Haushaltsbudget 2022: Die Kleinen zahlen für die Krise

Foto (C) Georges Schneider / picturedesk.com
Das österreichische Haushaltsbudget für 2022 steht. Wie es die ökosoziale Steuerreform schon angekündigt hat: Die Arbeitnehmer:innen finanzieren die Krise und Steuererleichterungen für Unternehmen.
Plötzlich hatten sie sich in Luft aufgelöst, die 1,2 Milliarden für die Kinderbetreuung. Wegverhandelt und, was noch übrig blieb, über einen längeren Zeitraum gestreckt. Vorausgegangen war ein mittlerweile berühmter Chat zwischen Ex-Kanzler Sebastian Kurz und dem damaligen ÖBAG-Chef Thomas Schmid. Kurz nannte die 1,2 Milliarden „gar nicht gut!!!“ und fragte, ob er ein Bundesland aufhetzen solle. In der Praxis gab dann Wolfgang Sobotka (ÖVP) die willige „Abrissbirne der Regierungszusammenarbeit“, wie ihn der damalige Kanzler Christian Kern (SPÖ) nannte.

Auch deswegen waren Tausende Menschen auf der Straße. Wähler:innen, die enttäuscht sind, Alleinerziehende, die im Stich gelassen wurden. Das neue Budget hätte diese Menschen abholen können. Hätte als Entschuldigung dienen können. Doch die Chance wurde vertan. Die schwarz-grüne Bundesregierung verzichtet beim aktuellen Bundesbudget auf Überraschungen. Renate Anderl, Präsidentin der Arbeiterkammer, sagt es ganz deutlich: „Gerade bei der Kinderbetreuung ist das blanker Hohn, zumal bereits vereinbarte 1,2 Milliarden Euro – wie jetzt bekannt wurde – nicht zustande gekommen sind.“

Ich sehe die bereits bekannten positiven Ansätze, etwa im Bereich der Klimamaßnahmen, bin aber enttäuscht, dass dringend notwendige Maßnahmen, wie etwa der Ausbau der Kinderbetreuung und der Pflege, sowie die Bekämpfung der Armut neuerlich nicht ernsthaft angegangen werden.

Renate Anderl, AK-Präsidentin

Und weiter: „Ich sehe die bereits bekannten positiven Ansätze, etwa im Bereich der Klimamaßnahmen, bin aber enttäuscht, dass dringend notwendige Maßnahmen, wie etwa der Ausbau der Kinderbetreuung und der Pflege, sowie die Bekämpfung der Armut neuerlich nicht ernsthaft angegangen werden.“

Wie hoch ist das österreichische Haushaltsbudget?

Das österreichische Haushaltsbudget 2022 beträgt insgesamt 99,1 Milliarden Euro. Neben der ökosozialen Steuerreform sollten Standortförderung, COVID-19-Krisenfolgen und Maßnahmen in den Bereichen Pflege, Soziales, Gesundheit, Bildung und Sicherheit die Schwerpunkte bilden. Für sie sind insgesamt 7,6 Milliarden Euro vorgesehen. Gemessen am Gesamtbudget ist damit aber kaum eine steuernde Politik möglich.

Die 7,6 Milliarden Euro für die Schwerpunkte im Budget setzen sich folgendermaßen zusammen:

  • 2,7 Milliarden für Steuersenkungen und Subventionen für Haushalte
  • 1,7 Milliarden für Steuersenkungen und Subventionen für Unternehmen und Landwirt:innen
  • 1,7 Milliarden für das Klimapaket
  • 0,65 Milliarden für Gesundheit, Soziales, Bildung und Wohnen
  • 0,4 Milliarden für die Digitalisierung
  • 0,3 Milliarden für Forschung und Entwicklung

Das österreichische Bundesbudget im Detail

Klar ist, dass die Bundesregierung vor einer Herkulesaufgabe stand. In den vergangenen eineinhalb Jahren flossen über vierzig Milliarden Euro an Kurzarbeitergeld und Unternehmenshilfen, um die Folgen der Corona-Krise abzufedern. Auch wenn viel Geld davon als Garantien oder Kredite vergeben wurde, ist der Wille zu höheren Ausgaben doch überschaubar.

Obwohl es ein idealer Zeitpunkt dafür wäre. Denn erstens geht es seit Beginn des Jahres wirtschaftlich steil bergauf, und zweitens haben sich die Kreditzinsen, die Österreich bedienen muss, halbiert. Hintergrund ist die Finanzpolitik der Europäischen Zentralbank.

Schwachpunkte im Budget: Gesundheit und Pflege

Große Umwälzungen gibt es natürlich im Gesundheitsministerium. Dessen Ausgaben haben sich 2019 verdreifacht. Kein Wunder. Masken, Impfprogramme und Corona-Tests fallen in diesen Budgetposten. Allein 1,2 Milliarden Euro sind für die Pandemiebekämpfung im Jahr 2022 vorgesehen. Was fehlt, sind die Angaben für den Pflegebereich, weil hier eine (dringend benötigte) Reform geplant ist.

