Jetzt haben wir das Gefühl, dass wir das Ärgste hinter uns haben, und zugleich die Ahnung, dass das vielleicht nur eine trügerische Hoffnung ist. Fünf Milliarden Impfungen wurden mittlerweile auf dem gesamten Planeten verabreicht. Die Pandemie grassiert weiter, aber wie sehr wird sie unser Leben noch beeinträchtigen? Vierte Welle, nächster Lockdown – wird es uns noch einmal hart treffen? Es fühlt sich an, als würde sich alles langsam wieder normalisieren, aber zugleich haben wir unsere Zweifel, ob das nicht gerade nur eine trügerische Entspannung ist, bevor es wieder übler wird.
Es fühlt sich an, als würde sich alles langsam wieder normalisieren, aber zugleich haben wir unsere Zweifel, ob das nicht gerade nur eine trügerische Entspannung ist, bevor es wieder übler wird.
Bei jeder Normalisierung die leise Angst, dass das alles nur ein fauler Zauber sein könnte.
Das gilt auch für die Erholung des Wirtschaftssystems und der Konjunktur. Viele haben Schlimmstes erwartet: Die globale Stilllegung der Wirtschaft würde eine Katastrophe verursachen und zu ungekannter Massenarmut führen. Das ist jedenfalls ausgeblieben. Viele Menschen hatten schmerzhafte Einkommensverluste, einige hat es besonders hart getroffen. Die Erwerbsarbeitslosenzahlen sind mittlerweile auf rund 280.000 zurückgegangen, das ist im Grunde das Vorkrisenniveau. In einem Großteil der vergangenen 13 Jahre sah es am Arbeitsmarkt deutlich düsterer aus, nachdem uns die Finanzkrise und deren Folgen eine skandalös hohe Massenarbeitslosigkeit eingebrockt hatte, die erst ab etwa 2017 merkbar zurückging. Heute klagen viele Branchen sogar über Arbeitskräftemangel. Die gesamte Wertschöpfung – also das BIP – wird 2021 wohl schon wieder den Wert des Jahres 2019 erreichen, obwohl ganze Branchen immer noch pandemiebedingt leiden. Die Industrie läuft sowieso auf Hochtouren.
„Wo ist sie eigentlich, diese Krise?“, fragen manche Leute da erstaunt.
Verkehrte Welt
Zumindest die großen Industriestaaten, die USA, Nordamerika generell, die europäischen Länder, sind – gemessen an den Gefahren – bisher sehr gut durch diese Krise gekommen, und das hat damit zu tun, dass die Regierungen sehr viel richtig gemacht haben. Sie haben den ökonomischen Absturz verhindert, die Konjunktur gestützt, Unternehmen gerettet, die Beschäftigung stabilisiert – etwa mit dem Kurzarbeitssystem – und sie haben in Europa beispielsweise dafür gesorgt, dass die ökonomisch besonders verwundbaren Länder nicht in eine Todesspirale geraten. Plötzlich war auch für den verbohrtesten Konservativen klar, dass die Staaten massiv intervenieren müssen.
In den USA sind die Einkommen der Schwächsten sogar gestiegen – weil die Trump-Regierung einfach Schecks an alle Arbeitslosen geschickt hat, dank derer viele Leute mehr Einkommen hatten als vorher mit ihren prekären Jobs im Niedriglohnsektor. Die Krise brachte den endgültigen Niedergang des Neoliberalismus und eine neue Art Keynesianismus, so das Urteil mancher Kommentatoren. Weniger Markt, mehr Staat, das werde bleiben, so die Prognose, und selbst das Zentralorgan aller Wirtschaftsliberalen, der britische „Economist“, feiert das geradezu. Verkehrte Welt.
Ja, aber
„So einfach ist es aber auch wieder nicht“, warnt Adam Tooze vor allzu hoffnungsfrohen Interpretationen. Der Starökonom von der New Yorker Columbia University hat gerade ein neues Buch herausgebracht: „Welt im Lockdown“. Ja, die Regierungen sind heute wieder aktivistischer im Wirtschaftsleben, ja, es ist auch jedem klar, dass die Einkommen normaler Menschen wieder wachsen müssen, wenn man stabile Nachfrage und Prosperität haben will, und ja, das wirtschaftstheoretische Denken in der Mainstream-Ökonomie ist global in den vergangenen Jahren nach links gerückt.
Jetzt ist die akute Krise zu Ende – aber die Ungleichheit und Unfairness sind immer noch da.
„Aber was getan wurde, ist zugleich äußerst konservativ“, sagt Tooze. „Es wurden einfach alle gerettet. Die Finanzanleger, die Banken, die Unternehmen, die Arbeitsplätze, die Lohnempfänger, auch die EPUs und die Prekären haben etwas bekommen – aber die, die vorher reich waren, haben mehr bekommen, und die, die weniger hatten, haben weniger bekommen. Die Ungleichheit ist noch gewachsen. Alles, was vorher schlecht war, wurde auch stabilisiert.“ In seinem Buch liest sich das so: Die Rezepte des Neoliberalismus wurden überall über den Haufen geworfen, „gleichzeitig aber erfolgte das im Rahmen der neoliberalen Hinterlassenschaften“.
Jetzt ist die akute Krise zu Ende – aber die Ungleichheit und Unfairness sind immer noch da.
Es wurde nicht nur mit der Gießkanne über das gesamte System Geld ausgegossen, damit die Krise nicht in eine Katastrophe mündet, „bei manchen gab es einen regelrechten Wasserfall“, sagt Markus Marterbauer, der Chefökonom der Arbeiterkammer, in Hinblick auf Österreich. Die großen Konzerne und viele Unternehmen haben übermäßig profitiert, aber jetzt beginnt der ÖVP-Teil der Regierung bereits über Steuersenkungen für die oben und „härtere Einschnitte für die Arbeitslosen“ nachzudenken.