Nicht zuletzt: Nach Bedarf statt mit Gießkanne

Das österreichische System der sozialen Sicherung funktioniert nach einem klaren Prinzip: Leistung orientiert sich am Bedarf.
Foto (C) ÖGB-Verlag/Michael Mazohl
Wer krank ist, bekommt den Arzt/die Ärztin bezahlt. Wer ein Kind hat, erhält Kinderbetreuungsgeld. Wer keinen Abnehmer für seine Arbeitsleistung findet oder aus anderen Gründen nicht arbeiten kann, bekommt Arbeitslosengeld oder Mindestsicherung.

Manche dieser Leistungen werden nach dem Versicherungsprinzip aus Beiträgen finanziert, andere aus dem Steuertopf oder aus zweckgebundenen Abgaben, die abhängig von der Höhe der Löhne/Gehälter sind.

Gießkannenprinzip

Da die Finanzierungsgrundlage, Stichwort Digitalisierung, künftig einerseits kleiner werden könnte, während andererseits weniger menschliche Arbeitskraft nachgefragt werden könnte, gewinnt die Forderung nach einer Abkehr vom Bedarfsgerechtigkeitsprinzip Aufwind.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) soll her. Jede und jeder Einzelne soll nach dem Gießkannenprinzip die gleiche Summe im Monat überwiesen bekommen, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen – also vor allem: ohne Bereitschaft zu arbeiten.

Das klingt erst einmal bestechend, denn wenn – wie manche behaupten – nicht mehr für alle genug Arbeit vorhanden sein wird, warum sollte dann Arbeit nach wie vor die Voraussetzung dafür bleiben, abgesichert leben zu dürfen?

Gefahr Grundeinkommen

Wenn man sich anschaut, von wem die Einführung des BGE vorgeschlagen wird, wird man allerdings stutzig: Es sind nicht nur Linke, die Freiheit und Unabhängigkeit von Erwerbsarbeit propagieren, sondern auch Unternehmer und deren Lobbyisten. Was könnten ausgerechnet neoliberale Fans des Sozialabbaus für ein Interesse daran haben, dass Menschen künftig auch ein Einkommen erhalten, ohne dass sie arbeiten?

Antwort eins lautet: Sie wollen zwar ein BGE – aber dafür alle anderen Sozialleistungen abschaffen. Das bisherige Sicherungsniveau würde also für viele Menschen gesenkt – Sozialabbau. Und weil diese Sozialleistungen dann nicht mehr finanziert werden müssten, könnte man ja die Finanzierungsquellen abschaffen: Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung oder andere Lohnnebenkosten.

Und Antwort zwei: Weil ja durch das BGE ohnehin alle grundlegend abgesichert wären, könnte man als Arbeitgeber niedrigere Löhne zahlen. Wie bei einem Kombilohn würden die Unternehmer den Lohn nur mehr als eine Art Aufzahlung sehen – die Existenz der Menschen wäre ja ohnehin gesichert. Kollektivverträge, Mindestlöhne, Kündigungsschutz usw. kämen unter Druck.

Weil das Grundeinkommen steuerfrei wäre, würde das Lohnsteueraufkommen deutlich kleiner ausfallen. Manche BGE-BefürworterInnen wollen das Steuersystem umstellen und zum Beispiel die Mehrwertsteuer drastisch erhöhen, auf bis zu 100 Prozent. VerliererInnen wären Menschen mit niedrigen Einkommen, denn die konsumieren ihr gesamtes Einkommen und würden entsprechend bei jedem Einkauf steuerlich belastet. Problem: Das BGE würde dann nicht mehr zum Leben reichen.

Leistungsfähigkeitsprinzip ausdehnen

Wenn wir das soziale Sicherungssystem erhalten wollen, dann müssen auch weiterhin alle zum Gemeinwohl beitragen. Wenn sie dazu in der Lage sind, dann durch Erwerbsarbeit und darauf basierenden Steuern und Abgaben.

Besser, als von diesem Prinzip der Leistungsfähigkeit abzugehen, wäre, es auszudehnen: auf jene, die mit ihren großen Vermögen und Erbschaften einen viel größeren Beitrag leisten können.

Von
Bernhard Achitz
Leitender Sekretär des ÖGB

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/17.

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