Das soziale Europa ist doch nur ein Wunschtraum von realitätsfremden Linken. Die EU ist ja nur für die Großen da, die es sich richten können. Eindrücke wie diese haben wohl viele Menschen, und sie sind auch nicht völlig von der Hand zu weisen. Schon gar nicht, wenn man sich die vielen Enthüllungen vergegenwärtigt, die à la Lux-Leaks, Panama Papers und Co in letzter Zeit zwar Schlagzeilen gemacht haben, aus denen man aber keine ernstzunehmenden Konsequenzen zu ziehen scheint. Gleiches gilt für den Umgang der Regierenden in Europa mit der Krise, den nicht zuletzt Arbeiterkammer und Gewerkschaften vehement kritisieren.
Doch hat das eine mit dem anderen überhaupt etwas zu tun? Und wenn ja, was hat das mit der Idee des sozialen Europas zu tun? Und vor allem: Hat man als einfache/r BürgerIn dabei etwas mitzureden? Petra Völkerer, zukünftige Leiterin des AK-Büros in Brüssel, hat ein Beispiel in petto, das zeigt, dass einzelne Menschen sehr wohl etwas bewirken können – und dass auch die EU etwas bringt. Es geht dabei um die geplante EU-Arbeitsbehörde, die Arbeitgebern auf die Finger schauen soll. Als Vorbild dient die Europäische Bankenaufsicht: „In seiner Rede zur Lage der Union hat Jean-Claude Juncker letztes Jahr gesagt, er findet das eigentlich seltsam, dass es das für Banken gibt, aber für ArbeitnehmerInnen und deren Schutz nicht“, erzählt Völkerer die Vorgeschichte.
„Es erscheint absurd, dass eine Bankenaufsichtsbehörde darüber wacht, ob Bankenstandards eingehalten werden, dass es aber keine gemeinsame Arbeitsbehörde gibt, die für Fairness innerhalb des Binnenmarkts sorgt. Wir werden sie schaffen.“
Jean-Claude Juncker, Rede zur Lage der Union, 13. September 2017
Der Kommissionspräsident kündigte daraufhin die Schaffung der Behörde an. Eine ihrer Aufgaben ist die Koordinierung von grenzüberschreitenden Kontrollen: „Genau davon ist Österreich extrem betroffen, wenn man zum Beispiel ins Burgenland schaut“, so Völkerer. Auch verweist sie auf Schilderungen von Gewerkschafter Beppo Muchitsch betreffend ausländische Firmen, die in Österreich tätig sind und hier gegen Regeln verstoßen: „Da wird zwar gestraft, aber die fahren heim und lachen sich ins Fäustchen, weil das in Ungarn niemand vollstrecken würde.“
Der springende Punkt ist daher, ob diese Agentur ein zahnloser Papiertiger oder aber ein sinnvolles Instrument wird, das auch Sanktionen verhängen kann – und ob diese auch tatsächlich vollstreckt werden. „Wir haben letzten Dezember eine Kampagne gemacht mit der Forderung, diese Agentur mit möglichst viel Pouvoir auszustatten“, erzählt die AK-Expertin. „Da haben wirklich viele Menschen mitgemacht und es haben sich Teile dessen wiedergefunden in den Begleitdokumenten zur Verordnung. Das hat uns sehr gefreut, weil da sieht man auch: Wenn alle zusammentun und die nationalen Gewerkschaften mithelfen und viele Leute unterschreiben bei einer solchen Kampagne, dann kann das die Kommission nicht ignorieren.“ Mehr noch: „Dass sie darauf reagiert und Dinge aufnimmt“, so die AK-Expertin. „Ich finde, das ist ein positives Beispiel. Das muss halt jetzt noch zum Leben erweckt werden, aber das heißt einfach: weitermachen, langen Atem haben und sich da nicht unterbuttern lassen.“
EU-Kritik, nicht Ablehnung
Begleitdokumente zu Verordnungen, Richtlinien, Behörden: Die Sprache der EU ist freilich nicht immer attraktiv, was sicherlich eine Ursache dafür ist, dass vielen Menschen Europa fremd erscheint. Auch üben Arbeiterkammer und Gewerkschaften genügend Kritik an der EU, die sicherlich auch zum negativen Bild beiträgt, auch wenn das so keineswegs beabsichtigt ist. AK-Expertin Völkerer zieht dazu einen Vergleich: „Das ist so wie bei den GlobalisierungskritikerInnen, denen unterstellt wurde, gegen die Globalisierung an sich zu sein. Darum ging es aber nie, sondern nur um die Globalisierung, wie sie jetzt gestaltet wird.“ Gleiches gilt für die EU, aber auch für das soziale Europa: so schwach ausgeprägt es ist – völlig inexistent ist es keineswegs. Evelyn Regner, die auf einem Gewerkschaftsticket für die SPÖ im Europäischen Parlament sitzt, fallen gleich mehrere Beispiele ein, eins davon betrifft LeiharbeiterInnen: „Das war ja eine große Geschichte, dass sie nicht mehr ausgebeutet werden dürfen, sondern grundsätzlich gleichgestellt sind“, erinnert sich die EU-Parlamentarierin. „Das hat zu großartigen Veränderungen zugunsten der Menschen geführt, und zwar auch derjenigen, die keine LeiharbeiterInnen sind. Weil man übt ja immer über die Schwächeren Druck auf die anderen aus.“