Veränderte Lage der Weltwirtschaft
Die Lage der Weltwirtschaft hat sich in den vergangenen zwei Jahren stark verändert. Mit der Pandemie kamen verschiedene Schocks. Internationale Lieferketten stehen unter Stress und haben sich noch immer nicht dauerhaft erholt. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine setzte eine erneute Serie an Erschütterungen in Gang. Das betrifft nicht nur Österreich, sondern die gesamte Weltwirtschaft. Die Deutsche Bundesbank beschreibt die Lage etwa so: „Die hohen Preissteigerungen und die Unsicherheit im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg belasteten die privaten Haushalte und Unternehmen. Die Industrie sah sich zudem einer schwächeren Nachfrage und weiterhin spürbaren Lieferengpässen gegenüber. Materialknappheiten belasteten auch den Bau, der zusätzlich unter fehlenden Arbeitskräften litt.“
In Österreich titelte im August die Statistik Austria: „Inflation im Juli auf 9,3 Prozent gestiegen.“ Als wichtigste Preistreiber werden „Treibstoffe, Haushaltsenergie, Nahrungsmittel und Bewirtung“ angegeben. Beim wöchentlichen Einkauf mache sich die Teuerung besonders bemerkbar: „Der Preisanstieg des Miniwarenkorbs, in dem neben Nahrungsmitteln und Dienstleistungen auch Treibstoffe enthalten sind, war im Juli mit +19,1 Prozent mehr als doppelt so hoch wie die allgemeine Inflation“, sagt Statistik-Austria-Generaldirektor Tobias Thomas in derselben Aussendung. Und es kommt noch schlimmer. Im September 2022 war die Inflation in Österreich mit 10,5 Prozent sogar zweistellig.
Inflation: Einkommensschwächere zahlen drauf
Diese Preisanstiege im Segment des Alltagsbedarfs spüren österreichische Privathaushalte auf unterschiedliche Weise. So stellte sich die Oesterreichische Nationalbank in einer aktuellen Analyse die Frage: „Was bedeuten die steigenden Energiekosten für die österreichischen Haushalte?“ Laut dieser Analyse geben einkommensstärkere Haushalte relativ zu ihren Gesamtausgaben mehr für Treibstoffe aus, als dies einkommensschwächere Haushalte tun. Bei der Haushaltsenergie sei dies jedoch genau umgekehrt: „Insbesondere der Anteil der Stromausgaben ist in den unteren Einkommensdezilen deutlich höher.“ Besonders hoch seien die Ausgaben sowohl für Haushaltsenergie als auch für Treibstoffe in ländlichen Gebieten. Dies liege einerseits an der höheren Abhängigkeit vom motorisierten Individualverkehr. Außerdem seien „(Einfamilien-)Häuser weniger energieeffizient als Wohnungen, was bedeutet, dass mehr Geld für Strom und Heizen ausgegeben wird“.
Für den Wirtschaftswissenschaftler Michael Ertl von der Arbeiterkammer Wien sind es ebenfalls die Energiepreise, ausgelöst durch die russischen Drosselungen bei der Erdgasversorgung, die den Löwenanteil der derzeitigen Inflation ausmachen. „Energiepreise machen heuer wahrscheinlich mehr als die Hälfte der Gesamtinflation aus“, so Ertl. „Ich sehe hier durchaus Parallelen zur Ölkrise des Jahres 1973. Damals drosselte die OPEC die Ölfördermenge. Das war eine angebotsseitige Maßnahme, so wie Russland es heute macht.“ Somit unterstreichen sowohl die damalige als auch die heutige Krise die negativen Folgen einer Abhängigkeit von fossilen Energieträgern. „Auch die Maßnahmen, die heute diskutiert werden, haben Ähnlichkeiten mit jenen von 1973“, so Ertl. „Dazu gehören die Einführung eines Tempolimits, autofreie Tage, die Aufforderung, weniger zu heizen. Auch die Energieferien wurden aufgrund der Krise von 1973 eingeführt.“
Gewinn-Preis-Spirale stoppen
Wo eine Krise, da finden sich immer auch Profiteur:innen und Krisengewinner:innen. Hier hat Ertl unter anderem die großen Energiekonzerne im Blick: „Es gibt eine Gewinn-Preis-Spirale. Viele Unternehmen nutzen die Chance, die Preise zu erhöhen, auch wenn es kostenseitig nicht gerechtfertigt ist“, so Ertl. „Laut Angaben der Bundeswettbewerbsbehörde haben sich die Bruttoprofitmargen bei den Energiekonzernen verdreifacht.“ Diese Übergewinne gelte es abzuschöpfen, etwa durch eine Übergewinnsteuer.
Doch auch die Eigentümer:innen von Miethäusern zählen zu den Gewinner:innen. So wurden im April die Richtwertmieten für Altbauwohnungen und Gemeindewohnungen um 5,8 Prozent erhöht. Der Kategoriemietzins wurde bereits zweimal um je fast 5,5 Prozent erhöht. Eine dritte Erhöhung droht im November. Das berichtete unter anderem das Onlinemagazin „Kontrast.at“ am 25. August 2022. Grund für die Erhöhungen sei die „automatische Anpassung der Wohnungsmiete an den Verbraucherpreisindex (VPI), also die Inflation“, heißt es in dem Bericht weiter. 750.000 Mieter:innen in Österreich seien allein durch die Erhöhungen der Richtwertmieten betroffen.
„Viele Mietveträge werden angepasst, wenn die kumulierte Inflation 5 Prozent übersteigt“, erklärt AK-Experte Michael Ertl. Somit entsteht hier eine paradoxe Situation: Mieter:innen zahlen normalerweise die Kosten für Strom, Wasser und Gas aus ihrer eigenen Tasche. Die Mieten kommen obendrauf. „Ich sehe hier nicht die massiven Mehrkosten für die Eigentümer:innen“, so Ertl. „Für die Mietsteigerungen gibt es keine sachlichen Rechtfertigungen. Das ist eine Umverteilung von unten nach oben.“ Die mache sich auch dadurch bemerkbar, dass Sozialleistungen wie beispielsweise die Mindestsicherung nicht automatisch an die Inflation angepasst würden, so Ertl. „Viele Sozialleistungen müssen erst deutlich erhöht und dann laufend angepasst werden, sonst rutschen viele Menschen in Armut ab.“ Sein Fazit: „Hier muss politisch gegengesteuert werden, um den Sozialstaat armutsfest zu machen.“