Schwarz-Grün torpediert Lohndumpinggesetz

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Das Lohn- und Sozialdumpinggesetz sichert arbeitsrechtliche Mindeststandards in Österreich. Deshalb sieht es sich seit Jahren zunehmenden Angriffen ausgesetzt. Nun wurde mit dem Kumulationsprinzip ein wichtiger Eckpfeiler dieses Gesetzes abgeschafft.

Es gibt Ereignisse, die eigentlich großen Nachrichtenwert haben, dennoch aber kaum Eingang in die öffentliche Debatte finden. So wird kaum jemand wissen, was sich hinter dem Kürzel LSD-BG verbirgt. Nein, es ist keine bewusstseinserweiternde Droge. Es handelt sich vielmehr um das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz. Dieses Gesetz trägt dazu bei, dass in Österreich geltende Lohn- und Sozialstandards eingehalten werden. Genau deshalb steht es auch schon seit Jahren unter Beschuss. Mit einer Anfang September rechtsgültig gewordenen Gesetzesnovelle ist mit der faktischen Abschaffung des Kumulationsprinzips ein wichtiger Eckpfeiler dieses Gesetzes eingerissen worden.

Was ist das Kumulationsprinzip?

Kumulationsprinzip? Ein anderes Wort für „Kumulation“ ist Anhäufung oder Ansammlung. Und genau darum geht es. Bezahlt zum Beispiel ein:e Arbeitgeber:in zwanzig bei ihm beschäftigte Arbeitnehmer:innen nicht nach dem ihnen zustehenden Kollektivvertragslohn und wird überführt, müsste er nach dem Kumulationsprinzip für jeden der Geschädigten eine Geldstrafe zahlen, die ab einer bestimmten Zahl betroffener Beschäftigter ansteigen kann. So hat das LSD-BG bislang funktioniert. Seit September tut es das nicht mehr.

Hierzu gibt es eine Vorgeschichte. Schon 2018 wollte die damalige schwarz-blaue Bundesregierung das Kumulationsprinzip abschaffen, konnte dieses Vorhaben jedoch nicht umsetzen. Schon ein Jahr zuvor kam es zu einem Rechtsstreit zwischen dem Land Steiermark, einem dort ansässigen Industriebetrieb und einer kroatischen Leiharbeitsfirma. Letztere hatte kroatische Arbeitskräfte an das steirische Unternehmen verliehen, beziehungsweise „überlassen“, wie es im Fachjargon heißt. Allerdings lag damals für diese Beschäftigten keine Arbeitsbewilligung in Österreich vor. Auch die Lohnunterlagen der Leiharbeitskräfte konnten die betroffenen Unternehmen den zuständigen Behörden nicht vorlegen. Letzteres in 217 Fällen. Hier griffen anschließend zwei Bestandteile des LSD-BG: das Kumulationsprinzip und das Mindeststrafenprinzip. Letzteres sieht vor, dass ein gegen das Gesetz verstoßendes Unternehmen auf jeden Fall eine bestimmte Geldstrafe zahlen muss. Beides zusammen soll dafür sorgen, dass die fällige Strafe dem Unternehmen auch wehtut.

Der EuGH hält die Kumulation an sich für okay, hat aber festgehalten, dass es Obergrenzen und eine Verhältnismäßigkeit geben muss, um unverhältnismäßige Höhen zu vermeiden.

Walter Gagawczuk, Arbeitsrechtsexperte der Arbeiterkammer

Im hier vorliegenden Fall tat es tatsächlich weh. Laut der Fachzeitschrift „bau aktuell“ vom Jänner 2020 wurden der Geschäftsführer der kroatischen Leiharbeitsfirma zu einer Strafe von 3.255.000 Euro sowie die Geschäftsführer des steirischen Industriebetriebs zu 2.400.000 Euro Strafe verurteilt. Als Ersatzfreiheitsstrafen wurden 1.736 beziehungsweise 1.600 Tage verhängt. Anschließend kam es zu einem Beschwerdeverfahren gegen das Urteil. Schlussendlich endete die Sache vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Arbeiterkammer wollte das Problem schon 2017 lösen

