Interview: Jeder hat das Recht auf Absicherung

Foto (C) Michael Mazohl

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Die Sozialökonomin Karin Heitzmann plädiert für den Wandel vom Sozialversicherungsstaat zum Sozialstaat. Ein Gespräch über Bedürfnisse und Bedürftigkeit, über Kosten und Investitionen.
Zur Person
Karin Heitzmann ist außerordentliche Universitätsprofessorin am Institut für Sozialpolitik und gemeinsam mit Wilfried Altzinger und Sigrid Stagl Leiterin des Forschungsinstituts Economics of Inequality an der WU Wien. Vor Kurzem veröffentlichte sie (mit Evelyn Dawid) eine Studie zum Leistungsangebot von sozialwirtschaftlichen Organisationen in der österreichischen Armutsbekämpfung.

Arbeit&Wirtschaft: Bei welcher bedürftigkeitsabhängigen Sozialleistung – Ausgleichszulage, bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS), Notstandshilfe etc. – sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

Karin Heitzmann: Änderungen wären in mehreren Bereichen angebracht. Die Ausgleichszulage etwa ist derzeit eine Fürsorgeleistung, die man dann erhält, wenn die Pensionsansprüche – unter Berücksichtigung des Partnereinkommens – entsprechend niedrig sind. Hier bin ich für eine echte Mindestpension, unabhängig vom Einkommen des Partners.

Und auch unabhängig von Versicherungsleistungen, denn es gibt immer noch Frauen, die so wenige Versicherungszeiten haben, dass überhaupt kein Pensionsanspruch besteht. Diese Frauen sind heute auf die Mindestsicherung zurückgeworfen, die mit entsprechenden Auflagen verbunden ist. Ich frage mich, ob wir es uns nicht leisten können, dass jeder Mensch ab einem gewissen Alter Anspruch auf eine Mindestpension hat, die dann bedingungslos ausbezahlt wird.

Ab welchem Alter?

Ab 65, 68 oder auch 70 – jedenfalls bedingungslos. Wer einen höheren Pensionsanspruch hat, bekommt eben entsprechend mehr. Bei Notstandshilfe und Arbeitslosengeld könnte man sich eine Deckelung nach unten überlegen.

Derzeit gibt es ja nur die Deckelung nach oben. Wer zu wenig vom AMS bekommt, kann über die Mindestsicherung aufstocken, die extra beantragt werden muss. Diese Menschen werden zwischen zwei Systemen hin- und hergeschoben.

Bedeutet bedingungslos auch, dass MindestpensionistInnen dazuverdienen dürften?

Genau, vergleichbar einem Grundeinkommen ab einem gewissen Alter. Die Verwaltung wäre einfacher als heute und ein Stück weit würden dadurch die BMS-Töpfe entlastet. Und es wäre für Menschen ohne Pensionsansprüche weniger entwürdigend, weil sie nicht mehr alles offenlegen müssten. Bei der BMS gibt es aktuell ja einigen Reformbedarf. Ende 2016 ist die 2010 geschlossene 15a-Vereinbarung ausgelaufen – derzeit gibt es also keine bundesweit einheitliche Regelung mehr, ähnlich wie vor dem Jahr 2010. Damals gab es einige regionale Wildwüchse. Ich hoffe auf eine baldige bundesweite Regelung oder man entwickelt das Ganze überhaupt in Richtung Grundeinkommen.

Diesbezüglich gäbe es wohl einigen Gegenwind …

Wenn man sich die Realität anschaut, dann gibt es den unserem Sozialversicherungssystem zugrunde liegenden Lebenslauf – 40 Jahre durchgehende Beschäftigung womöglich bei einem Arbeitgeber – fast nicht mehr. Typischer sind Lücken und Brüche im Arbeitsleben, da muss man sich ohnehin etwas Neues überlegen. Im Grunde ist auch das Prinzip „Nur wer einbezahlt hat, erhält eine Pension, und wer mehr verdient hat, bekommt mehr“ auch nur eine Norm. Genauso könnte man sagen, alle Bürger und Bürgerinnen haben das Recht auf eine gewisse Absicherung – wobei es mir vor allem um die Untergrenze geht, damit die Menschen sich nicht wie Almosenempfänger vorkommen. Das sind wir zwar nicht gewohnt, aber die Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt werden sich weiter verändern und das Alleinverdiener-Modell wird durch neue Familienkonstellationen obsolet.

Wie dringend besteht Handlungsbedarf?

Man sollte bald was tun. Denn die neuen Herausforderungen bestehen ja schon länger und das Sozialversicherungssystem muss sich entsprechend anpassen. Damit sich die Jungen von heute darauf verlassen können, dass sie überhaupt noch eine Pension bekommen. Derzeit bezweifeln das viele. Es wird zwar immer wieder angesprochen, dass das Sozialversicherungssystem nicht mehr nachhaltig ist, aber letztendlich wird dann doch an zu wenigen Schrauben gedreht, um es so nachhaltig zu gestalten, dass man weiß, es hat in 30 oder 40 Jahren auch noch Bestand.

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