„Mir reicht’s!“ – Starke Stimmen für mehr Fairness

„Ein Vergleich von Unternehmen, wie es vorher ohne Betriebsrat war und wie es dann mit Betriebsrat ist, zeigt eigentlich schon alles“, meint Alexander Kronabeter (hier mit Team), Betriebsrat bei der Wiener Netze GmbH.
(C) Markus Zahradnik
Unfaire Bezahlung, steigender Druck, fehlende Arbeitsplatzsicherheit, zu viele Überstunden – immer mehr Arbeitnehmer*innen sagen: „Mir reicht’s!“ Viele von ihnen werden jetzt aktiv und setzen sich als Betriebsrät*innen für mehr Gerechtigkeit in den Betrieben dieses Landes ein.
Es sind nur drei Beispiele für die zahlreichen anonymen Antworten, die im Zuge der großen Fairness-Umfrage des ÖGB gegeben wurden: „Der Arbeitgeber kann machen, was er will, und es gibt keine Konsequenzen!“ Oder: „Bei der Art, wie man mit Mitarbeitern umgeht, hat man das Gefühl, eine Nummer zu sein – sonst nichts.“ Oder: „Der Druck steigt, es wird immer mehr verlangt, aber die Gehälter bewegen sich nicht.“

Ganz Österreich war von April bis Ende Mai 2021 auf www.mir-reichts.at dazu aufgerufen, an einer Umfrage teilzunehmen und sich dazu zu äußern, wie es um Fairness und Gerechtigkeit in den Betrieben dieses Landes steht. Über 13.000 Personen sind diesem Ruf schließlich auch gefolgt. Ein klares Statement dafür, dass es in vielen Betrieben höchste Zeit ist, zu handeln.

Doch wo hakt es im Detail? Aufschluss darüber bieten die Antworten auf die Frage, was im Arbeitsleben als besonders ungerecht empfunden wird. Dabei wurden von den Teilnehmer*innen der Umfrage vor allem die folgenden Themenbereiche angesprochen: ungleiche Einkommensverteilung, Lohndumping, Gender-Pay-Gap, zu viele Überstunden, ständige Erreichbarkeit, Unterbesetzung, steigender Druck, zu viel Stress und kaum Ruhezeiten, mangelnde Arbeitsplatzsicherheit, Mobbing sowie fehlende Mitbestimmung. Eine traurige Bilanz, die deutlich zeigt, wie viel es noch zu tun gibt, um Fairness in der Arbeitswelt zu erreichen. Und genau dort setzt der ÖGB mit seiner Kampagne „Sei du die starke Stimme“ an. Die österreichweite Umfrage war dabei nur der erste Schritt, bei dem es darum ging, Problemfelder aufzuzeigen und Arbeitnehmer*innen zur Situation in ihren Betrieben zu Wort kommen zu lassen. In einem zweiten Schritt steht das Thema der betrieblichen Mitbestimmung im Zentrum. Denn wer etwas verändern möchte, muss handeln. Die Kampagnenleiter Richard Ondraschek und Jakob Luger wissen: Wer einen Betriebsrat im Unternehmen hat, kann für seine Kolleg*innen vieles zum Positiven verändern und für mehr Fairness im Betrieb sorgen. Gerade in diesen herausfordernden Zeiten brauche es mehr starke Stimmen für Fairness in der Arbeitswelt. „Mit einem Betriebsrat im Unternehmen geht nicht alles durch, was sich Arbeitgeber wünschen“, so Ondraschek. „Arbeitnehmer*innen haben Rechte, und es gibt immer Möglichkeiten, die Situation zu verbessern – genau das soll die Kampagne zeigen“, ergänzt Luger. „Betriebliche Mitbestimmung ist ein demokratisches Mittel, und es ist so wichtig, es auch zu nutzen.“

Kritikpunkt Entlohnung

Löhne und Gehälter waren im Zuge der Umfrage immer wieder Thema: „Es wird uns ständig eingeredet, dass für die Beschäftigten nicht genug Geld da ist. Dabei wird es nur falsch verteilt!“ – „Die Gehaltsschere wird immer größer!“ – „Es wird immer mehr verlangt, aber die Gehälter ändern sich nicht.“ – „Es ist nicht fair, dass Frauen oft weniger verdienen als Männer.“ – „Wie kann es sein, dass die systemrelevanten Berufsgruppen immer noch nicht richtig entlohnt werden? Applaus hin oder her, von 1.200 Euro für Vollzeit im Handel können wir nicht leben!“

All diese Aussagen zeigen, dass es in Bezug auf das Einkommen vielerorts alles andere als gerecht zugeht. Auch hier kann ein Betriebsrat Abhilfe schaffen. Alexander Kronabeter, Betriebsrat bei Wiener Netze GmbH, ist es ein großes Anliegen, dass Arbeit fair und gerecht entlohnt wird: „Aus Betriebsratssicht ist Gerechtigkeit für mich, wenn Menschen einer Arbeit nachgehen, für die sie fair entlohnt werden. Dass Männer und Frauen fair entlohnt werden.“

ÖGB-Kampagnenleiter Jakob Luger: „Betriebliche Mitbestimmung ist ein demokratisches Mittel, und es ist so wichtig, es auch zu nutzen.“

