Coverstory: Auf die Zukunft bauen

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Wien wächst enorm. Um einen massiven Anstieg der Mietpreise zu verhindern, müssten 9.000 geförderte Wohnungen im Jahr gebaut werden. Faktisch sind es 6.000. Aber auch die Infrastruktur muss mithalten. Ein Überblick über Baustellen der Großstadt.
Mit dem Ausnahmejahr 2015 und seinen Flüchtlingsbewegungen ist die Stadt Wien nach Berechnungen der Statistik Austria um 42.900 EinwohnerInnen gewachsen. Doch auch im Jahr 2016 zogen 27.700 Menschen zu. Ilona war noch vor vier Jahren eine Zuwanderin – sie zog von der ungarischen Stadt Pécs rund 350 Kilometer nordwestlich nach Bécs, wie Wien auf Ungarisch heißt.

Ursprünglich wollte sie Historikerin werden, doch mit diesem Studium hätte Ilona in ihrem Heimatland zu wenig Geld verdient. Sie beschloss, gemeinsam mit ihrem Partner Máté nach Wien zu gehen. Statt Geschichte zu studieren (oder Rechtswissenschaften, was ihr Vater favorisierte), arbeitet Ilona nun in einem Lebensmittelgroßmarkt: „Ich mache meine Arbeit gerne, obwohl meine Eltern die Uni vorgezogen hätten.“ Etwa 1.200 Euro bleiben ihr im Monat zum Leben. Die Miete von 800 Euro für eine 60 Quadratmeter große Privatwohnung teilt sich Ilona mit ihrem Freund. „Wir mussten in wenigen Tagen eine Wohnung finden.“ In Ungarn verdient ein durchschnittlicher Facharbeiter 7.000 Euro pro Jahr. Trotz der – für Wiener Verhältnisse – teuren Wohnung ist das Leben in Wien für Ilona auch in finanzieller Hinsicht attraktiver.

Wiener Wohnen punktet

Wie Ilona zieht es viele Menschen nach Wien. Neben vielen Menschen aus Osteuropa ist auch eine starke Zuwanderung aus Deutschland auffallend, weil Wien im Vergleich zu vielen deutschen Städten noch immer günstigen Wohnraum bietet. Der Grund dafür: Wien kann immer noch von seinen historischen Verdiensten zehren, denn keine andere europäische Stadt besitzt ähnlich große kommunale Wohnbau-Bestände. Wiener Wohnen – die „Hausverwaltung“ der Stadt Wien – betreut rund 220.000 Wohnungen mit 500.000 BewohnerInnen, dazu kommen 1.366 Kinderspielplätze. Damit ist Wiener Wohnen die größte kommunale Hausverwaltung Europas. Ursprünglich war es für Städte kein Alleinstellungsmerkmal, wenn sie einen hohen kommunalen Wohnungsbestand hatten, doch Berlin oder Dresden haben ihre Wohnungen an die private Hand verkauft. Berlin hat seit den 1990er-Jahren den Fehler begangen, beinahe 200.000 kommunale Wohnungen für „Spottpreise“ (Wortlaut lokaler Medien) zu privatisieren. Dementsprechend eng ist nun auch der Wohnungsmarkt in der deutschen Hauptstadt.

