KV-Verhandlungen im Handel drohen zu scheitern
„Das ist kein ernstzunehmendes Angebot. Die Beschäftigten sind richtig sauer und schreiben mir viele Emails, die alle den einheitlichen Tenor haben: Lassen Sie sich nicht abspeisen, wir brauchen zehn Prozent Gehaltserhöhung. Denn wenn wir so weiterhin im Handel arbeiten, können wir uns das Leben nicht mehr leisten.“ Auch die Stimmung auf den Betriebsversammlungen ist wegen des Angebots der Arbeitgeber:innen auf einem Tiefststand. Manche Verhandler:innen wollen nicht verstehen, was Einmalzahlungen auslösen. „Es ist ein tolles Angebot – mit einer Einmalzahlung, die das Weihnachtsgeld auffettet. Meinen die Verhandler:innen der Arbeitgeber:innen. Das ist Sand in die Augen streuen, weder fair noch seriös.“ Was die Einmalzahlungen bringen würden? Gesparte Abgaben bei den Arbeitgeber:innen und ein Verlustgeschäft für die Angestellten. Beim Reallohn, aber auch bei den Pensionen.
Und das, obwohl in puncto Unattraktivität für Arbeitnehmer:innen der Handel nur vom Tourismus übertroffen würde, so die GPA. Das habe jüngst eine Umfrage im Lehrlingsbereich gezeigt. Manche Verantwortlichen habe das schon erkannt. Etwa bei der Drogeriemarktkette dm. „Irgendwann muss man die Inflation aufholen, insbesondere bei niedrigen Gehältern“, sagte etwa Geschäftsführer Harald Bauer gegenüber Medien. „Eine Einmalzahlung sehen wir nicht als dauerhafte Lösung. Es kann nicht sein, Mitarbeitern Einkommen zu entziehen.“ Die Lösung aus dm-Sicht ist, die Inflation mit einer durchschnittlichen Lohnerhöhung von zehn Prozent mehr als auszugleichen.
Beschäftigte können sich eigene Produkte nicht mehr leisten
Das berichten auch Handelsangestellte. Man würde selbst immer höhere Preise auf die Waren schreiben, bekomme aber selbst nicht mehr. Arbeit&Wirtschaft konnte mit einer Führungskraft, die anonym bleiben möchte, sprechen. „Es fällt uns ja jetzt schon schwer, geeignetes Personal zu bekommen.“ Verständnis für die schwierige Situation der Arbeitgeber:innen rund um Corona und Energiepreise gäbe es. Aber das Angebot der Wirtschaft sei zu niedrig. „Ich verstehe, wenn Menschen bei so wenig Geld nicht im Handel arbeiten wollen. Der Job ist fordernd und anstrengend. Wir arbeiten teilweise bis 20 Uhr. Da müsste die Entlohnung schon stimmen.“ Wenn die steigenden Preise nicht abgegolten würden, dann „macht das unsere Branche auch nicht unbedingt attraktiver.“ Das Durchschnittsgehalt liegt gegenwärtig bei 2.000 Euro brutto –knapp über 1.500 Euro netto. Allerdings arbeiten im Handel mehr als ein Drittel Teilzeit, bekommen also noch weniger.
„Handelsangestellte sind genauso viel wert wie die Industrie“, erklärt Fichtinger. Die siebzig Prozent Frauen im Handel würden den Druck seit Jahren stemmen, ohne dafür vernünftig entlohnt zu werden. „Sie müssen rund um die Uhr arbeiten, mittlerweile auch, wenn sie Corona-positiv sind“, meint sie weiter „Die Beschäftigten spüren die Teuerung extrem. Sie sind ja keine Schwerverdiener:innen. Diese jetzigen Kosten zu stemmen, da bleibt nicht mehr viel übrig. Ein Zitat von einer Betroffenen: Mit 100 Euro Wochenendeinkauf komme ich für meine Familie nicht mehr aus.“
KV-Verhandlungen im Handel: Rollierende Inflation muss abgegolten werden
Vor allem gehe es bei den Kollektivvertragsverhandlungen nicht darum, das kommende Jahr zu abzugelten. Sondern die zurückliegenden zwölf Monate. „Der Handel hat wirklich gut verdient“, stellt Fichtinger klar. „Herr Trefelik (Anm.: Bundesspartenobmann Handel, WKO) redet immer von der Zukunft, aber die verhandeln wir eben nicht. Wenn sich die Wirtschaft mehr und mehr eintrübt, dann ist das Thema für die nächsten Verhandlungen.“
Knochenjob – das ist immer wieder zu hören, wenn man mit Angestellten im Handel spricht, betont Fichtinger. Es sei deshalb für die Arbeitgeber höchste Zeit, nicht nur die volkswirtschaftliche Verantwortung für die Angestellten zu wahrzunehmen, sondern auch die sechste Urlaubswoche einzuführen. Denn die Gewerkschaft sieht gute Gründe, nicht nur das Gehalt, sondern die Arbeitsbedingungen insgesamt zu verbessern.
625.000 Beschäftigte verdienen (Vollzeit) unter 2.000 € pM. Teuerungswelle macht Kampf um höhere Lohnuntergrenzen im Kollektivvertrag noch wichtiger. Metallbranche weit über der Schwelle; Gastro, Reinigung, Handel ua brauchen jetzt Perspektive für Löhne, von denen man leben kann https://t.co/mzY51WK8Ct
— Markus Marterbauer (@MarterbauerM) November 8, 2022
Streik im Weihnachtsgeschäft, wenn KV-Verhandlungen steigern
Darum bereitet man Maßnahmen vor. Am 16. November gibt es erste Aktionstage, um die Anliegen zu untermauern. Am 22. November ist dann die nächste Verhandlungsrunde. Und dann? „Es ist ein Märchen, dass der Handel nicht streiken kann“, meint Fichtinger abschließend und unmissverständlich. Und sollten Arbeitgebervertrer:innen das nicht glauben, meint Fichtinger, dann werden sie Anfang Dezember, während des so wichtigen Weihnachtsgeschäfts, für ihre Rechte eintreten. Die schweren KV-Verhandlungen im Handel wiederholen sich auch in der Herbstlohnrunde 2023.