Für das Jahr ganze 2022 erwartet das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) eine Inflationsrate zwischen 6,5 Prozent und 7 Prozent. Im August dürfte die Teuerung sogar die Marke von 10 Prozent überschreiten. Die Preissteigerungen knabbern am Reallohn, der immer niedriger wird. Deswegen sind Lohnverhandlungen in Zeiten hoher Inflation so wichtig. Auch für Unternehmen. Denn steigende Löhne sollen in erster Linie die Kaufkraft und damit die Nachfrage nach ihren Produkten erhalten.
Höhere Löhne gegen die Auswirkungen der Inflation
Im September 2022 starten wieder die Herbstlohnrunden. Die Forderungen der Gewerkschaften werden sich an der Inflationsrate der letzten zwölf Monate orientieren. Da die Zahlen für den August 2022 noch fehlen, ist die genaue Höhe noch unklar. Auf diesen Wert werden die Verhandler:innen dann einen gewissen Prozentsatz draufschlagen. Würden die Lohnsteigerungen nämlich nur die Inflation ausgleichen, wächst zwar der Nominallohn, der Reallohn bleibt aber gleich. Das bedeutet, dass sich die Arbeitnehmer:innen von ihrem höheren Lohn nicht mehr leisten können.
Lohnverhandlungen haben im Idealfall zwei Folgen. Zum einen wird die Kaufkraft erhalten und zum anderen werden die Arbeitnehmer:innen an der Produktivitätssteigerung der Wirtschaft beteiligt, wie Michael Ertl, Referent für Konjunktur- und Verteilungsfragen in der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der Arbeiterkammer Wien, erklärt. Denn Österreichs Beschäftigte können dank Weiterbildung, neuer Maschinen und besserer Infrastruktur eben immer mehr Wert pro Arbeitsstunde generieren als die Arbeitnehmer:innen in anderen Ländern. Passiert beides, wächst auch der Reallohn. Dafür müssen Löhne in der Inflation erhöht werden.
Angemessene Forderung: Mit Fakten für mehr Löhne in der Inflation
Diese Vorgehensweise nimmt Spannungen aus den Verhandlungen. Denn die Vertreter:innen der Gewerkschaften stützen ihre Forderungen auf Daten und Fakten, denen sich die Löhne anpassen müssen. Bisher hat das gut funktioniert. Im Jahr 2022 gab es schon eine ganze Reihe angemessener Lohnabschlüsse. Im August vereinbarten Gewerkschaften und Arbeitgeber:innen beispielsweise eine Lohnerhöhung für das Bäckergewerbe um 6,5 Prozent. Bereits im Juli stieg der Lohn in der Fleischwarenindustrie um 8,61 Prozent. Und im Juni freuten sich die Beschäftigten in der Bekleidungsindustrie über 5,4 Prozent mehr Lohn. Davor, im Mai, gab es 6,7 Prozent mehr für die Elektro- und Elektronikindustrie.
Dazu kommt ein weiterer Faktor: Es gibt gerade einen Markt der Arbeitnehmer:innen, wie auch Johannes Kopf, Geschäftsführer des Arbeitsmarktservice, gegenüber Arbeit&Wirtschaft betont. „Ich habe in Österreich doppelt so viele offene Lehrstellen wie Lehrstellensuchende, und in Oberösterreich und Salzburg mehr offene Stellen als Arbeitssuchende. Da können sich Arbeitssuchende unter mehreren Stellen die beste aussuchen.“ Aktuell sind beim AMS 138.000 offene Stellen gemeldet. Die gelten allerdings nur als Spitze des Eisbergs, weil viele Firmen ihre Jobausschreibungen nicht über das AMS laufen lassen. Das WIFO schätzt die tatsächliche Menge an unbesetzten Stellen in Österreich auf 300.000.
Gewinn-Preis-Spirale als Treiber der Inflation
Kritiker entgegnen, dass steigende Löhne in Zeiten der Inflation die Preissteigerungen noch weiter anheizen würden. Ertl hält das für Unsinn und erklärt, warum. „Es ist keine Lohn-Preis-Spirale. Die Löhne reagieren auf die Preise der letzten zwölf Monate. Und das ist notwendig, wenn man nicht akzeptieren will, dass Menschen weniger verdienen als im Vorjahr. Es geht dabei auch um eine Stabilisierung der Nachfrage.“
Tatsächlich empfiehlt er einen Blick auf die Gewinn-Preis-Spirale. Viele Unternehmen haben während der Krise die Preise erhöht, obwohl es dafür nicht wirklich einen Grund gab. Weil die Bundeswettbewerbsbehörde glaubt, dass manche Firmen in der Mineralölbranche ihre Gewinnmargen verdreifacht haben, werden jetzt die Rufe nach einer Sonderabgabe auf Übergewinne laut.
Nicht die Lohn-Preis-Spirale ist das Problem (höhere Löhne heizen nicht die Teuerung an), sondern die Gewinn-Preis-Spirale. Alles wird teurer und Unternehmen sackeln sich die zusätzlichen Gewinne ein, anstatt sie an KonsumentInnen weiterzugeben.#Inflation
— ÖGB (@oegb_at) April 21, 2022
Dazu kommt, dass die Vermieter:innen die Inflation genutzt haben, um die Mieten drastisch zu erhöhen. Das liegt an den sogenannten Kategoriemieten. Sind die Verbraucherpreise um mehr als fünf Prozent seit der letzten Mieterhöhung gestiegen, dürfen Vermieter:innen die Miete erneut erhöhen. Zwar müssen Wohnungsbesitzer das nicht tun, es gibt kein Gesetz, das sie zwingt, doch für viele Bürger:innen steht im Herbst dennoch die dritte Mieterhöhung in diesem Jahr an.
Auch deswegen ist die anstehende Herbstlohnrunde so wichtig. Es geht darum, dass sich die Arbeitnehmer:innen weiterhin eine eigene Wohnung leisten und diese beheizen können. Lohnerhöhungen sind eine strukturelle Verbesserung. Sie helfen langfristig. Arbeitnehmer:innen dürfen nicht auf Einmalzahlungen der Bundesregierung angewiesen sein.