„Österreich ist ein unfassbar wertkonservatives Land, deshalb verändern sich Strukturen so langsam“, meint Katharina Mader, Ökonomin bei der Arbeiterkammer Wien sowie am Institut für Heterodoxe (also alternative, Anm.) Ökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien, zu spezifischer Frauenbenachteiligung hierzulande. „Wir haben die Tendenz, auf kulturelle Unterströmungen, auf patriarchale Strukturen der anderen Religionen zu schauen, aber nicht auf die eigenen. Wir sehen nicht, wie stark wir immer noch in der katholischen Religion verwurzelt sind. Wie viele Mariendarstellungen fallen uns ein, wo Maria ein kleines Kind im Arm hält? Es ist in uns tief drinnen, was angeblich gute Mutterschaft ist, und wir haben uns davon noch nicht gelöst.“
Österreich ist ein unfassbar wertkonservatives Land, deshalb verändern sich Strukturen so langsam.“
Katharina Mader, Ökonomin, Arbeiterkammer Wien
Die dominierende Strömung des Neoliberalismus ist der zweite Erklärungsansatz: „Wir schauen zu wenig auf unsere Strukturen und zu viel auf das Individuum. Das neoliberale Konstrukt haben wir alle intus, als ob Gleichstellung unsere eigene Aufgabe wäre beziehungsweise unser eigener Fehler, wenn jemand nicht gleichgestellt ist“, erläutert Mader. „Meine Aufgabe als Ökonomin ist aber zu sagen: Wenn 75 Prozent aller Mütter mit Kindern teilzeitbeschäftigt sind, kann mir doch niemand erzählen, dass das ein individuelles Problem ist – sondern wir müssen das strukturell angehen! Diese Kombination aus Wertesystem und Individualisierung macht es so schwierig, dass etwas weitergeht in Richtung Gleichstellung. Und es ist irrsinnig anstrengend, dass sich der Gender-Pay-Gap nur um 0,25 bis 0,5 Prozent im Jahr bewegt.“
Bleibt Gleichstellung eine Illusion?
Inwieweit Frauen überhaupt erwerbstätig sein können, liegt an der Verteilung der unbezahlten Arbeit wie Kinderbetreuung und Pflege, die ja zulasten der Frauen geht – wie in jeder Krise umso mehr zu sehen sei: zuletzt in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09, jetzt in der COVID-19-Pandemie. „Die Entlastung passiert über die Erwerbsarbeit, nicht über den Partner. Es fehlen gute Instrumente, damit es zu einer Umverteilung in den Privathaushalten zwischen den Geschlechtern kommt. Und gerade in diesem konstruktiven Wertesystem ist das Private ja so gar nicht politisch, man schaut so gar nicht hin. Solange wir das nicht auflösen können, fürchte ich, dass Gleichstellung eine Illusion bleibt“, so Mader.
