Am (europäischen) Prüfstand

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Immer mehr Länder in Europa versuchen, den negativen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt mit gesetzlichen Mindestlöhnen entgegenzuwirken.
Sie verdient keinen Mindestlohn, sie kocht doch nur Tee und wischt Flure!“ Ausreden wie diese hören britische Behörden immer wieder, wenn es darum geht, wie manche Arbeitgeber sich davor drücken, den vorgeschriebenen Mindestlohn auszuzahlen. Deshalb entschloss sich die Regierung dazu, die faulsten Ausreden in einer Kampagne zu präsentieren. Veröffentlicht wurden auch die Namen von 360 Unternehmen, die den Mindestlohn nicht zahlten.

Öffentlicher Druck

Thorsten Schulten, Referatsleiter für Arbeits- und Tarifpolitik in Europa der deutschen Hans-Böckler-Stiftung, befürwortet das: „Bei Mindestlohnverstößen gibt es öffentliches ‚naming and shaming‘. Es wird über das Image Druck erzeugt.“ Gesellschaftlicher Druck war es auch, der die britische Regierung im Jahr 2016 zu einem Strategiewechsel bewegte: Als nach der Krise 2009 der Mindestlohn nur geringfügig angepasst wurde und selbst Alleinstehende Zusatzleistungen benötigten, um über die Runden zu kommen, regte sich vielerorts Protest. Es wurde ein „Living Wage“ gefordert. „Ein solcher Lohn sichert nicht nur das Existenzminimum, sondern auch eine Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben“, erläutert Schulten. Einige Unternehmen, darunter der Premiere-League-Fußballclub Chelsea London, ließen sich als Living-Wage-Arbeitgeber zertifizieren und nutzten die Diskussion als Marketinginstrument.

Im Jahr 2016 führte die Regierung schließlich den Living Wage für ArbeitnehmerInnen über 25 ein. Dieser beträgt 7,50 Pfund, damit liege er immer noch deutlich unter den Forderungen der britischen Living Wage Foundation, so Schulten.

Armutslohn

Deutschland hat den Mindestlohn 2015 eingeführt und erstmals erhöht. Seit Anfang 2017 verdienen deutsche ArbeitnehmerInnen mindestens 8,84 Euro in der Stunde. Die befürchteten Probleme sind ausgeblieben: So soll laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die Zahl der Erwerbstätigen heuer auf 44,26 Millionen steigen. Das ist ein Anstieg um 670.000. Die Arbeitslosenrate werde bei etwa 2,53 Millionen liegen – der tiefste Stand seit 1990. Schulten bezeichnet den Mindestlohn dennoch als „Armutslohn“: „Wer in einer deutschen Großstadt lebt, Vollzeit arbeitet und Mindestlohn bezieht, hat dennoch Anspruch auf zusätzliche Sozialleistungen.“ Mit dem Mindestlohn erreiche man nicht einmal das Existenzminimum. Dennoch ist ein gesetzlicher Mindestlohn in Österreich kein Thema.

Laut Berechnungen des deutschen Arbeitsministeriums müsste der Mindestlohn bei über elf Euro liegen, damit Menschen am Ende ihres Erwerbslebens eine Rente beziehen, die oberhalb der Grundsicherung liegt. Ein weiteres Problem sei die Rechtsdurchsetzung: „In vielen Ländern gibt es hierbei Probleme. Eine beliebte Strategie ist es, Mitarbeiter unbezahlte Mehrarbeit leisten zu lassen.“

Deutsche Kontrollorgane seien unzureichend ausgestattet, findet Schulten. Mit der Verabschiedung des Mindestlohngesetzes wurde zwar eine Aufstockung der Behörden versprochen, das sei aber noch nicht geschehen, ganz im Gegenteil: „Die Zahl der Kontrollen ist sogar deutlich zurückgegangen.“ Dabei werden die Kontrollen dringend gebraucht: „Unternehmen müssen sicher sein, dass sie Bußgelder zahlen müssen, wenn sie den Mindestlohn nicht bezahlen. Sonst setzt sich die Haltung durch: Der Ehrliche ist der Dumme.“

Claudia Falk, Mindestlohnexpertin des Deutschen Gewerkschaftsbundes, stimmt dem zu: „Im ersten Jahr nach der Einführung wurde unzureichend kontrolliert, weil es hieß, dass es sich um die Eingewöhnungszeit handelt.“ Deshalb sei beschlossen worden, dass Vergehen erst ab dem nächsten Mal geahndet werden.

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