Auch Lebensmittel werden an der Börse gehandelt. Solche, die es bereits gibt, und selbst solche, die noch nicht geerntet wurden. Als Russland seinen Angriffskrieg in der Ukraine begann, explodierten die Rohstoffpreise. Das lag auch an Spekulationen mit Lebensmitteln, wie die Verbraucherorganisation Foodwatch betont. Doch das Thema ist nicht so leicht, wie es aussieht. Bauern beispielsweise sichern sich mit dem Handel ihrer Agrarprodukte gegen fallende Preise ab, um überhaupt noch Treibstoff und Dünger zahlen zu können. Die Milliardenprofite machen andere.
Spekulation mit Lebensmitteln während Ukraine-Krieg
Wir ernähren etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung adäquat. Zehn Prozent gelten als stark übergewichtig und zehn Prozent leiden Hunger. Das liegt auch daran, dass die Weltgemeinschaft es nicht schafft, die zur Verfügung stehenden Güter fair zu verteilen. Und das wiederum liegt auch an Spekulationen mit Lebensmitteln.
Das Beispiel des russischen Angriffskriegs in der Ukraine macht das sehr deutlich. Mitte Februar lag der Preis für eine Tonne Weizen bei rund 260 Euro. Zwei Wochen später bei 422 Euro. Und im Mai bei 438 Euro. Innerhalb weniger Tage sammelten Fonds, die mit Agrarrohstoffen handeln, 4,5 Milliarden Euro bei Investoren ein. So viel, wie sonst innerhalb eines Monats, wie Miriam Frauenlob vorrechnet. Sie ist Referentin in der Abteilung EU & Internationales in der Arbeiterkammer Wien. Die beiden größten Fonds erhielten allein zu Beginn des Krieges sechsmal so viel Geld, wie sonst innerhalb eines Jahres.
Spekulationsblasen wiederholen sich
Das Thema ist nicht neu. Diese Spekulationsblasen wiederholen sich. Längst gibt es sogenannte Derivate, bei denen Investoren gar nicht mit den Rohstoffen selbst handeln, sondern mit Finanzkonstrukten darum herum. „2019 wurden in den USA und Europa Futures – Termingeschäfte – über fünf Milliarden Tonnen Weizen abgeschlossen und damit fast siebenmal so viel, wie die gesamte Ernte ausmachte“, erläutert Frauenlob. Nicht nur der Anstieg der Preise deutet darauf hin, dass die Preise von Spekulationen mit Lebensmitteln mit abhängig sind, auch der Preisverfall. Mittlerweile kostet eine Tonne Weizen rund 330 Euro pro Tonne. Ein Preisrückgang, der lange vor Durchbrüchen bei den Verhandlungen begann.
Auch die internationale Gesetzeslage befeuert Spekulationen mit Lebensmitteln. So erlaubt die Welthandelsorganisation (WTO) beispielsweise keine „handelsverzerrenden interne Stützen“. Das bedeutet, dass Staaten Lebensmittel nur zur Versorgungssicherheit lagern dürfen. Aber nicht, um damit Preise zu stabilisieren. Nachdem im Rahmen der Finanzkrise der Markt für Lebensmittel zunehmend volatiler wurde, hatten aber genau das vor allem die Entwicklungsländer gefordert. Dazu kommt, dass Lebensmittelreserven meist von Staatsunternehmen eingerichtet werden. Staatsunternehmen dürfen aber laut WTO den Weltmarktpreis nicht beeinflussen. Das bedeutet, dass schon die Anschaffung größerer Reserven zu einem Problem wird.
Spekulation mit Lebensmitteln: Trickle-Down-Effekt versagt mal wieder
Das alles sind Regelungen, die für Privatunternehmen nicht gelten. Vor allem für die großen vier. Damit sind ADM, Bunge, Cargill und Louis-Dreyfus gemeint, die „oligopolistischen Lebensmittelhändler“, wie sie Frauenlob nennt. Sie kontrollieren zwischen 70 Prozent und 90 Prozent des Getreidemarktes. Sie müssen nicht einmal angeben, wie groß ihre Reserven sind.
Landwirte und auch Ingo Pies, Wirtschaftsethik-Professor von der Universität Halle-Wittenberg, halten dagegen, dass die Preise (und Spekulation mit Lebensmitteln) einen Nutzen hätten. Landwirte könnten sich gegen sinkende Preise absichern und Volkswirtschaften könnten die Preise als Frühwarnsystem verstehen. „Die Preissignale veranlassen uns, heute sparsam zu sein, damit wir morgen in der Not mehr Getreide zur Verfügung haben“, erklärt Pies gegenüber der Tagesschau.
Die #Rekordpreise auf den Agrarmärkten sind nicht nur durch den Ukraine-Krieg zu erklären. Eine wesentliche Rolle kommt auch #Spekulation auf den globalen Rohstoffmärkten zu. Was dagegen getan werden kann, analysiert @miriamfrlb am A&W Blog: https://t.co/Gq94BXTNEa pic.twitter.com/PGJ9p2pHDR
— A&W Blog (@AundW) August 24, 2022
Doch global betrachtet ist das Problem nicht, dass hierzulande Brötchen teurer werden und die Inflation in Österreich befeuern, sondern dass Menschen in ärmeren Ländern verhungern. Werden Nahrungsmittel teurer, kommen sie nicht mehr in den Entwicklungsländern an. Denn auch das Welternährungsprogramm ist von den Marktpreisen abhängig.