Doch Anderl gibt sich skeptisch: „Der Budgetbericht stellt die dringende und umfassende Pflegereform in Aussicht, allerdings ist für diese überhaupt keine budgetäre Vorkehrung getroffen. Notwendig sind zusätzlich 1,7 Milliarden Euro für zwanzig Prozent mehr Personal in den Pflegeheimen.“ Dazu kämen unter anderem Maßnahmen wie ein Ausbau der Pflege zu Hause, psychosoziale Beratung von Angehörigen oder die Verbesserung der Qualität in den mobilen Diensten.

Wir haben es nicht mit einem Zukunftsbudget zu tun, denn da gibt es Handlungsbedarf, aber keine Handlungen. 

David Mum, GPA

Die Stagnation bei Pflege und Bildung fällt auch David Mum von der Gewerkschaft GPA negativ auf: „Das beschlossene Budget spiegelt den wirtschaftlichen Aufschwung und die Umsetzung der Steuerreform wider. Wesentliche für die Zukunft nötige Maßnahmen wie der Ausbau des Angebots von Kindergärten und Pflege fehlen hingegen.“ Seine Schlussfolgerung: „Wir haben es daher nicht mit einem Zukunftsbudget zu tun, denn da gibt es Handlungsbedarf, aber keine Handlungen.“

Sparkurs für Bildung und Arbeitsmarkt

Schlecht hat es auch das Bildungsministerium erwischt. Zwar gibt es 310 Millionen Euro mehr, gemessen am Gesamtbudget von 10,1 Milliarden Euro wird das meiste Geld allerdings von der Inflation (rund drei Prozent) aufgefressen. Zusätzlich müssen von dem Geld die PCR- und Antigentests an Schulen bezahlt werden, die rund 238 Millionen Euro verschlingen. Für neue und nachhaltige Bildungsmaßnahmen bleibt nichts mehr übrig.

Sehr viel weniger Geld gibt es auch für den Arbeitsmarkt, was an der gesunkenen Arbeitslosigkeit und dem Rückgang der Kurzarbeit liegt. Statt 13,6 Milliarden werden nur noch 9,1 Milliarden Euro ausgegeben (vor der Pandemie waren es 8,2 Milliarden). Mit 250 Millionen Euro soll ein Programm finanziert werden, das Langzeitarbeitslose zurück in Beschäftigung bringt. 170 Millionen Euro gibt es für die Qualifikation von Arbeitssuchenden.

Umwelt und Verkehr im Fokus

Wenigstens das Umwelt- und Klimaministerium darf sich freuen. Das Budget von Leonore Gewessler (Grüne) steigt um satte 252 Prozent (also 1,7 Milliarden Euro) auf 2,4 Milliarden Euro. Der Haken daran ist, dass 1,25 Milliarden davon in Form des Klimabonus direkt wieder ausbezahlt werden. Für nachhaltige Investitionen bleibt kaum etwas übrig. Allerdings sind 400 Millionen für eine Sanierungsoffensive und 60 Millionen für die Dekarbonisierung von mehrgeschossigen Wohnhäusern vorgesehen.

Ein wichtiger Budgetposten sind auch die 4,8 Milliarden Euro des Verkehrsbudgets – das entspricht einer Steigerung um 4,3 Prozent. Ein Plus, für das vor allem das Klimaticket (252 Millionen Euro) verantwortlich ist. Auch die EU zeigt sich spendabel. Insgesamt fließen 206 Millionen Euro aus dem Aufbau- und Resilienzfond ins österreichische Budget.

Justiz vs. Landwirtschaft

Freuen kann sich Alma Zadić. Die grüne Justizministerin hat ein Budget von 1,8 Milliarden Euro. Das entspricht einer Steigerung um 76,4 Millionen Euro. Das reicht zwar kaum, um die Inflation auszugleichen, ist aber sicherlich mehr, als mancher Beobachter vermutet hatte nach den massiven verbalen Angriffen auf die Justiz im Rahmen aktueller Ermittlungen.

Fast doppelt so viel Geld, nämlich 3,4 Milliarden Euro, bekommt die Landwirtschaft. Der umstrittene Waldfonds (350 Millionen über vier Jahre) wird ebenso weiter ausbezahlt wie eine Subventionierung des Agrardiesels (30 Millionen). Auch Österreich-Werbung und Tourismus erhalten mehr Geld. Bis 2025 sollen außerdem fast 1,3 Milliarden Euro in den Breitbandausbau fließen.

