Berufskrankheit COVID: „Anerkennung durch den Gesetzgeber ist leistbar“

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Studien belegen, dass bis zu 20 Prozent aller Menschen, die an COVID-19 erkrankten, noch zwölf Wochen und länger Probleme durch den Erreger haben. Long COVID kann allerdings auch viele Jahre dauern. Die Erkrankung ist bis dato nicht in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden.
Beinahe 2,5 Millionen COVID-19-Fälle sind österreichweit seit dem Pandemiebeginn vor gut zwei Jahren zu verzeichnen. Unterschiedliche Mutationen hatten unterschiedlich starke Auswirkungen auf die Erkrankungsverläufe. Manche Varianten waren ansteckender, aber weniger aggressiv, andere wiederum weniger ansteckend, dafür mussten mehr Menschen auf den Intensivstationen behandelt werden. Wissenschaftliche Studien belegen, dass bis zu 20 Prozent aller infizierten Personen länger als zwölf Wochen mit den Nachwehen des Erregers zu kämpfen haben. Ab diesem Zeitraum spricht man von Long COVID. Manche haben auch nach Monaten oder mittlerweile Jahren schwere Probleme und können kaum ein Leben führen, das jenem ähnelt, das sie vor der Infektion geführt haben.

Berufskrankheiten sind Leistungen aus der Unfallversicherung, wenn Menschen durch die Arbeit krank werden. 

Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB

Jedoch ist COVID noch nicht in die AUVA-Liste (Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Anm.) für Berufskrankheiten aufgenommen worden. Die Liste umfasst aktuell 53 unterschiedliche Krankheiten von Erkrankungen durch Blei, seine Legierungen oder Verbindungen über durch Lärm verursachte Schwerhörigkeit bis zu von Tieren auf Menschen übertragbaren Krankheiten. Aktualisiert wird die Liste nur sehr selten. Die momentan angeführten Berufskrankheiten sind über zehn Jahre alt und gar nicht mehr alle zeitgemäß. „Berufskrankheiten sind Leistungen aus der Unfallversicherung, wenn Menschen durch die Arbeit krank werden“, erklärt Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB. Mit dem Ende der Quarantäne wurde diese Forderung lauter.

„Männliche“ Krankheitsbilder

Wenig geschlechtergerecht ist die AUVA-Liste außerdem, da sich diese vorrangig noch immer am Ideal des männlichen Industriearbeiters orientiert und andere Krankheiten missachtet. Die dort aufgelisteten Krankheiten beziehen sich zu einem erheblichen Teil auf männerdominierte Berufsgruppen. Besonders Schädigungen, die durch Industrie-Jobs oder durch Bauarbeit entstehen, sind darin verzeichnet. Was natürlich wichtig, aber eindeutig zu wenig ist und dringend erweitert gehört. So gibt es keine gelistete Berufskrankheit, die die Probleme des Hebeapparats abdeckt, was häufig in Pflegeberufen vorkommt, und auch keine, die den weißen Hautkrebs erwähnt. Dieser kommt bei Bauarbeiter:innen allerdings regelmäßig vor. Der weiße Hautkrebs ist in Deutschland die zweithäufigste Berufserkrankung und wird dort auch als solche anerkannt.

Ebenfalls ist von psychischen Erkrankungen weit und breit nichts zu sehen. Besonders dort, wo die psychischen Belastungen und Stresssituationen in der heutigen Arbeitswelt immer mehr werden. „Es gibt im aktuellen Koalitionsvertrag einen Satz, der die Modernisierung der Berufskrankheitenliste betont, aber erfolgt ist bisher noch nichts. Der erste Schritt wäre, die Liste den aktuellen Notwendigkeiten anzupassen. Man kann hier durchaus nach Deutschland blicken, dort sind 18 Berufskrankheiten mehr auf der Liste als in Österreich“, sagt Claudia Neumayer-Stickler, Leiterin des Referats für Gesundheitspolitik beim ÖGB, im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft. Es brauche allerdings noch mehr, wie die Expertin betont: „Die Liste muss regelmäßig evaluiert werden, und man darf nicht wieder Jahrzehnte abwarten, um eine Anpassung durchzuführen. Schließlich können neue Krankheitsbilder und Erkrankungen auftauchen, von denen wir jetzt noch nichts wissen.“

Man kann hier durchaus nach Deutschland blicken, dort sind 18 Berufskrankheiten mehr auf der Liste als in Österreich.

