Unzureichendes Angebot: Warnstreik im Handel droht
Zum Angebot der Arbeitgeber:innen gibt es bei der Gewerkschaft auch keine zwei Meinungen, wie Helga Fichtinger, die GPA-Chefverhandlerin, gegenüber Arbeit&Wirtschaft klarstellt. „Das ist schlichtweg eine unseriöse und auch falsche Darstellung, der tatsächlichen Wirkung auf die Gehälter der Handelsangestellten.“ Denn die Arbeitgeber:innen würden eine Einmalzahlung und eine laufende Erhöhung zusammenaddieren.
Das sei „unfair und verwerflich. Die Sparte Handel glaube, dass Verkäuferinnen und Verkäufer nicht selbst rechnen können und den Unterschied zwischen einer dauerhaften Wirkung von vier oder Prozent mit einer einmaligen Zahlung, die dann bei jeder Mehrarbeitsstunde, jeder Überstunde und beim Urlaubs- und Weihnachtsgeld dauerhaft fehlen.“ Fichtinger spricht Klartext: „Das ist eine Mogelpackung und das sollten die Händler am besten wissen.“
Schnelle Hilfe ist möglich
Die Arbeitgeber:innen sprechen von einer schnellen Hilfe. Die wäre problemlos möglich. Denn die Regierung ermöglicht es den Unternehmen, Sonderprämien auszuschütten, wenn der Betriebsrat zustimmt. Für die Kalenderjahre 2022 und 2023 können die Firmen jeweils eine Teuerungsprämie von bis zu 3.000 Euro an Mitarbeiter:innen auszahlen. Dabei unterliegen 2.000 Euro nur geringen und die restlichen 1.000 Euro strikteren Voraussetzungen. Doch das wolle man offenbar nicht. Und die Arbeitgeber legen zudem nach.
Die Arbeitgeber:innenseite behauptet, die Gewerkschaft würde mit stets neuen Forderungen kommen. Das sei falsch, erklärt Fichtinger. „Wenn mit Bewegung von der Sparte Handel gemeint ist, dass man einmal 4+3 und einmal 5+2 hinlegt und damit immer noch weit unter der vereinbarten Inflationsrate mit einer dauerhaften Wirkung ist, dann ist das in der Tat keine Bewegung. Es bleibt klarerweise immer sieben.“
Gegenwärtig spricht der Handel von acht Prozent. Fünf Prozent sollen die dauerhafte Gehaltsentwicklung sein, drei die Einmalzahlung. Am Ende verändern die Arbeitnehmer:innenvertreter die Gesamtsumme nicht. Sie schieben lediglich die Prozentzahlen hin und her. „Es braucht ein Angebot, dass sich dauerhaft in der Wirkung auf die Gehälter über der Inflationsrate bewegt“, fordert Fichtinger.
Die Gewerkschaft ist es, die sich bewegt
Auf der anderen Seite ist die Gewerkschaft den Arbeitgeber:innen sehr entgegengekommen. Statt der ursprünglichen zehn Prozent mehr Gehalt fordert sie nur noch 8,5 Prozent. Allerdings mit einem Mindestbetrag von 200 Euro. Was sagen die, die man vertritt, dazu? „Diese Rechnung hat den Effekt, dass wir in der Gehaltstabelle bis auf die höchste Gruppe und Stufe jedenfalls 8,5 Prozent Gehaltserhöhung erzielen würden.“ so Fichtinger.
Die rollierende Inflationsrate liegt bei 6,9 Prozent. Vom Mindestbetrag profitieren vor allem die niedrigsten Gehälter stark. Das sind nicht wenige, immerhin arbeiten 37 Prozent im Handel in Teilzeit. Das Einstiegsgehalt liegt aktuell bei 1.800 Euro. „Mit dem Mindestbetrag würden sie bis zu über 11 Prozent Erhöhung bekommen. Das ist aus unserer Sicht eine faire Verteilung. Denn die Beschäftigten brauchen wirklich mehr, um sich den Handelsjob noch leisten zu können.“
Wichtiges Verhandeln
Landläufig gibt es die Annahme, die Handelsangestellten würden nicht streiken. Es gab bislang nicht einmal Warnstreiks. Nun kommt es am Dienstag, 29. November, noch einmal zu einer Verhandlungsrunde. Endet diese ergebnislos, dann werde es just am für den Handel so wichtigen ersten Weihnachtseinkaufswochenende am Freitag und Samstag, 2. und 3. Dezember, zu Arbeitsniederlegungen kommen.
Von außen betrachtet scheint eine Einigung näher als ein Warnstreik im Handel. Die eine Seite bietet acht Prozent, die andere fordert 8,5 Prozent. Doch Fichtinger erklärt die Differenzen. „Wir sind in der echten Auswirkung auf die Gehälter noch weit auseinander. Das ist noch ein weiter Weg. Die Handelsbeschäftigten sind wütend und echt enttäuscht, warum sie so lange auf eine faire Gehaltserhöhung warten müssen. Es ist an der Zeit, dass die Sparte Handel wieder auf den sozialpartnerschaftlichen Dialog zurückkehrt.“
"Es ist ein Märchen, dass Handel nicht streiken kann", Helga Fichtinger, Chefverhandlerin Handel @gewerkschaftgpa. Unverständnis sei groß, selber schreibe man immer höhere Preise auf Waren, aber selbst bekomme man nicht mehr. Kommt Umdenken b Arbeitgebern? https://t.co/QXBCXuMgww
— Arbeit&Wirtschaft Magazin (@AundWMagazin) November 15, 2022
Warnstreik im Handel: Grundlegende Probleme lösen
Es ist ja letztlich auch der Handel selbst, der sich attraktiver gestalten muss. Noch im Frühjahr warnte man in Person von Rainer Will, dem Handelsverbandschef, vor massiven Personalengpässen. Fast 50.000 Mitarbeiter:innen würden fehlen. Diese Anzahl hatte sich innerhalb eines Jahres verdoppelt. Im Juni 2022 schlug der Verband nochmals Alarm. Einerseits wegen Umsatzrückgängen. Andererseits gaben bei einer Handelsverband-Umfrage 41 Prozent an, mit Personalmangel zu kämpfen. Wenn nun, einige Monate später, für die Belegschaften unannehmbare Angebote gestellt werden, wird diese Situation nicht einfacher.
Und die Beschäftigten sind weiterhin kämpferisch. Denn vor allem die vielen, die eben sehr wenig verdienen, benötigen eine echte, faire und nachhaltige Erhöhung des Gehalts. „Es braucht einen Abschluss, der sich dauerhaft über der Inflationsrate befindet“, sagt Fichtinger abschließend. Am besten mit der geforderten Gestaltungsvariante, damit die unteren Einkommen stärker von einem Abschluss profitieren. Denn ein Einmaleffekt, der verpufft eben schnell. So droht ein Warnstreik im Handel. Die schweren KV-Verhandlungen im Handel wiederholen sich auch in der Herbstlohnrunde 2023.