Bundesregierung, Bundesheer, katholische Kirche – das sind die Institutionen, die eher im Minus oder bestenfalls im blassen Plus liegen. Nur wenige ÖsterreicherInnen sagen von diesen Institutionen, dass sie ihnen vertrauen. Gemeinden, Polizei, Verfassungsgerichtshof folgen dann irgendwo im gehobenen Mittelfeld. Ganz an der Spitze die beiden Institutionen, denen die ÖsterreicherInnen am meisten vertrauen: Rechnungshof und Arbeiterkammer. Seither gab es ein paar Verschiebungen bei den Zahlen, aber keine großen. Heute führen Rechnungshof, Verfassungsgerichtshof und Arbeiterkammer die Liste der vertrauenswürdigsten Institutionen an. Sie sind damit etwa so beliebt wie das Rote Kreuz oder die freiwilligen Feuerwehren.
Diese hohe gesellschaftliche Reputation der Arbeiterkammer ist erstaunlich. Denn es ist gerade einmal fünfundzwanzig Jahre her, dass das Image der AK ziemlich angekratzt war. In den Augen der Bevölkerung erschien sie als abgeschlossene Bürokratie, in der Apparatschiks ihr Unwesen trieben, deren Nutzen sich für kaum jemanden erschloss und die auch noch regelmäßig von Skandalen erschüttert war. Das Zerrbild wurde von Multifunktionären wie dem steirischen AK-Präsidenten Alois Rechberger geprägt, der sich nicht nur ein fürstliches Salär aus diversen Quellen gönnte, sondern auch noch AK-Gelder missbräuchlich für seinen Wahlkampf als SPÖ-Nationalrat verwendete – ein fetter Posten ging sogar für Zigarren drauf. AK-Funktionäre wie Rechberger oder der Kammerdirektor Zacharias wurden vom Boulevard und von dem damals aufstrebenden jungen Rechtspopulisten Jörg Haider, der die Chance sah, die AK fertigzumachen, als „Paradebonzen“ vorgeführt.
Aber jetzt ist das anders, da sich die Arbeiterkammer in den vergangenen Jahrzehnten modernisiert hat. Weil sie das musste, schließlich war sie in den frühen Neunzigerjahren mit der Nase ziemlich hart am Trottoir aufgeschlagen. Für die hohe Reputation in der Bevölkerung sind zwei Dinge ausschlaggebend: Ein Grund ist das Servicenetz, das die AK bietet. Jeder Österreicher und jede Österreicherin weiß, dass er oder sie bei der Arbeiterkammer zu so ziemlich jedem Problem im Job oder mit Chefs verlässliche Beratung bekommt. Und auch darüber hinaus: Wenn es um Wohnungen und die Miethöhe oder den KonsumentInnenschutz geht: Die AK ist einfach der Laden, „zu dem man hingeht“. Der zweite Grund: Die AK ist politisch, aber nicht ostentativ parteipolitisch. Nach den Skandalen der 1980er- und 1990er-Jahre wurde streng darauf geachtet, dass AK-SpitzenfunktionärInnen nicht zugleich im Parlament sitzen. Das gibt den jeweiligen AK-PräsidentInnen die Glaubwürdigkeit, Forderungen an jede Regierung richten zu können, egal wer auch immer diese stellt, ohne auf schwierige Doppelrollen Rücksicht nehmen zu müssen.
Seit vergangenem Dezember steht die Arbeiterkammer gewissermaßen wieder unter Beschuss. Es ist keine große Überraschung, dass eine solche Institution einer aggressiven rechts-ultrarechten Regierung ein Dorn im Auge ist. Erst war während der Regierungsbildung die Rede davon, die gesetzliche Mitgliedschaft der etwas mehr als drei Millionen ArbeiterInnen und Angestellten ganz abzuschaffen. Dann stand die Drohung im Raum, die AK-Umlage, also den Mitgliedsbeitrag, von durchschnittlich sieben Euro im Monat zu reduzieren. Das Ziel: Wenn die AK weniger finanzielle Mittel hat, kann sie auch weniger für ihre Mitglieder tun. Vor allem kann sie viel weniger Geld in wissenschaftliche Studien, wirtschaftspolitische Öffentlichkeitsarbeit und Ähnliches stecken. Schließlich ist die Arbeiterkammer zugleich der finanzkräftigste Thinktank links der Mitte, also die einzige Institution, die den Propagandanetzwerken des großen Geldes etwas entgegensetzen kann.
Denn wie anders sieht es auf der Gegenseite aus: Die Netzwerke der Konservativen und Neoliberalen können auf Institutionen wie die Wirtschaftskammer, die Industriellenvereinigung, PR-Institute wie die Agenda Austria oder das Hayek Institut und viele andere Marketingfirmen bauen, die notdürftig als wissenschaftliche Institutionen getarnt sind und die die Geschäfte ihrer Geldgeber erledigen. Milliardäre halten sich ganze Fernsehsender. Vergleichbare Netzwerke haben die „normalen Leute“ keineswegs. Macht wird durch Netzwerke ausgeübt: Das ist in etwa die These des Sozialwissenschafters Harald Katzmair, der regelmäßig die Landkarte der Macht in Österreich studiert und einer „Netzwerkanalyse“ unterzieht. Gut verknotete traditionelle und konservative Eliten-Machtstrukturen, von Raiffeisen über die Banken, das Big Business, bis hin zu Thinktanks und (halb-)öffentlichen Institutionen geben hier den Ton an. Nicht nur das, sie sind auch raffinierter und skrupelloser beim Knüpfen ihrer Netze. Gegengewichte wie die Arbeiterkammer sind ihnen ein Dorn im Auge.