Historischer Reallohnverlust in Österreich: Minus 4,2 Prozent
Es sind nicht gerade fette Jahre, die hinter Österreichs Arbeitnehmer:innen liegen. In den vergangen zwanzig Jahren wuchs das Median-Einkommen preisbereinigt um gerade einmal 0,5 Prozent. Schuld daran ist vor allem ein starker Anstieg der prekären Anstellungen und eine Zunahme der Teilzeitstellen. Was die Wirtschaft nicht leisten konnte, musste die Politik ausgleichen. „Durch positive Kaufkrafteffekte der beiden Steuerreformen 2009 und 2016 bleibt unterm Strich netto und real ein kleiner Zuwachs von 2,8 Prozent“, rechnet Bettina Csoka vor. Sie ist Referentin für Einkommensverteilung und Arbeitszeitpolitik in der Abteilung Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik der AK Oberösterreich.
Bei Unternehmen zeichnet sich ein anderes Bild ab. Doch die Rekorddividenden der vergangenen Jahre sind nicht neuen Geschäftsfeldern, Produktivitätssteigerungen oder innovativen Produkten zu verdanken, sondern in erster Linie der Inflation. Russlands Krieg in der Ukraine, gestörte Lieferketten aufgrund von Corona und ein hochvolatiler Energiemarkt haben die Preise steigen lassen. Doch viele Unternehmen haben ihre Preise deutlich stärker erhöht, als es aufgrund der Inflation nötig gewesen wäre. Sie haben eine Gewinn-Preis-Spirale in Gang gesetzt. Das nutzt den Aktionären und schröpft die Konsumenten.
Herbstlohnrunde als letzte Hoffnung gegen Reallohnverluste
„Es ist inakzeptabel, dass die Arbeitnehmer:innen für die gesamte Teuerungswelle aufkommen müssen“, stellt Csoka unmissverständlich klar. Zumal die Inflation in Österreich im September 2022 mit 10,5 Prozent sogar zweistellig war. Konsument:innen könnten der Teuerung nicht ausweichen. Sie können die Preiserhöhungen nicht einfach weitergeben. Deswegen ist die anstehende Herbstlohnrunde so wichtig. Auch, wenn deren Ergebnis sich erst im Jahr 2023 auswirkt. Eine zentrale Forderung ist die Erhöhung des KV-Mindestlohns branchenübergreifend auf 2.000 Euro brutto. Davon würden vor allem jene profitieren, die von den aktuellen Preiserhöhungen besonders stark betroffen sind.
Bei einer Befragung durch die Statistik Austria im Frühsommer 2022 gaben 37 Prozent der österreichischen Haushalte an, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten Einkommensverluste hinnehmen mussten. Die größten Probleme waren die Inflation und die Verringerung der Arbeitszeit. Lediglich 43 Prozent der Haushalte gaben an, dass sie über ein weiterhin gleiches Einkommen verfügen.
Da die aktuelle Teuerungswelle die Reallöhne schrumpfen lässt, sind kräftige Lohnerhöhungen zur Erhaltung der Kaufkraft sowie preisdämpfenden und gewinnabschöpfenden Maßnahmen der Politik gefragt. Ein Beitrag von @csokabetty: https://t.co/5PEfG2SoWU pic.twitter.com/mNwPaNkpcc
— A&W Blog (@AundW) September 19, 2022
Übersicht über Reallohnverlust in Österreich
Der erwartete Reallohnverlust von 4,2 Prozent ist einzigartig. Zwar sank die Kaufkraft in den vergangenen Jahrzehnten öfter, das allerdings nur minimal. Vor allem in den 1960er und 1970er Jahren gelang es den Sozialpartner:innen Lohnabschlüsse oberhalb der üppigen Inflationsrate zu erzielen, so das Momentum Institut. Steigende Löhne sind die beste Anti-Teuerungsmaßnahme.
Jahre mit Kaufkraftverlust in den letzten 60 Jahren:
- 2017: – 0,2 Prozent
- 2014: -0,2 Prozent
- 2011: -1,1 Prozent
- 2010: -0,6 Prozent
- 2005: -0,4 Prozent
- 2001: -0,9 Prozent
- 1997: -0,7 Prozent
- 1996: -0,1 Prozent
- 1984: -0,2 Prozent
Rainer Wimmer, als Vorsitzender der Gewerkschaft PRO-GE einer der Chefverhandler, ist sich sicher: „Wir werden einen Reallohnzuwachs verhandeln.“ Das geht, wenn die Benya-Formel umgesetzt werden kann. Dafür müssen die Löhne um die Inflationsrate plus die Produktivitätssteigerung erhöht werden. Doch auch die Politik müsse auf die aktuelle Situation reagieren, fordert Csoka. „Zudem braucht es preisdämpfende und preisstabilisierende Maßnahmen wie wirksame Preisobergrenzen bzw. Preisregulierungen und eine ‚Anti-Teuerungs-Kommission mit Biss‘.“ Gleichzeitig müssten die Übergewinne abgeschöpft werden, um diese Maßnahmen gerecht finanzieren zu können.