Teilzeitzwang mit System

Porträt von Bettina Stadler, wissenschaftliche Mitarbeiterin der FORBA.
Hohe Teilzeitquoten erhöhen die Flexibilität für Unternehmen bei langen Öffnungszeiten, betont Bettina Stadler.
© Markus Zahradnik
Teilzeitarbeit liegt im Trend, vor allem bei jungen Menschen. Doch das ist nur die halbe Wahrheit: Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen lassen für Frauen oft keine Alternative zu. Und die Unternehmen freuen sich. „Wenn es wie im Handel lange Öffnungszeiten gibt, können diese durch Teilzeitbeschäftigte flexibel abgedeckt werden“, erklärt Bettina Stadler, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei FORBA.
Weniger arbeiten, mehr Freizeit. Das steht auf der To-do-Liste vieler junger Menschen ganz oben. Vor allem, weil viele bei ihren Eltern gesehen haben, wie aufreibend eine 40-Stunden-Woche mit Überstunden ist und wie viel an Lebensqualität dabei auf der Strecke bleibt. Liegen also Teilzeitstellen vermehrt im Trend? Sind sie sozusagen das hippe Arbeitszeitmodell für die Tik-Tok-Generation? In der Wirklichkeit bleibt von dem Wunsch nach Work-Life-Balance durch Teilzeit wenig übrig.

Statistik Austria veröffentlichte für das Jahr 2021 eine Teilzeitquote von 30 Prozent, wobei die Quote bei Frauen 49,6 Prozent und jene bei Männern rund 12 Prozent beträgt – mit deutlichen Auswirkungen auf den Verdienst. So liegt laut letzter Verdiensterhebung im Jahr 2018 das monatliche Bruttomedianeinkommen von Vollzeitbeschäftigten bei 2.742 Euro und jenes von Teilzeitbeschäftigten bei 1.244 Euro. Ein Gehalt, das nicht für ein selbstbestimmtes Leben reicht. Wie so oft geht es dabei um die Rahmenbedingungen – gesellschaftliche, politische und unternehmerische –, die Frauen oftmals keine andere Wahl lassen, als sich für Teilzeit zu entscheiden. Denn Männer übernehmen noch immer kaum die Kinderbetreuung, wie auch die Betreuung betagter Eltern. Dabei gäbe es Lösungen für eine faire Verteilung von Arbeit, wie Bettina Stadler, Mitglied des Leitungsteams von FORBA, und Ingrid Moritz, Leiterin der Abteilung „Frauen – Familie“ in der Wiener Arbeiterkammer (AK), erklären.

Teilzeit: Vorteil für Unternehmen

Vor allem sind es große Unternehmen bestimmter Branchen, die eine hohe Teilzeitquote zu ihrem Vorteil nutzen. „Wenn es wie im Handel lange Öffnungszeiten gibt, können diese durch Teilzeitbeschäftigte flexibel abgedeckt werden“, erklärt Bettina Stadler dazu. Noch ein weiterer Vorteil: „Wird etwa eine 20-Stunden-Kraft krank, dann müssen die Unternehmen keine Vollzeitstelle ersetzen.“

Eine aktuelle FORBA-Studie für den Handel ergab hingegen, dass ein Teil der Beschäftigten gerne auch mehr Stunden arbeiten würde, jedoch erleichtere Teilzeit die Einsatzplanung bei den Unternehmen, und das verringere das Interesse, mehr Vollzeitstellen anzubieten. Mit flexiblen Dienstplänen und -modellen steigt überdies der Druck auf die Arbeitnehmer:innen, denn viele Mitarbeiter:innen befinden sich dann ständig auf Abruf – das ist zwar gesetzlich nicht erlaubt, kommt bei Personalmangel aber vor.

„Es kann nicht der Sinn sein, dass Teilzeit vor allem bedeutet, dass Unternehmen über viele Branchen hinweg profitieren und die Arbeitnehmer:innen immer mehr in weniger Zeit leisten müssen, oftmals für ein Salär, das vor allem im Kontext der Familie eher ein Zubrot ist. Die Arbeitsverdichtung geht sich einfach nicht mehr aus“, fasst Ingrid Moritz zusammen. Die Lösung lautet also: Die Arbeitszeit senken, und vor allem den Hauptbetroffenen von Teilzeit ist die Möglichkeit zu geben, mehr zu arbeiten.

