Historie: Sozialabbau und Armutsverwaltung

Foto (C) Volkswirtschaftlicher Aufklärungsdienst 14.12.1934
Blick in ein 1934 eingerichtetes Haft- und Arbeitslager für Bettler. Die Insassen der Wiener „Beschäftigungsanstalt“ für arbeitsfähige Bettler erhielten als „Lohn“ für ihre Arbeit in staatlichen Betrieben und Anstalten ein Essen und 50 Groschen täglich. Davon wurden 20 Groschen gutgeschrieben.
Unter der österreichischen Diktatur der 1930er-Jahre wurde der Kampf gegen Armut aufgegeben - sie war nur mehr ein Verwaltungsproblem.
Der Politikwissenschafter Emmerich Tálos zeigt in seinem Standardwerk über „Das austrofaschistische Herrschaftssystem“ die Folgen einer Sozialpolitik auf, die durch staatliche Sparideologie zum Verfehlen ihrer Ziele geradezu genötigt wird.

Die rigideren Bedingungen in der Arbeitslosen- und Altersfürsorge und die Leistungskürzungen in den verschiedenen Sozialversicherungszweigen verlagerten die wachsende soziale Problematik auf die unterste Ebene der Sozialpolitik und erhöhten damit deren Belastung. Die in Reaktion darauf von den Gemeinden verfolgte restriktive Strategie richtete sich vor allem auf die Abweisung „fremdzuständiger“ Personen.

Die Novellierung des Heimatgesetzes … als Grundgesetz des Bundes über das Armutswesen … bot dazu Handlungsmöglichkeiten. … Arme, die um Unterstützung außerhalb ihrer Heimatgemeinde ersuchten, bedurften eines durch die Heimatgemeinde ausgestellten befristeten Unterstützungsausweises. … Arme, die in einer anderen Ortsgemeinde ihren dauernden Aufenthalt hatten und bei ihrem Ersuchen um Unterstützung keinen Unterstützungsausweis vorwiesen, konnten … von der Ortsgemeinde mit Arrest von drei Tagen bis zu sechs Wochen bestraft werden. Gleiches galt für „umherziehende Personen“, d. h. sog. Bettler, sofern sie beispielsweise deswegen bedürftig waren, weil sie eine angebotene Arbeitsgelegenheit nicht genommen haben. Der Arrest konnte mit dem Tragen von Häftlingskleidung und zugewiesener Arbeit verbunden sein.

Unter dem Druck der Priorität eines ausgeglichenen Budgets bei wachsenden Fürsorgeausgaben … wurden – wie es beispielsweise für Linz hieß – die Fürsorgelasten aufs Äußerste gedrosselt. Eine der diesbezüglich konkret ergriffenen Maßnahmen stellte die Einführung der Fürsorgearbeit dar. Unterstützungsbedürftige, arbeitsfähige Menschen (in erster Linie ausgesteuerte kinderreiche Familienväter) erhielten keine Almosen mehr, sondern wurden zur Fürsorgearbeit angehalten. …

An der Heimatgesetznovelle aus 1935 zeigte sich nicht nur, dass der traditionelle Kontrollgedanke der Armenfürsorge mit einer sicherheitspolitischen Zielsetzung verbunden wurde. Zudem wird hier die enge Verquickung von Armenfürsorgepolitik und einer Politik gegen „Bettlerunwesen“ … ersichtlich. … Das Land Oberösterreich errichtete in Schlögen ein Bettlerlager, in Wien wurde ein Obdachlosenheim für arbeitsfähige Arme und eine Beschäftigungsanstalt für arbeitsfähige Bettler etabliert. …

Die soziale Lage der Arbeiterschaft im Austrofaschismus widerlegte die Ankündigung vom „sozialsten Staat der Welt“. … Die austrofaschistische Sozialpolitik verschlechterte die Arbeitsbedingungen ebenso wie die materiellen Bedingungen durch Lohnkürzungen, Beschränkung der Zugangsbedingungen zu Sozialleistungen, Leistungskürzungen in allen Bereichen der Sozialversicherung und durch Aussteuerung. Armenpolitik hieß Verwaltung von Armut – verbunden mit verstärkter Kontrolle und Repression.

Aus Emmerich Tálos: Das austrofaschistische Herrschaftssystem, Österreich 1933–1938, Wien 2013, S. 375–377, 379–380.

Ausgewählt von
Brigitte Pellar
Historikerin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/17.

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