Arbeit&Wirtschaft: In europäischen Großstädten sind Mieten geradezu unleistbar geworden. Ist das Leben dort in Zukunft nur noch etwas für Reiche?
Christoph Reinprecht: Grosso modo kann man schon sagen, dass es die Tendenz zu einer Metropolitanisierung gibt: Die Stadtregionen dehnen sich aus und werden zu Metropolregionen. In Wien ist das etwas schaumgebremst, aber es bricht auf, etwa im Hinblick auf den urbanen Großraum Bratislava. Damit geht einher, dass die innerstädtischen Lagen eher teuer werden und damit eine Tendenz zur „Verbürgerlichung“ haben.
Wien hat zwei Besonderheiten. Die eine ist, dass es nach wie vor viele Flächen gibt, die nicht bebaut sind. Das sind potenzielle Entwicklungsgebiete, etwa Donaufeld. Das ist ganz interessant, denn das ist eigentlich ein landwirtschaftlich genutztes Gebiet, das derzeit einer Flächenwidmung unterworfen ist. Dort wird ab 2019 gebaut mit relativ dichter Verbauung, ich glaube zehnstöckig.
Das andere ist, dass Wien nach wie vor eine sehr aktive Wohnbauförderung hat und vor allem ein sehr ausdifferenziertes System zwischen Gemeindebau neu, also sozial gefördertem Wohnbau ohne Eigenmittelanteilen, bis hin zu gefördertem Wohnbau mit hohen Eigenmittelanteilen und Buy-out-Optionen nach zehn Jahren. Diese Mischung nimmt den Druck weg und man hat in Wien sehr viele Möglichkeiten, auszutarieren und das Bevölkerungswachstum ein Stück weit abzufangen.
Ist also Wien von Gentrifizierung gar nicht so sehr betroffen?
Die geltende, offizielle These ist: Verglichen mit dem, was in anderen Städten passiert, gibt es das nicht. Allerdings ändert sich da in Wien sehr viel. Das eine ist, dass es im gründerzeitlichen Baubestand in der Tat Prozesse gibt, die sehr viel mit Gentrifizierung zu tun haben. Wir haben innenstadtnahe Lagen, wo es traditionell günstigen Wohnraum gab, traditionell kleinere Wohnungen. Ein Paradebeispiel ist die Reindorfgasse im 15. Bezirk: Das ist ein Gebiet, das war ärmlich, und seit zehn Jahren siedeln sich dort Künstler und Creative Industries an. Damit einher gehen Aufwertungen von Wohnraum und natürlich Preissteigerungen.
Der andere Aspekt, der damit aber zusammenhängt, ist, dass wir in Wien einen langfristigen Effekt haben, der auf die sanfte Stadterneuerung zurückzuführen ist. Diese war an sich eine gute Sache, weil sie davon ausging: Wir geben Kredite zu günstigsten Konditionen, Hausbesitzer oder Mieter renovieren, legen auch Wohnungen zusammen – aber sie bleiben. Das hat auch weitgehend funktioniert, aber nur so lange, wie die Mieter geblieben sind.
Wir haben mittlerweile erstens andere Arten von Sanierung, zweitens kommen durch die sanfte Erneuerung zunehmend Wohnungen saniert auf den Markt. Diese sind Kategorie-A-Wohnungen und damit letztlich frei bepreist, nicht gänzlich, aber doch. Von diesen werden auch mehr frei, weil die Befristungen zunehmen, die Menschen mobiler sind, die Kinder ausziehen – es gibt ja Tausende Gründe dafür. Das ist ein bisschen ein Teufelskreis.
Ich würde sagen, dass es schon so etwas wie eine Gentrifizierung gibt – unter spezifisch Wiener Vorzeichen: Weil der Altbaubestand im Mietrecht ist und weil es auch in den Gründerzeitgebieten eine starke Durchmischung mit sozial gefördertem Wohnraum gibt, führen die Aufwertungsprozesse nicht zwingend dazu, dass alle, die da sind, verdrängt werden. Beim Brunnenviertel würden viele sagen: Gentrifizierung nein, weil die, die da leben, auch die migrantische Bevölkerung, aufgrund dieser besonderen mietrechtlichen Rahmenbedingungen – überwiegend lange Mietdauer – bleiben. Aber die Frage ist immer: Was heißt es mittelfristig, wenn sie weggehen? Daher gehen wir davon aus, dass in diesen Gebieten wahrscheinlich in 20 Jahren diese Effekte verstärkt eintreten werden, die jetzt langsam beginnen.