Arbeitseuropameister Österreich

Das ist ein systemisches Problem. Die Österreicher:innen arbeiten generell mehr als Beschäftigte in anderen europäischen Ländern. 2018 betrug die durchschnittliche Jahresarbeitszeit auf Basis kollektivvertraglicher Normalarbeitszeiten in Österreich 1.723 Stunden, in Deutschland nur 1.666, in Frankreich lediglich 1.602. Unbezahlte Sorgearbeit wie Kinder- oder Altenbetreuung, Haushalt, aber auch Freizeit kommen hierzulande zu kurz.

Eine wesentliche Rolle spielt dabei das Geschlechterverständnis. Laut dem Wiedereinstiegsmonitoring der Bundesarbeiterkammer aus dem Jahr 2022 etwa waren Frauen rund 730 Tage in Karenz, Männer nur 60 Tage. „Die größte Gruppe der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen nach der Geburt der Kinder“, bestätigt Stadler. Endet die Kinderbetreuung, folgt oftmals die Betreuung der älteren Familienmitglieder. Die Forschung zu flexibler Arbeitszeit zeige zudem, so Stadler, dass Männer mit flexibleren Arbeitszeiten dann mehr arbeiten oder ihrer Freizeit nachgehen: „Die Betreuungszeiten müssen dann von den Frauen mit flexiblen Arbeitszeiten kompensiert werden.“

Ingrid Moritz beklagt die Arbeitsverdichtung durch Teilzeit zu einem Salär, das vor allem im Kontext der Familie eher ein Zubrot sei. | © Markus Zahradnik

Das führt zu einer Kettenreaktion. Die Männer haben den Druck, viel zu verdienen, da ihre Frauen nur wenige Wochenstunden arbeiten können. Die Frauen haben hingegen den Stress, die unbezahlte Sorgearbeit zu erledigen. Das sei übrigens nicht nur ein Thema in durchschnittlich schlechter bezahlten Branchen. Auch in besser entlohnten Berufen würden Frauen beim Wiedereinstieg in Kauf nehmen, nicht mehr eine Führungsposition einzunehmen. Teilzeit als Führungskraft, das sei für Moritz eben nicht verinnerlicht: „Viele Frauen glauben auch, dass das nicht geht. Bei Eltern ist dann meist die Arbeitsteilung so, dass die Väter Vollzeit arbeiten und die Frauen teilzeitbeschäftigt sind oder länger aus der Erwerbstätigkeit aussteigen.“

Arbeit neu gedacht

Ein Ansatz ist die Elternteilzeit, AK und ÖGB stellten zudem jüngst ein Modell zur Familienarbeitszeit vor, in dem beide Elternteile auf hohem Stundenniveau (28–32 Stunden) arbeiten gehen und zusätzlich jede:r 250 Euro monatlich dazubekommt. Dorottya Kickinger, Fachexpertin im Sozialpolitik-Referat und in der Bundesfrauenabteilung des ÖGB, erklärt: „Viele junge Familien wollen sich die Arbeits- und Familienzeit gerecht aufteilen, das würden wir gerne mit dem ÖGB-AK-Modell der Familienarbeitszeit unterstützen – also eine Win-win-Situation. Frauen profitieren von höheren Einkommen, Männer von mehr Familienzeit.“

Wenn es „normaler“ ist, dass Eltern in einem höheren Ausmaß teilzeitbeschäftigt sind und sich Eltern die Sorgearbeit aufteilen, dann müssen die Unternehmen nachziehen. Dann wird eben auch der Papa angerufen, wenn das Kind krank wird oder die Eltern betreut werden müssen. Die Gesellschaft kann dann lernen. Nicht immer steht nur die Arbeit im Mittelpunkt des Lebens. Das verbessert dann für alle die Life-Work-Balance.

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