Kritik am österreichischen Bundesbudget

Was sich mit der ökosozialen Steuerreform 2021 schon angekündigt hatte, ist mit dem Haushalt für das kommende Jahr Gewissheit geworden. Arbeitnehmer:innen und wirtschaftlich ohnehin Benachteiligte zahlen für die Corona-Krise. Mum bringt es auf den Punkt: „Die Regierung hat angeblich das Ziel, Betroffenheit von Armut zu halbieren. Davon merkt man nichts in diesem Budget. Im Gegenteil. Im Bereich der Familienförderung erhalten Gutverdiener:innen für jedes Kind jährlich 500 Euro mehr, während es für die Kinder arbeitsloser Personen genau null Euro mehr gibt. Damit wird die Ungleichheit verstärkt und nicht Armut reduziert.“

Auch Dominik Bernhofer, Steuerexperte der Arbeiterkammer, kommt zum gleichen Schluss: „Im Budget entwickeln sich Lohn- und Konsumsteuern sehr dynamisch bis 2025, während die Unternehmenssteuern stagnieren. Das bedeutet, dass die Steuerreform und die COVID-Krise im Wesentlichen von Arbeitnehmer:innen und Konsument:innen gezahlt werden, während Unternehmen und große Vermögen wenig bis nichts zur Stabilisierung der öffentlichen Finanzen beitragen.“

Unsere Hauptkritik an der Steuerreform ist, dass man bei den Arbeitnehmer:innen gerade einmal die kalte Progression ausgeglichen hat – also das mindeste gemacht hat – während bei den Kapitalgesellschaften, wo es keine kalte Progression gibt, Steuergeschenke verteilt wurden, die den Spielraum für notwendige Zukunftsinvestitionen einschränken.

Dominik Bernhofer, Arbeiterkammer

Und weiter: „Unsere Hauptkritik an der Steuerreform ist, dass man bei den Arbeitnehmer:innen gerade einmal die kalte Progression ausgeglichen hat – also das mindeste gemacht hat -, während bei den Kapitalgesellschaften, wo es keine kalte Progression gibt, Steuergeschenke verteilt wurden, die den Spielraum für notwendige Zukunftsinvestitionen einschränken.“

Hauptproblem: massive Subventionen für Unternehmen

Mum sieht hier eines der Hauptprobleme des österreichischen Bundesbudgets: „Die Senkung der Steuern auf Gewinne wird bald jährlich eine Milliarde Euro kosten. Zwei Drittel davon gehen an gerade ein Prozent der Unternehmen. Ein Beitrag der Vermögenden fehlt nicht nur gänzlich, sie werden dadurch sogar noch entlastet, weil ihnen die Unternehmen gehören, die weniger Gewinnsteuer zahlen müssen.“

Auch Miriam Baghdady vom volkswirtschaftlichen Referat des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) bekräftigt diese Kritik: „Als besonders problematisch gilt die Senkung der Körperschaftsteuer. Allein dadurch entgehen dem Fiskus jährlich 800 Millionen Euro, die für Investitionen in die Zukunft (durch Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demografie entstehender Strukturwandel, Bildung, Ausbau Kinderbetreuung etc.) benötigt werden. Die Kritik, dass fiskalische Spielräume nicht für Zukunftsinvestitionen aufgewendet werden, wird durch die Vorstellung des Budgets also noch einmal bekräftigt.“

Wie könnte das österreichische Bundesbudget gerechter gestaltet werden?

Das große Problem am österreichischen Bundesbudget ist die extrem unternehmensfreundliche Ausgestaltung. Bernhofer fordert, genau hier an den Stellschrauben zu drehen: „Die eigentlich notwendige Steuerstrukturreform durch stärkere Besteuerung großer Vermögen und eine nachhaltige Steuersenkung für Arbeitnehmer:innen ist wieder verpasst worden. Mit den Unternehmenssteuersenkungen geht es sogar in die falsche Richtung.“

Der Ausbau der Kinderbetreuung ist in diesem Budget nicht enthalten, wäre aber ein wichtiger Ansatzpunkt gewesen, um Frauen eine höhere Erwerbsbeteiligung zu ermöglichen und eine weitere Entlastung für Familien zu schaffen. 

Miriam Baghdady, ÖGB

Baghdady weist vor allem auf die unzureichende Finanzierung der Kinderbetreuung hin. „Der Ausbau der Kinderbetreuung ist in diesem Budget nicht enthalten, wäre aber ein wichtiger Ansatzpunkt gewesen, um Frauen eine höhere Erwerbsbeteiligung zu ermöglichen und eine weitere Entlastung für Familien zu schaffen.“ Entsprechend deutlich formuliert sie auch die ÖGB-Forderung in diesem Bereich: „Notwendig wäre, wie vonseiten der Sozialpartner regelmäßig in Erinnerung gerufen wurde, eine Milliarde Euro mehr pro Jahr für Kinderbetreuung. Auch im Bildungsbereich stehen nicht ausreichend Mittel zur Verfügung, um die Lücken, die durch die wiederholt notwendig gewordenen Lockdowns entstanden sind, wieder wettzumachen.“

Über den/die Autor:in

Christian Domke Seidel

Christian Domke Seidel hat als Tageszeitungsjournalist in Bayern und Hessen begonnen, besuchte dann die bayerische Presseakademie und wurde Redakteur. In dieser Position arbeitete er in Österreich lange Zeit für die Autorevue, bevor er als freier Journalist und Chef vom Dienst für eine ganze Reihe von Publikationen in Österreich und Deutschland tätig wurde.

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