Der Schlüssel wäre, Gleichstellung endlich als Querschnittsmaterie zu sehen und als Maßstab anzulegen für alle politischen Maßnahmen. „Gleichstellung ist kein Luxusthema, mit dem man sich wieder beschäftigt, wenn Arbeitsmarkt oder Budget wieder besser ausschauen. Es gibt Länder, wo es völlig logisch ist, dass alle Väter in Karenz gehen, wie etwa in Island – dort mehr als 90 Prozent. Bei uns wird diskutiert, ob das überhaupt gut ist für die Kinder oder ob Väter aus dem Unternehmen wegbleiben und diese das aushalten können“, kritisiert Mader. Sie hält es für „ein Werte- und Willensthema, ob sich Gesellschaften damit auseinandersetzen wollen, was Gleichstellung für sie bedeutet und dass Gleichstellung für alle einen Vorteil bringen kann. Man muss nicht Angst davor haben wie in Österreich, weil manche ihre Privilegien verlieren könnten.“
Arbeit wird im Kontext der Steuerreform auf Erwerbsarbeit reduziert und die wertvolle Arbeit von Frauen unsichtbar gemacht. Dementsprechend fallen auch die Maßnahmen aus.“
Miriam Baghdady, Ökonomin, ÖGB
Tatsächlich ist Gender-Mainstreaming als Strategie zur Erreichung der Gleichstellung von Frauen und Männern seit dem Jahr 2000 verpflichtend in der Bundesverwaltung verankert. Ebenso wurde Gender-Budgeting mit Jänner 2009 als Staatszielbestimmung zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern im öffentlichen Haushaltswesen in die Verfassung aufgenommen. Diese Verpflichtung hat in der Ausgestaltung der jüngsten Steuerreform der ÖVP-Grünen-Regierung keine Berücksichtigung gefunden, kritisiert ÖGB-Wirtschaftsexpertin Miriam Baghdady. „Arbeit wird im Kontext der Steuerreform auf Erwerbsarbeit reduziert und die wertvolle Arbeit von Frauen unsichtbar gemacht. Dementsprechend fallen auch die Maßnahmen aus.“
Männer werden stärker steuerlich entlastet
Männer profitieren im Schnitt mit einer Entlastung von 576 Euro mehr als doppelt so stark wie Frauen, die nur mit rund 240 Euro netto im Jahr entlastet werden, geht aus Berechnungen des Momentum Instituts hervor. Es liegt wieder an der traditionellen Rollenaufteilung in Österreich: Männer arbeiten mehr in bezahlter Vollzeitbeschäftigung, Frauen übernehmen mehr unbezahlte Care-Arbeit mit Haushalt, Kindern und Familienangehörigen. Die Senkung der Einkommensteuer ab 2022 bringt vor allem der oberen Mittelschicht und hohen Einkommen hohe Entlastungen. Einkommen unter 1.800 Euro profitieren davon gar nicht.
Vor diesem Hintergrund sei es umso kritischer zu sehen, so Baghdady, dass keine Investitionen in den Ausbau sozialer Infrastruktur wie Kindergärten oder Pflege geplant sind. Diese wären notwendig, um die Erwerbstätigkeit bei Frauen zu erhöhen und vor allem ihre hohe Teilzeitrate zu reduzieren.
Der Familienbonus hilft besonders Männern
Hinzu kommt: Von der Erhöhung des Familienbonus (von 1.500 auf 2.000 Euro pro Jahr) profitieren in erster Linie Männer, weil sie meist mehr verdienen und somit mehr Lohnsteuern zahlen als Frauen. In 48 Prozent aller Partnerschaften arbeiten Männer Vollzeit und Frauen Teilzeit. „In diesen Fällen ist fast auszuschließen, dass Frauen in Teilzeit ein Einkommen erzielen, bei dem der Bonus in voller Höhe wirksam werden kann. Eine Erhöhung der Familienbeihilfe hätte zu einer gleicheren Verteilung geführt und diesen Mängeln entgegenwirken können“, erläutert Volkswirtin Baghdady.
Aus Sicht der Arbeitnehmer:innenvertretungen bleibt die Bundesregierung mit der Steuerreform schuldig, dass wichtige Investitionen in die Zukunft getätigt werden. Speziell vor dem Hintergrund, dass das Finanzministerium bereits die Rückführung der Schuldenquote im Blick hat und sich für die Anwendung der Fiskalregeln ab 2023 einsetzt. „Dann könnte Österreich wieder auf Sparpakete zusteuern“, meint Miriam Baghdady. Hierzulande tragen Arbeitnehmer:innen, Pensionist:innen und Konsument:innen 80 Prozent der Steuerlast. Damit wurden Unternehmen in der Pandemie großzügig unterstützt. Wie die Betriebe und ihre Eigentümer:innen an der Krisenfinanzierung beteiligt werden können, lasse die Regierung jedoch vermissen. „Auch nach der Reform wird unselbstständige Arbeit in Österreich zu hoch besteuert und große Vermögen zu niedrig. In kaum einem anderen Land ist die Steuerstruktur so ungerecht wie in Österreich“, erneuert Baghdady die Kritik von Arbeiterkammer und Gewerkschaft.