„Wir bevorzugen Lösungen, die nachhaltig sind“

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Wolfgang Katzian im Interview mit Arbeit&Wirtschaft über Inflation, Übergewinne und Antiteuerungsmaßnahmen. | © GEORG HOCHMUTH/APA /picturedesk.com

Inhalt

  1. Seite 1 - Die Inflationsrate steigt Monat für Monat
  2. Seite 2 - Antiteuerungsmaßnahmen, die wirken
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Wolfgang Katzian, Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB), spricht im Interview über Inflation, Übergewinne und Lohnrunden in Krisenzeiten. Und präsentiert gleich passende Lösungen für diese Probleme.
Die Inflation wütet. Und sie bringt eine Vielzahl von Problemen für die Österreicher:innen mit. Viele können sich Mieten, Strom und Heizung nicht mehr leisten. Gleichzeitig fahren viele Konzerne Rekordgewinne ein. Ein Unding, findet Wolfgang Katzian. Der Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) erklärt im Interview mit Arbeit&Wirtschaft, warum Einmalzahlungen der Regierung das Problem nicht lösen. Und welche strukturellen Lösungen es tatsächlich bräuchte. Und warum die aktuellen KV-Verhandlungen so schwierig sind.

Inflation, Übergewinne, Lohnrunden: Wolfgang Katzian im Interview

Arbeit&Wirtschaft: Wie vergangene Woche von der Statistik Austria bekanntgegeben, beträgt die Inflationsrate für Juli 9,3 Prozent. Der Miniwarenkorb, also der Messwert für die Wocheneinkäufe 19 Prozent. Und laut Expert:innen ist sie weiter am Steigen. Was beunruhigt Sie dabei am meisten?

Wolfgang Katzian: Am meisten beunruhigt mich, dass die Inflationsrate Monat für Monat weiter steigt und jeder Prozentpunkt mehr an Inflation einen weiteren Kaufkraftverlust für die Leute bedeutet. Wir haben bereits im März Alarm geschlagen und davor gewarnt, dass die Inflation Dimensionen annehmen wird, die gewaltig sind. Das hat sogar dazu geführt, dass es zu einem gemeinsamen 9-Punkte-Antiteuerungs-Maßnahmenkatalog der Sozialpartner und der IV gekommen ist. Und seit dem – wir waren damals bei fünf Prozent Inflation, jetzt sind wir bei über neun Prozent und mehrere Ökonomen sprechen von einer zweistelligen Inflationsrate für die kommenden Monate – zieht sich alles wie ein Strudelteig.

Was sind Ihre Eindrücke aus den Gesprächen mit der Regierung. Was hat Sie bisher positiv überrascht und wo gibt es aus gewerkschaftlicher Sicht Luft nach oben?

Das erste Positive ist, dass die aktuelle Regierung immer wieder mit uns spricht. Denn die vorherige türkis-blaue Regierung hat eher selten bis gar nicht mit uns gesprochen. Das zweite Positive ist, dass sie sich auch Zeit genommen haben, die Vorschläge der Sozialpartner mit uns zu diskutieren und auch sagen, sie rechnen die durch. Was mich dann doch enttäuscht hat, ist, dass alles so langsam geht und es zu keiner politischen Entscheidung kommt. Wir Gewerkschafter ticken da anders. Denn ich denke mir, wenn ich von JEMANDEM was will, dann gehe ich zu IHM hin und sage, setzen wir uns zusammen und reden wir darüber. Wenn er nein sagt, dann ist es ein nein und ich muss mir überlegen, wie ich Druck machen kann, dass ich doch was erhalte.

Wie lange sollte die Regierung angemessener Weise noch beobachten?

Damit das Beobachten beschleunigt und das Fernglas schärfer gestellt wird, machen ÖGB und alle Gewerkschaften am 17.9.2022 eine große Demonstration. Wir gehen in allen Bundesländern auf die Straße machen deutlich, wie wichtig es uns ist, dass mehr Maßnahmen gesetzt werden als die bisherigen und vor allem, dass es schneller gehen muss.

Das WIFO berechnete für Juni, dass Österreich der höchste Reallohnverlusts seit 1955 drohe und bezifferte den Rückgang um 2,3 Prozent. Das bedeutet einen großen Kaufkraftverlust? Was heißt das für die kommende Herbst-Lohnrunde?

Das ist eine große Herausforderung für die Gewerkschaften. Aber die Lohnpolitik alleine kann diesen Kaufkraftverlust nicht kompensieren. Daher brauchen wir neben Lohnerhöhungen auch Maßnahmen, um die Inflation zu dämpfen. Wie gesagt, der ÖGB macht seit März regelmäßig Vorschläge. Mit der weiter steigenden Inflation sind der Strompreis- und der Energiepreisdeckel entscheidend. Darüber hinaus müssen wir was bei den Lebensmitteln und den Gütern des täglichen Bedarfs, also von der Zahnpasta bis zum Brot, sowie beim Wohnen tun. Denn mittlerweile ist vielen die Miete bereits zwei Mal in diesem Jahr erhöht worden und wenn es so weiter geht, wird sie noch ein drittes Mal erhöht. Das werden sich nicht mehr viele leisten können.

