Weniger Wachstum, hohe Inflation: Österreich vor Stagflation
In der aktuellen Situation sind Prognosen schwer. Zu schnell ändern sich einzelne Aspekte. Das WIFO wagt sich dennoch an einen Ausblick für die kommenden eineinhalb Jahre. Der fällt zwar ernüchternd aus, aber lange nicht so schlimm, wie vorab von vielen befürchtet. Einem vergleichsweise hohen Wachstum im Jahr 2022 folgt ein Jahr mit geringerem Wachstum. Weil aber die Inflation nach einem prognostizierten Wert von + 8,3 Prozent im Jahr 2022 auch im kommenden Jahr mit + 6,5 Prozent weiter hoch bleiben wird, werde Österreich in eine Stagflation rutschen, so das WIFO in seiner Herbstprognose.
Die Wirtschaft profitiere im Jahr 2022 noch von einer Phase der Hochkonjunktur, die Österreich bereits seit dem Herbst 2020 beflügle, so das WIFO. Vor allem der Wegfall der Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus habe den Konsum angetrieben. Jetzt würden die enormen Rohstoffpreise und die Teuerungskrise allerdings durchschlagen und das Wirtschaftswachstum im kommende Jahr deutlich bremsen, so die Einschätzungen. Gleichzeitig attestierte WIFO Ökonom Christian Glocker im Rahmen der Pressekonferenz, dass die Unternehmensgewinne heuer noch kräftig steigen werden.
Auch zur Inflation in Österreich wagt das WIFO eine Prognose. Die werde im Jahresdurchschnitt 2022 8,4 Prozent betragen. Im Vorjahr lag sie noch bei 2,8 Prozent. Auch im Jahr 2023 werde die Teuerung mit 6,6 Prozent hoch bleiben, schätzt das Institut. Die Kombination aus Wirtschaftswachstum und hohen Preissteigerung ist eine sogenannte Stagflation. Sollte es so kommen, ist es die erste Stagflation in Österreich seit den 1970er Jahren.
Prognosen in Zeiten multipler Krisen
„Die Studie geht vom Wissensstand von Ende September aus. Jetzt haben wir schon wieder ganz neue Information. Beispielsweise geht die Studie von einem Ölpreis von 83 Dollar aus. Allerdings haben jüngst die OPEC plus Staaten angekündigt hat, die Ölförderung zu beschränken. Das heißt, dass sich die Parameter dauernd ändern und schwer ist, solche Prognosen zu machen“, analysiert beispielsweise Helene Schuberth, Leiterin der Volkswirtschaftlichen Abteilung im Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB), die Ergebnisse des WIFO in der Ö1 Sendung „Punkt eins“ am 7.10.2022
Das gilt selbstverständlich nicht nur für das WIFO. Christine Lagarde, die EZB-Präsidentin, gab zu, dass auf ihre Modelle kein Verlass mehr sei und die jüngsten Prognosen nicht besonders gut gewesen seien. Auch Tobias Thomas, Chef von Statistik Austria, erklärt im Januar, dass der Höhepunkt der Inflation (damals 4,3 Prozent) erreicht sei. Aktuell sind Entwicklungen nun mal schwer vorherzusehen.
Neue @WIFOat Prognose erwartet bei Anstieg Pro-Kopf-Löhne um durchschnittl 6,9% 2023 einen Rückgang der Lohnquote von 69% 2019/20 auf 67,8%. Gewerkschaftliche Kollektivvertragspolitik muss das verhindern. Keine Umverteilung zu Kapitaleinkommen, schon gar nicht in der Krise. pic.twitter.com/RBJ2OtbPcK
— Markus Marterbauer (@MarterbauerM) October 7, 2022
Lohnverhandlungen und Preissteigerungen
Bei allen Herausforderungen, die Expert:innen aktuell mit Wirtschaftsprognosen haben, ist der grundsätzliche Trend natürlich sehr eindeutig. Und auch die Menschen in Österreich spüren ihn schon. Ein Reallohnverlust von derzeit 4,2 Prozent belastet die Menschen und erhöht die Armutsgefährdung. Doch es stehen Herbstlohnrunden an. Diese sollen zum einen die Preissteigerungen der vergangenen zwölf Monate ausgleichen – also laut WIFO in Österreich Hochkonjunktur herrschte – und zum anderen die gestiegene Produktivität mit einkalkulieren.
Für Gabriel Felbermayr, Direktor des WIFO, wären Lohnabschlüsse von 6,5 Prozent des Jahres 2023 ausreichend, um die Inflation des Jahres 2023 auszugleichen. Auf Nachfrage von Arbeit&Wirtschaft erklärte er, dass er keine Lohn-Preis-Spirale in Österreich sehe. Bislang galt diese aber als Königsargument gegen steigende Löhne in Zeiten hoher Inflation. Expert:innen sehen die Gewinn-Preis-Spirale als relevanter an.