Soziales Wohnen für Generationen

Dieser hohe Anteil an Gemeinde- und geförderten Wohnungen nimmt viel Druck aus dem Wiener Markt. Dass auch Menschen mit kleineren Einkommen gut und zu fairen Preisen in der Hauptstadt wohnen können, prägt seit Langem das soziale Klima in der Stadt. Die französische EU-Bürgerin Nathalie lebt seit rund 20 Jahren in Wien, inzwischen mit einem hier lebenden Franzosen verheiratet, die beiden haben einen 8-jährigen Sohn. Sie hat vor sechs Jahren einen Antrag auf eine Gemeindewohnung gestellt. Nathalie und ihre kleine Familie lebten bisher in einer kleinen 2-Zimmer-Wohnung in einem unsanierten Altbau. Im April sind sie in eine geräumige 3-Zimmer-Wohnung in einem Gemeindebau übersiedelt – jetzt hat ihr Sohn endlich ein eigenes Kinderzimmer und die Eltern wieder Privatsphäre. Etwa 24,5 Prozent der Wiener Bevölkerung leben derzeit in einem Gemeindebau, rund 19,4 Prozent in geförderten Genossenschaftswohnungen. Ein Drittel der Bevölkerung wohnt in privaten Mietwohnungen. Im Wohnungseigentum residieren 13 Prozent, im Hauseigentum 6,1 Prozent.

Doch langsam wird es eng

Und doch stöhnt die Stadt unter ähnlichen Entwicklungen wie vergleichbare Metropolen. Wien wird bald die Zwei-Millionen-BewohnerInnen-Marke überschreiten. Und da immer mehr WienerInnen in Einpersonenhaushalten leben, wird auch in Wien der Wohnraum knapp – und damit auch teurer. „Die Stadt braucht dringend Wohnraum, der für nachkommende Generationen leistbar bleibt“, erklärt Thomas Ritt, Leiter der Abteilung Kommunalpolitik der AK Wien. „Um dem Bevölkerungswachstum zu entsprechen, müssen pro Jahr mindestens 9.000 geförderte Wohnungen neu gebaut werden.“ Bei den geförderten Wohnungen handelt es sich allerdings nicht nur um Gemeindewohnungen, sondern auch um Wohnungen, die von Bauträgern errichtet werden, die mit einer Wohnbauförderung unterstützt werden. So lange der Bauträger diese Förderung zurückzahlt (in der Regel sind das 30 Jahre), ist er an eine Mietobergrenze gebunden. Danach müssen sich gemeinnützige Bauträger an Obergrenzen halten.

Ist der Bauträger hingegen nicht gemeinnützig, kann er nach der Rückzahlung des Darlehens seine Wohnungen ohne Preisbindung am Markt vermieten. Diese freien Preise gelten zwar nur für neue Mietverträge und heben alte Verträge nicht auf. Aber oft ist es auch langjährigen BewohnerInnen nicht klar, bei welchen Bauträgern sie eingemietet sind. „Es gibt aber Bauten, wo viele Menschen gedacht haben, dass sie in einer gemeinnützigen Genossenschaft leben. Dann wurde das Haus an einen Investor verkauft, erst dann wurde ihnen klar, dass ihr Bauträger nicht gemeinnützig war“, berichtet Ritt.

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Grätzl und Langzeit-Mieterinnen

Nicht wenige Investoren verfahren höchst rüde mit den AltmieterInnen. Sie heben die Mietpreise an oder üben Druck auf Langzeit-MieterInnen mit alten und preiswerteren Mietverträgen aus. Oftmals wird versucht, diese langjährigen MieterInnen mit einer scheinbar hohen Summe aus dem Mietvertrag zu kaufen. Unangemeldete und unfreundliche Besuche von Handlangern der Investoren kommen dazu. Der Verein „Samstag in der Stadt“ kann auf etliche Erfahrungen dieser Art verweisen. Angesiedelt und aktiv in dem neuerdings sehr beliebten Viertel rund um den Schwendermarkt und die Reindorfgasse in Wien-Rudolfsheim-Fünfhaus, hat es der Verein mit sehr besorgten AnrainerInnen zu tun. Dubiose Machenschaften in einigen der Zinshäuser haben die MieterInnen des Viertels tief verunsichert. Seit 2012 öffnet sich die Schere zwischen Bevölkerungswachstum, Wohnbedarf und dem tatsächlichen Wohnungsneubau. Gut 70 Prozent der jährlich neu abgeschlossenen Mietverträge werden am privaten Wohnungsmarkt abgeschlossen. Wien hat einen höchst offensichtlichen Engpass an geförderten Wohnungen.

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