Das älteste ist das österreichische Gesetz vom 15. Mai 1919. … Vor allem ist es ein aus dem Ganzen der Sozialisierungs-Gesetzmaterie herausgehobenes Gesetz. Und weiter stellt es sich ausschließlich in den Dienst der Arbeiter und ihrer gewerkschaftlichen und wirtschaftsorganisatorischen Bestrebungen. … Das österreichische Gesetz lässt die Betriebsräte sich nur um das Wohl der arbeitenden Menschen für den Augenblick und für die weiteste Zukunft kümmern.
Diese klare Aufgabenstellung sei, so Stein, nur durchsetzbar gewesen, weil sich die österreichische ArbeiterInnenbewegung in entscheidenden Fragen einig gewesen war. In Deutschland habe dagegen nicht nur der spätere Zeitpunkt der Beschlussfassung, als die Revolutionsangst bereits verflogen war, sondern vor allem auch die Uneinigkeit der ArbeiterInnenbewegung zu einem schlechteren Ergebnis geführt:
Das deutsche Gesetz trägt das Datum 4. Februar 1920 … nach dem deutschen Gesetz sind in den Betrieben zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen der Arbeitnehmer (Arbeiter und Angestellten) dem Arbeitgeber gegenüber und zur Unterstützung des Arbeitgebers in der Erfüllung der Betriebszwecke Betriebsräte zu errichten. … Kurz, das deutsche Gesetz denkt ganz unverhohlen an den kapitalistischen Wiederaufbau … und schützt daher die Unternehmungen – vor den Arbeitern. Aber die Demokratisierung der Betriebe strebt es energisch und ehrlich an.
An dem tschechoslowakischen Gesetz, das Anfang 1922 in Kraft trat, kritisiert Stein zunächst seine juristische „Schluderhaftigkeit“. Es sei zu einem Zeitpunkt verabschiedet worden, als der Kapitalismus nach den revolutionären Unruhen wieder fest im Sattel saß, vor allem aber hätten die sozialdemokratischen Abgeordneten Gewerkschaften hinter sich, die sich nur mit Mühe einem selbstmörderischen Bruderkampf erwehren können – ein Hinweis auf die großen Spannungen zwischen tschechischen und deutschen ArbeiterInnenorganisationen. Unter solchen Umständen, so Stein, kann es nicht überraschen, dass dieses Gesetz sozusagen in der Luft schwebt…. Es tut merkwürdig weltfremd (so schützt es vor, Gewerkschaften der Unternehmer zu kennen!), es trachtet von der Machtvollkommenheit des Unternehmers möglichst viel zu retten, … es erweitert nur das Recht der (gewerkschaftlichen) Betriebsvertrauensmänner.
Bei aller Kritik sieht Viktor Stein dieses Gesetz aber als wichtigen Schritt zur Demokratisierung der Wirtschaft an, vorausgesetzt eine starke, einige Gewerkschaftsbewegung stehe hinter der betrieblichen Interessenvertretung.
Brigitte Pellar
Historikerin
Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/18.
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