Ziel muss es sein, dass die Kaufkraft erhalten bleibt. Um das langfristig zu sichern, muss sich auch an den Rahmenbedingungen etwas ändern. Das heißt konkret, ich muss die Löhne und die Steuern auf Vermögen nachhaltig verändern. Sonst können die Leute auf Dauer nicht mehr von ihrer Arbeit leben. Geschweige denn gut von ihrer Arbeit leben. Gelingt das nicht, dann wird auch die Wirtschaft keine Freude mehr haben. Wenn die Leute kein Geld haben, dann kann auch niemand die Dinge mehr kaufen. Daher müsste die Wirtschaft selbst größtes Interesse daran haben, die Kaufkraft zu erhalten und sogar auszubauen.

Wir haben bereits im März Alarm geschlagen und davor gewarnt, dass die Inflation Dimensionen annehmen wird, die gewaltig sind.

Was heißt das konkret für die kommenden Lohnverhandlungen?

Da sind wir bei der Frage, wie Löhne zustande kommen. Die Gewerkschaften verhandeln seit vielen Jahren nach einem bestimmten Grundmuster. Grundlage ist die rollierende Inflation der letzten zwölf Monate. Diesen Wert stellen wir vor Beginn der Verhandlungen mit den Arbeitgebern außer Streit. Dazu kommen dann noch die Produktivitäts- sowie Gewinnentwicklung, die Wachstumsentwicklung in einer Branche und viele weitere Paramater. Die Gestaltungsmöglichkeiten, die es dann gibt, sind Verhandlungssache und auch die Frage der Stärke der jeweiligen Partner, die sich gegenübersitzen (Anm.: Die Machtfrage stellt sich akut bei den Metaller KV-Verhandlungen 2022.)

Warum wird die rückwirkende, also die rollierende Inflation, für die Berechnung der Lohnerhöhungen herangezogen und nicht beispielsweise die aktuelle Inflation oder die Inflationsprognose für dieses oder nächstes Jahr?  

Basis für die Verhandlungen ist nach wie vor die sogenannte Benya-Formel. Die rollierende Inflation ist ein ganz wichtiger Aspekt dabei. Würden wir beispielsweise die aktuelle Monats-Inflation zum Zeitpunkt des Verhandlungsstarts als Grundlage wählen, wäre der Betrachtungszeitraum zu kurz. Da würden die Arbeitnehmer:innen dann leicht einmal um viel Geld umfallen, wenn in dem Monat die Inflation niedriger wäre als in den Monaten davor oder danach. Würde man die Inflationsprognosen als Verhandlungsbasis nehmen, müsste man sich zuerst drüber streiten, welche Prognose man für die Verhandlungen heranzieht. Wenn die Prognosen zu niedrig sind, fallen die Arbeitnehmer:innen wieder um ihr Geld um. Die zurückliegenden zwölf Monate sind hingegen gesichert. Die Inflation hat stattgefunden und um diesen Wert mindestens muss der Lohn angepasst werden.

Mit der rollierenden Inflation als Basis für die Lohnverhandlungen ist auch die Behauptung widerlegt, wir hätten eine Lohn-Preis-Spirale. In Österreich haben wir nie eine Lohn-Preis-Spirale gehabt. Wer das behauptet, redet im wahrsten Sinne des Wortes Humbug. Wenn man die letzten 12 Monate der Preisentwicklung als Grundlage nimmt, dann folgen die Löhne den Preisen und nicht die Preise den Löhnen, wie manche gerne behaupten. Aber natürlich ist der Nachteil dieser Vorgehensweise, dass es bei den aktuellen Inflationshöhen in diesem Jahr zu einem Reallohnverlust kommt, der erst im nächsten Jahr mit der dann 12 Monate zurückliegenden Inflation wieder ausgeglichen wird.

Gibt es da konkrete Beispiele?

Nehmen wir etwa die diesjährige Frühjahrslohnrunde der Papierindustrie. In der Papierindustrie ist im April 2022 ein Abschluss von 4,9 Prozent  erreicht worden. Die zurückliegende rollierende Inflation war 3,5 Prozent. Das heißt, der Abschluss war 1,4 Prozent real über der Inflationsrate. Also ein Reallohnzuwachs in diesem Bereich. Wenn in dem Monat, in der wir 4,9 Prozent ausverhandeln, die Inflation bei 7,2 Prozent liegt, scheint das nicht zufriedenstellend. Deshalb ist es wichtig, immer wieder auf den Unterschied zur aktuellen und rollierenden Inflation hinzuweisen.

Das Preisniveau wird nicht mehr sinken, nur die Teuerungsrate wird prozentuell irgendwann zurückgehen. Bei den vorgestellten Maßnahmen der Regierung handelt es sich zum großen Teil um Einmalzahlungen. Wird das reichen?

Das Problem einer Einmalzahlung ist das Wort „einmal“ und das heißt, das gibt es genau einmal. Einmalzahlungen wirken, wenn ich weiß, dass die Preise in ein bis zwei Monaten wieder sinken. Dann kann ich sagen, ok, du kriegst eine Einmalzahlung und nachher ist alles wieder gut. Nur so ist es nicht. Die Preise bleiben hoch. Die Frage wäre daher, wann gibt es die nächste Einmalzahlung und das ist nicht nachhaltig. Wir bevorzugen hingegen Lösungen, die nachhaltig sind. Daher sind nachhaltige Lohnerhöhungen auch in der Kollektivvertragspolitik wichtiger als Einmalzahlungen.

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Über den/die Autor:in

Eva Winterer

Eva Winterer ist Kommunikationsstrategin und war von 2022 bis 2023 Chefin vom Dienst der Arbeit&Wirtschaft.

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