Dem Demokratieverständnis der Republik entsprachen solche „ständischen“ Konzepte nicht mehr, wie den Erläuterungen weiter zu entnehmen ist: Inzwischen hat die Auffassung über das Mitbestimmungsrecht der Arbeiterschaft im Wirtschaftsleben eine so tiefgehende Änderung erfahren, dass der Vorschlag … wohl endgültig der Vergangenheit angehört und dass … auch der Anspruch der Arbeiter auf geeignete, durch Gesetz organisierte Körperschaften … nicht mehr bestritten werden kann.
Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis war die Errichtung von Arbeiterkammern als Teil des Gleichberechtigungsprogramms für alle BürgerInnen, auch für jene mit weniger (Finanz-)Macht und Einfluss. Sie wurden als Voraussetzung für ein sozialpartnerschaftliches Politikmodell betrachtet, das in weiterer Folge auch die Landwirtschaft einbeziehen sollte:
Es handelt sich darum, für die … Arbeiter und Angestellten Kammern zu schaffen, die den entsprechenden Kammern der gewerblichen Unternehmer nicht nur völlig gleichwertig, sondern auch in ihrem Wirkungskreise und in ihrer Organisation derart ähnlich gestaltet sind, dass ein Zusammenwirken der beiderseitigen Körperschaften bei Lösung wichtiger Aufgaben der wirtschaftlichen Verwaltung ohne Schwierigkeiten möglich ist. Werden späterhin … auch für die Unternehmer und Arbeiter der Landwirtschaft entsprechende Einrichtungen geschaffen, so sind alle Voraussetzungen gewonnen, um neben den auf breiter demokratischer Grundlage beruhenden gesetzgebenden Körpern der erwerbstätigen Bevölkerung eine besondere … Teilnahme an der wirtschaftlichen Verwaltung zu sichern. Unter diesen Umständen ist die Errichtung von Arbeiterkammern nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkte ihres nächstliegenden Zweckes, sondern ebenso sehr im Hinblicke auf die Eingliederung der neuen Organisation in den beabsichtigten Neubau der wirtschaftlichen Verwaltung zu würdigen.
Das AK-Gesetz erhielt die Zustimmung aller Parteien, aber das sozialpartnerschaftliche Politikmodell blieb auf dem Papier. Ab Herbst 1920 bestimmten zunehmend jene Machteliten die Politik, die so etwas wie eine „autoritäre Demokratie“ anstrebten und damit die Demokratie auf sozialstaatlicher Grundlage infrage stellten.
Brigitte Pellar
Freie JournalistInnen
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/18.
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