Der EuGH sah tatsächlich Handlungsbedarf und beurteilte die österreichischen Strafbestimmungen im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Lohndumping als „unionsrechtswidrig“. In dieser Beurteilung steckt der Teufel im Detail, wie Walter Gagawczuk, Arbeitsrechtsexperte der Arbeiterkammer (AK), erklärt: „Der EuGH hält die Kumulation an sich für okay, hat aber festgehalten, dass es Obergrenzen und eine Verhältnismäßigkeit geben muss, um unverhältnismäßige Höhen zu vermeiden.“ Dieses Problem hätten die Sozialpartner schon lange vor dem oben beschriebenen Rechtsstreit erkannt. „Schon im Juli 2017 haben die Sozialpartner einen Gesetzentwurf unterbreitet, der Abhilfe dort schaffen sollte, wo es zu überzogenen Strafen kommt, ohne aber das Kumulationsprinzip abzuschaffen. Das wurde aber nicht aufgegriffen.“

Es gibt jetzt eine maximale Strafe von 400.000 Euro. Das ist nicht abschreckend. Oft sind die Strafen niedriger als die Höhe der nicht bezahlten Löhne.

Walter Gagawczuk, Arbeitsrechtsexperte der Arbeiterkammer

Stattdessen ging die schwarz-grüne Bundesregierung einen anderen Weg. In einer Aussendung der Parlamentskorrespondenz vom 1. Juli 2021 heißt es unter der Überschrift „Sozialausschuss beschließt Novelle“: „Das Kumulationsprinzip bei Verwaltungsstrafen wegen Lohn- und Sozialdumpings wird abgeschafft.“ Die Begründung: „Die Regierung will mit der Änderung einem Urteil des EuGH aus dem Jahr 2019 Rechnung tragen. Dieser hatte die österreichischen Strafdrohungen zum Teil als unverhältnismäßig und unionsrechtswidrig gewertet.“

Reduzierter Abschreckungseffekt

Bereits im Vorfeld hat Gagawczuk für die AK eine Begutachtung der Gesetzesnovelle verfasst. Darin schreibt er, es entstehe „der Eindruck, dass die Entscheidung des EuGH bloß zum Vorwand genommen wird, um das Kumulationsprinzip und die Mindeststrafen abzuschaffen, und eigentlich beabsichtigt ist, die Abschreckung vor Lohn- und Sozialdumping zu reduzieren“. Die neuen Strafregelungen seien einfach zu niedrig, sagt er im Gespräch: „Das Lohndumpinggesetz sollte eigentlich wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Doch die Wirksamkeit und die Abschreckung wird zugunsten der Verhältnismäßigkeit beeinträchtigt. Es gibt jetzt eine maximale Strafe von 400.000 Euro. Das ist nicht abschreckend. Oft sind die Strafen niedriger als die Höhe der nicht bezahlten Löhne.“ Die Botschaft an die Arbeitgeber:innen sei klar: „Lohndumping zahlt sich aus.“

Um dem entgegenzuwirken, braucht es eine Aufstockung auf 1.000 Personen bei der Finanzpolizei.

Walter Gagawczuk, Arbeitsrechtsexperte der Arbeiterkammer

Neben der Abschaffung des Kumulationsprinzips wurde in der Novelle auch an anderen Schrauben gedreht, die einen solchen Schluss zulassen. So wurden dem Gesetz eine Reihe von Ausnahmen hinzugefügt, auf die das Gesetz nicht angewendet werden darf. Dazu gehören zum Beispiel entsendete Arbeitnehmer:innen, die Waren liefern oder abholen. Oder Entsendungen und Überlassungen im Rahmen von Austausch-, Ausbildungs-, Weiterbildungs- oder Forschungsprogrammen. Vor allem das erste Beispiel lässt bei Gagawczuk die Alarmglocken schrillen. „Im Logistikbereich kommt es bekanntermaßen immer wieder zu Lohn- und Sozialdumping. Bei diesen Ausnahmen besteht die Gefahr, dass die hier erzeugten Lücken von Arbeitgeber:innen für diesen Zweck genutzt werden.“

Aufschrei bleibt aus

Ohnehin gibt es beim LSD-BG das Problem der Durchsetzbarkeit, findet Gagawczuk. „Die Kontrolle obliegt der Finanzpolizei. Die hat am Papier 500 Personen zur Verfügung. In Wirklichkeit sind das aber nur noch 430 Mitarbeiter:innen. Die sind auch für Glücksspiel und NoVA-Kontrollen zuständig. Das heißt, sie können nur einen Bruchteil kontrollieren.“ Insgesamt könnten Arbeitgeber:innen damit kalkulieren, dass sich Sozialdumping für sie auszahle. „Um dem entgegenzuwirken, braucht es eine Aufstockung auf 1.000 Personen bei der Finanzpolizei.“ Und eine wesentlich stärkere Gesetzgebung, die nun aber, fast ohne größeren gesellschaftlichen Aufschrei, massiv aufgeweicht worden ist.

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