Arbeit und Organisation an der Universität Hamburg.

Das Problem sind nicht die zehn Minuten,
in denen ich vielleicht abends zu Hause noch
eine E-Mail beantworte, sondern dass
man quasi ständig auf Stand-by ist. 

Wolfgang Menz, Uni Hamburg

Die Digitalisierung hat nicht nur auf die Produktivität der Arbeitnehmer:innen enormen Einfluss genommen, sondern auch auf die Bereitschaft zu arbeiten. Arbeit verlagert sich vermehrt ins eigene Zuhause. Die Ruhephasen werden so gestört, die Grenzen verschwimmen und die ständige Erreichbarkeit wird zur Norm. Mit der Corona-Krise und dem Arbeiten im Homeoffice haben sich Abgrenzungsprobleme weiter verschärft. Niemand scheint mehr zu wissen, was geht und was nicht. Wann muss man erreichbar sein, wann darf man die Kolleg:innen kontaktieren?  

Auf Stand-by

Dass technische Geräte, die immer im Stand-by-Modus und nie ganz abgeschaltet sind, Energie verschwenden, hat sich herumgesprochen. Beim Menschen verhält es sich nicht viel anders. „Das Problem sind nicht die zehn Minuten, in denen ich vielleicht abends zu Hause noch eine E-Mail beantworte, sondern dass man quasi ständig auf Stand-by ist“, sagt Menz. Man verliere dadurch Zeit und Raum, um völlig abschalten zu können. Es entstehe dadurch ein Verpflichtungsgefühl seitens der Beschäftigten, die ja grundsätzlich alle einen guten Job machen wollen. „Und dann tappt man gewissermaßen in die Falle, dass man sich mehr für Arbeitszwecke bereithält, als für einen gut ist“, sagt Menz. 

Es gibt auch so etwas wie selbst gemachten Stress. 

Wolfgang Menz, Uni Hamburg

Es wäre aber zu einfach, zu behaupten, dass nur die Unternehmen den Druck auf die Beschäftigten erhöhen, sondern die Arbeitnehmer:innen tun es auch selbst, etwa wenn sie – sei es aus Interesse oder Routine – außerhalb der Dienstzeit ihre E-Mails checken. Das Arbeitsrecht steht in Sachen Erreichbarkeit außerhalb der Dienstzeit jedenfalls eindeutig aufseiten der Beschäftigten. Tatsächlich erreichbar müssen Arbeitnehmer:innen nur dann sein, wenn eine Rufbereitschaft außerhalb der Arbeitszeit vereinbart wurde und bezahlt wird. „Es gibt auch so etwas wie selbst gemachten Stress. Die Sender erwarten ja oft gar nicht, dass man sofort auf die E-Mails reagiert. Man hält sich in gewisser Weise auch freiwillig bereit. Es ist deshalb wichtig, dass die Beschäftigten Begrenzungsverhalten an den Tag legen – wobei die individuelle Lösung meist nicht die beste Schutzregelung ist“, so Menz.  

Teilzeit, Leiharbeit

Ist das der Moment für ein Umdenken bei der Arbeitszeit? Laut herkömmlicher ökonomischer Logik ist es sinnvoll, Produktivitätsgewinne zumindest teilweise für eine Senkung der Arbeitszeit zu nutzen. Das passiert aber nicht. In Österreich wurde die Arbeitszeit seit 1975 mit der Einführung der 40-Stunden-Woche als Normalarbeitszeit nicht wesentlich verkürzt, während die Produktivität kontinuierlich steigt. So stieg im Zeitraum 1995 bis 2017 die Arbeitsproduktivität pro geleistete Arbeitsstunde um 32,5 Prozent.

Immer weniger Beschäftigte stemmen dank technologischen Fortschritts immer mehr Arbeit und stehen unter immer mehr Druck – was wiederum immer mehr Arbeitnehmer:innen dazu bewegt, selbst die Reißleine zu ziehen und – sofern sie es sich irgendwie leisten können – in die Teilzeit wechseln. Die AK OÖ hat hier konkrete Zahlen: Zwischen 1997 und 2019 haben zwischen fünf und acht Prozent der Vollzeitbeschäftigten den Wunsch geäußert, lieber in Teilzeit zu arbeiten. Die Pandemie hat dies drastisch verändert. Der Wert ist mittlerweile auf 18 Prozent gestiegen, wobei es bei Frauen 22 Prozent sind, aber immerhin auch 15 Prozent der Männer wollen lieber in Teilzeit arbeiten.

Eine alarmierende Entwicklung zeigt sich aktuell in der Pflege. Immer mehr Pfleger:innen hängen ihren fixen Job an den Nagel und wechseln stattdessen zu Zeitarbeitsfirmen. Denn die schaffen, wozu Spitalsbetriebe anscheinend nicht in der Lage sind: gute Personalplanung. Die Pfleger:innen haben bei der Zeitarbeitsfirma fixe Arbeitszeiten, müssen also keine Wochenenddienste und auch keine Nachtdienste schieben und vor allem nicht ständig bereit sein, einzuspringen. Was dieses Beispiel so deutlich macht: Es geht anders, man muss es nur wollen (sogar in der Bauwirtschaft funktioniert die 4-Tage-Woche). Doch dafür sind auch die Unternehmen gefragt.

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