Vermögensungleichheit in Österreich
Das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz hat den Sozialbericht 2024 veröffentlicht. Darin findet sich das Kapitel „Privateigentum und Zugang zu Ressourcen“. Es gibt Auskunft über die Vermögensungleichheit in Österreich. Die wichtigste Trennlinie darin ist er Immobilienbesitz. Die reichere Bevölkerungshälfte wohnt im Eigenheim. Wobei mehr als die Hälfte des Immobilienbesitzes in Österreich den oberen zehn Prozent der Vermögenden gehört. Sie haben im Durchschnitt achtmal so viel Vermögen wie ihre Mieter:innen.
Österreich steht in Europa an der Spitze in Sachen Vermögensungleichheit. Die ärmere Hälfte der Menschen besitzt gerade einmal 4,6 Prozent des Vermögens. Sie lebt zur Miete und hat – wenn überhaupt – höchstens einen Notgroschen auf dem Sparbuch. Ohne Hilfen vom Sozialstaat können viele ihren Alltag nicht mehr finanzieren. Die Coronakrise und die extreme Inflation haben die Armut in Österreich verstärkt. Dazu kommt, dass sich das Bild davon, wer zur Mittelschicht gehört, völlig verzerrt hat. Die Musterfamilie mit Haus, Garten, Auto und zwei Kindern gehört längst zum reichsten Drittel. Statistisch betrachtet besitzt die Mittelschicht ein Vermögen von gerade einmal 83.000 Euro. Das sind meist Rücklage für die Pension und ein Auto. Aber sicherlich kein Haus mit Garten. Wer zum reichsten Prozent gehört, besitzt im Schnitt 12,5 Millionen Euro. Also das 150-Fache des Durchschnitts. Die ärmsten 50 Prozent Österreichs – also die Hälfte aller Bürger:innen, um das zu betonen – hat keinerlei nennenswertes Vermögen.
Vermögensungleichheit verfestigt sich
Bezieht man durch Schätzungen die Milliardär:innen in diese Rechnung mit ein, besitzen die reichsten 320 Menschen (!) genauso viel, wie die ärmsten 7,2 Millionen Menschen. Wobei diese Zahlen lediglich eine vorsichtige Schätzung sind. Denn während Menschen, die Hilfen vom Staat bekommen, alle Vermögenswerte bis ins kleinste Detail offenlegen müssen, genießen Überreiche sehr viel Diskretion. So ist vollkommen unklar, wie viel Vermögen diese Menschen tatsächlich haben. Im vierten Quartal 2023 gaben 28 Prozent der Menschen in Österreich gegenüber Statistik Austria an, dass sie mit einer Verringerung des Haushaltseinkommens im Jahr 2024 rechnen. Besonders davon betroffen sind jene 16 Prozent der Haushalte, denen es ohnehin schwerfällt, ihren Alltag zu finanzieren. Die Situation wird sich in Österreich in absehbarer Zeit nicht ändern. Dafür ist das System nicht gemacht. Vermögen generiert Vermögen. Wer Geld hat, kann eine Wohnung kaufen. Ohne Mietausgaben kann Geld in Aktion investiert werden. Wer Kapitalerträge hat, muss weniger Steuern zahlen als jemand, der sein Geld mit Arbeit verdient. Wer diese Sicherheiten hat, traut sich eher eine Firma zu gründen.
So entsteht Vermögensungleichheit
Für Vermögensungleichheit gibt es eine Vielzahl von Faktoren. Zu den wichtigsten zählen:
- Steuersysteme können die Vermögensverteilung beeinflussen. Wenn wohlhabendere Menschen einen geringeren Anteil ihres Einkommens und Vermögens an Steuern zahlen als ärmere Menschen, kann dies die Ungleichheit verschärfen. Wenn also der Faktor Arbeit deutlich stärker besteuert wird als der Faktor Kapital. Steuerbefreiungen und Subventionen für Unternehmen und Vermögende können ebenfalls zu einer ungleichen Vermögensverteilung beitragen.
- Ein Erbe kann einen erheblichen Einfluss auf das Vermögen einer Person haben. Menschen, die aus wohlhabenden Familien stammen, haben oft einen großen Vorsprung gegenüber Menschen aus ärmeren Verhältnissen. Dies kann zu einer Konzentration von Vermögen in wenigen Händen führen.
- Politische Einflussnahme wohlhabender Menschen verhindert häufig wirksame Maßnahmen gegen die Ungleichverteilung. Wohlhabende Menschen und Unternehmen haben oft mehr Einfluss auf die Politik als ärmere Menschen..
Gini-Koeffizient misst Ungleichverteilung
Der Gini-Koeffizient, auch Gini-Index genannt, ist ein weitverbreitetes statistisches Maß zur Messung der Ungleichheit in einer Verteilung, häufig verwendet zur Beurteilung der Einkommens- oder Vermögensverteilung in einem Land. Er wurde vom italienischen Statistiker Corrado Gini entwickelt und kann Werte zwischen 0 und 100 annehmen. Der Wert 0 bedeutet eine perfekte Gleichheit. Alle Personen haben genau das gleiche Einkommen oder Vermögen. Der Wert 100 ist die höchstmögliche Ungleichheit – eine Person würde hierbei das gesamte Vermögen besitzen. Je höher der Gini-Koeffizient, desto größer die Ungleichheit in der Verteilung.