Claudia Neumayer-Stickler, Leiterin des Referats für Gesundheitspolitik beim ÖGB

Von voreiligen Streichungen von nicht mehr häufig auftretenden Berufskrankheiten rät Neumayer-Stickler jedoch ab, schließlich können Beschwerden erst Jahre oder Jahrzehnte nach der Ausübung der beruflichen Tätigkeit akut werden.

Finanzielle Folgen durch Nichtanerkennung

Ein Drittel der Menschen, die aufgrund von COVID-19 auf einer Intensivstation behandelt wurden, ist zwölf Monate danach noch immer nicht in der Lage, ein Arbeitspensum wie zuvor zu bewerkstelligen, wie diverse aktuelle Untersuchungen belegt. Und ein weiteres Drittel schafft nicht mal einen normalen Tagesablauf. Deshalb fordern AK und ÖGB für alle Berufsgruppen die Aufnahme von COVID in diese Liste. Aktuell sind nur Krankenhäuser, öffentliche Apotheken, Pflegeanstalten und weitere ausgewählte Sparten abgedeckt.

Es braucht rückwirkend eine Anerkennung von allen Unternehmen, in denen die Pandemie auftreten kann, und es braucht eine Erleichterung der Beweisführung.

Christoph Klein, Direktor der AK Wien und der Bundesarbeitskammer

„Wer nicht in einem Listenunternehmen arbeitet oder das Glück hat, dass die AUVA gnädig ist und die Krankheit anerkennt, hat keine Möglichkeit, COVID als Berufskrankheit geltend zu machen“, sagt Christoph Klein, Direktor der AK Wien und der Bundesarbeitskammer. Das hat finanzielle Folgen, da viele Dinge nicht übernommen werden und man beispielsweise weder einen Rollstuhl noch ein Sauerstoffgerät im Bedarfsfall bezahlt bekommt. Und auch die Anerkennung für aktuell berechtigte Berufsgruppen ist alles andere als einfach. „Die AUVA verlangt eine Index-Person, auf die sich die oder der Arbeitnehmer:in beziehen muss und dadurch zu beweisen hat, dass sie oder er sich in der Arbeit durch diese Person angesteckt hat“, sagt Klein. Wenn man eine solche Person nicht nennen kann und nicht in den bereits erwähnten Listenberufen arbeitet, dann hat man so gut wie keine Chance, dass COVID als Berufskrankheit anerkannt wird. „Es braucht rückwirkend eine Anerkennung von allen Unternehmen, in denen die Pandemie auftreten kann, und es braucht eine Erleichterung der Beweisführung“, fordert Klein.

Unfallrente als Absicherung

„Es geht uns nicht nur um die Anerkennung von Long COVID, sondern allgemein um COVID und die Abfederung der Langzeitfolgen. Die Vorteile für eine betroffene Person sind vielfältig. So würde die Finanzierung von Therapien und Reha-Angeboten darunterfallen, die ohne die Anerkennung von COVID als Berufskrankheit nicht abgegolten werden“, sagt Neumayer-Stickler. Ein anderer Punkt sind Medizinprodukte und Heilbehelfe. Wenn es sich um eine „normale“ Krankheit handelt, dann muss man in der Krankenversicherung selbst einen großen Anteil zahlen, als anerkannte Berufskrankheit würden diese Kosten übernommen werden. Außerdem ist man finanziell durch den Bezug einer Unfallrente abgesichert. Was speziell bei jüngeren Arbeitnehmer:innen mit noch wenigen Arbeitsjahren, aber auch darüber hinaus ein wichtiger Punkt ist. Finanziell sollte das für den Staat Österreich kein Problem darstellen, wie AK-Wien-Direktor Klein meint: „Die Anerkennung von COVID als Berufskrankheit ist leistbar.“

Die Anerkennung von COVID als Berufskrankheit ist leistbar.

Christoph Klein, Direktor der AK Wien und der Bundesarbeitskammer

Über den/die Autor:in

Stefan Mayer

Stefan Mayer arbeitete viele Jahre in der Privatwirtschaft, ehe er mit Anfang 30 Geschichte und Politikwissenschaft zu studieren begann. Er schreibt für unterschiedliche Publikationen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport.

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