Entwicklung Gini-Index zur Vermögensungleichheit in Österreich:
Jahr | Gini-Koeffizient |
2022 | 76,1 |
2021 | 74,2 |
2020 | 73,5 |
2019 | 73,9 |
2018 | 76,4 |
2017 | 78,8 |
2016 | 78,5 |
2015 | 77,9 |
2014 | 77,9 |
2013 | 77,8 |
2012 | 69,3 |
Öffentlicher Druck wächst: Vermögensungleichheit muss verringert werden
Auch fehlt es am politischen Willen und öffentlich Druck, die Vermögensverteilung in Österreich fairer zu gestalten. Denn wer viel Vermögen hat, kann sich politisch leichter Gehör verschaffen. „In Österreich verzichten im ökonomisch stärksten Drittel ihren Berechnungen zufolge nur 17 Prozent auf ihr Wahlrecht, im ökonomisch schwächsten Drittel sind es aber bereits 41 Prozent, die nicht zur Wahlurne gehen“, schreibt Julia Hofmann. Sie ist Referentin für soziale Ungleichheit und Verteilungsfragen sowie Arbeit und Arbeitsbeziehungen in der Abteilung Wirtschaftswissenschaft der AK Wien. Dazu kommen Möglichkeiten wie Lobbying, Parteispenden und das Ausnutzen privater und beruflicher Netzwerke. Markus Marterbauer und Martin Schürz haben die Funktionsweise im Doppelinterview zusammengefasst. Immerhin haben Coronakrise und Inflation zu einem Umdenken in der Gesellschaft geführt. „Über 80 Prozent der Bevölkerung empfinden die Unterschiede zwischen Arm und Reich mittlerweile als zu groß“, führt Hofmann aus. Längst wird auch vehement die Einführung einer Abgabe auf Übergewinne gefordert. Weitere Lösungen und Strategien soll die 4. Reichtumskonferenz liefern. Das ist auch im Sinne der Bürger. „Über 80 Prozent der Bevölkerung empfinden die Unterschiede zwischen Arm und Reich mittlerweile als zu groß“, so Hofmann.
Negative Folgen zu hoher Vermögensungleichheit
Hohe Vermögensungleichheit kann für eine Gesellschaft zu einem Stolperstein werden. Sie bringt mitunter weitreichende Probleme mit sich. Neben den direkten Folgen (siehe Auflistung) kommen eine Unzufriedenheit und soziale Spannungen als indirekte Folge dazu.
Probleme hoher Vermögensungleichheit:
- Gesunkene soziale Mobilität: Menschen aus armen Verhältnissen haben oft deutlich weniger Chancen, im Leben aufzusteigen und einen höheren Lebensstandard zu erreichen.
- Geringere politische Partizipation: Ärmere Menschen sind häufig politisch weniger aktiv und ihre Interessen werden weniger stark vertreten. Dies kann zu einer Schwächung der Demokratie führen.
- Kriminalität: In Gesellschaften mit hoher Ungleichheit ist die Kriminalitätsrate oft höher.
- Geringeres Vertrauen in Institutionen: Menschen in ungleichen Gesellschaften haben oft ein geringeres Vertrauen in staatliche Institutionen wie die Polizei, das Rechtssystem und die Politik.
- Geringere Wirtschaftsleistung: Es gibt Studien, die darauf hindeuten, dass hohe Ungleichheit zu einer geringeren Wirtschaftsleistung führen kann. Dies liegt zum einen daran, dass arme Menschen weniger Geld ausgeben können, was die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen schwächt. Zum anderen kann Ungleichheit zu Investitionshemmnissen führen, da Unternehmen in unsicheren und unruhigen Gesellschaften weniger investieren.
- Höhere Armut: In Gesellschaften mit hoher Ungleichheit ist die Armutsquote oft höher. Dies kann zu sozialen Problemen wie Hunger, Obdachlosigkeit und mangelnder Bildung führen.
Maßnahmen gegen die Vermögensungleichheit in Österreich
Im Sozialbericht 2024 schlagen die Expert:innen der OeNB drei Maßnahmen vor, um die Vermögensungleichheit in Österreich zu verringern.
- Vermögenssteuer: Sie soll auf Nettovermögen gezahlt werden, was Transparenz und Gerechtigkeit beim Vermögen erhöhen würde. Laut OeNB könnte ein Freibetrag von 50 Millionen Euro gelten. Erst, wer mehr hat, müsste bezahlen.
- Erbschafts- und Schenkungssteuer: Sie könnte laut OeNB die soziale Mobilität und Chancengleichheit stärken, „indem sie unverdiente, leistungslose Einkommen aus Erbschaften besteuert und somit die übermäßige Vermögenskonzentration bekämpft“.
- Besteuerung der „Bodenrente“: Die OeNB plädiert für die stufenweise Einführung einer Besteuerung der Bodenrente. Hintergrund ist, dass öffentliche Güter wie Infrastruktur (etwa eine neue U-Bahn-Station in der Nähe) steigern den Wert von Grund und Boden, ohne dass die Landeigentümer direkt dafür bezahlt hätten – eine laufende „unsichtbare Umverteilung von den Eigentumslosen zu jenen, die Grund und Boden haben“. Es gehe darum, dass die Allgemeinheit etwas vom Wertgewinn durch öffentliche Infrastruktur zurückbekäme.
Tatsächlich sind die Ideen nicht neu. Eine Vermögenssteuer gab es in Österreich bereits von 1955 bis 1993. Auch die Erbschafts- und Schenkungssteuer schaffte die Bundesregierung erst im Jahr 2008 ab.