Stress, Druck und Belastungen

Unfaire Löhne und Gehälter sind jedoch nicht die einzigen Problemfelder, die es in den Betrieben Österreichs gibt. Hinzu kommen Stress, Druck und eine Vielzahl an Belastungen. Das zeigen die zahlreichen anonymen Antworten der Fairness-Umfrage: „Ich mache Überstunden über Überstunden, weil so viel Arbeit da ist, und es gibt kein zusätzliches Personal. Ich habe den ganzen Tag Stress und werde mit meiner Arbeit keinen Tag fertig.“ – „Die Belastung der Mitarbeiter steigt stetig. Kollegen werden entlassen oder gehen in Pension, und die Stellen werden nicht mehr nachbesetzt. Die Arbeit ist aber vorhanden und wird auf die Verbleibenden aufgeteilt. Es geht nicht mehr so weiter!!!“ – „Es kann doch nicht sein, dass Profit über psychischer Gesundheit steht. Äußert man Wünsche oder Beschwerden, hat man Angst vor einer Kündigung.“ – „Der psychische Druck ist unvorstellbar, Burnout-Fälle passieren regelmäßig.“ – „Unser Unternehmen geht nach der Devise vor: Wo kein Kläger, da kein Richter. Das beginnt bei den Arbeitszeitaufzeichnungen, den All-in-Verträgen für kleine Angestellte und endet bei sozialwidrigen Kündigungen.“ – „Tägliche Kontrollanrufe im Krankenstand, wann man denn wieder fit ist.“

„Konfliktmanagement und Maßnahmen gegen Mobbing im Unternehmen – das sind meine Steckenpferde. Ich weiß, dass viele, vor allem kleinere Unternehmen damit zu kämpfen haben. Mir ist es wichtig, dass alle gleich und fair behandelt werden, mit Wertschätzung und Menschlichkeit“, betont Betriebsrat Kronabeter. Doch was, wenn die Geschäftsführung nicht mitspielt? Hier geht Kronabeter folgendermaßen vor: „Ich versuche es zunächst mit Studien und Gutachten, die zeigen, dass die Änderungen, die ich anstrebe, positive Auswirkungen auf das ganze Unternehmen haben werden. Wenn auch das auf taube Ohren stößt, hilft es, die ganze Belegschaft auf seine Seite zu holen. Wenn alle Kolleg*innen davon überzeugt sind und man gemeinsam auftritt, kann man einen größeren Druck auf die Geschäftsführung ausüben.“

Mit Betriebsrat besser durch die Krise

Seit der Corona-Krise hat sich viel verändert. Viele Probleme, die es bereits davor gab, haben sich weiter zugespitzt. „In schwierigen Zeiten zeigt sich, dass die erste Antwort von Unternehmen oft ist, Mitarbeiter*innen zu kündigen. Sehr oft wird das als einzige Lösung bei akuten Problemen gesehen. Aber das kann es nicht sein!“, so Kampagnenleiter Ondraschek. Umso wichtiger sei es für alle Arbeitnehmer*innen, dass sie ein Sprachrohr im Betrieb haben. Denn es macht einen Unterschied, einen Betriebsrat zu haben, der sich für gute Arbeitsbedingungen, einen fairen Umgang und die Abfederung der Folgen der Corona-Krise einsetzt. Das zeigen auch Studien: dass Unternehmen mit einem Betriebsrat deutlich besser durch solche Ausnahmesituationen kommen.

Ein gutes Beispiel dafür ist auch Oliver Weissgerber, Betriebsratsvorsitzender bei ZARA: „Wir hätten unsere 1.000 Arbeitsplätze sonst nicht erhalten können.“ Durch den großen Einsatz der Betriebsrät*innen, ausverhandelte Betriebsvereinbarungen und regelmäßige Gespräche mit der Geschäftsführung konnten alle Kolleg*innen in Kurzarbeit gut durch die Krise geführt und Kündigungen sowie Filialschließungen verhindert werden. In Zeiten von Corona ist ihm zufolge Zusammenhalt und gemeinsam stark aufzutreten wichtiger denn je.

Laut Kronabeter müsse man sich nur vor Augen führen, was alles möglich ist, wenn es einen Betriebsrat im Unternehmen gibt: „So ein Vergleich von Unternehmen, wie es vorher ohne Betriebsrat war und wie es dann mit Betriebsrat ist, zeigt eigentlich schon alles. Es gibt so viele Praxisbeispiele, die den Mehrwert der Betriebsratsarbeit zeigen, so viele Erfolgsgeschichten. Natürlich ist es viel Arbeit, aber man kann viel erreichen, und dafür lohnt es sich auf jeden Fall zu kämpfen.“

„Es gibt solche und solche“

Das Bild, das die große Fairness-Umfrage von Österreichs Betrieben zeichnet, ist alles andere als positiv. Doch auch bei Arbeitgebern gibt es solche und solche: „Man darf nicht alle über einen Kamm scheren, aber dort, wo es nötig ist, muss etwas getan werden, um mit gewerkschaftlicher Organisation, betrieblicher Mitbestimmung und Demokratie im Betrieb für Gerechtigkeit zu sorgen“, bekräftigt Ondraschek.

Zudem zeigt eine Befragung von Manager*innen im Rahmen der European Company Survey 2019, deren Ergebnisse ganz aktuell vorliegen, dass Betriebsratsarbeit keinesfalls von allen Arbeitgebern dieses Landes abgelehnt wird. Im Gegenteil: Von 1.010 befragten Unternehmen schätzen insgesamt 87 Prozent der Manager*innen die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat als konstruktiv ein: 33 Prozent davon als sehr konstruktiv, 54 Prozent als eher konstruktiv, und nur 13 Prozent gaben an, die Zusammenarbeit sei wenig bis gar nicht konstruktiv. Ebenfalls große Zustimmung herrscht in Bezug auf das Vertrauen in den Betriebsrat: 91 Prozent der befragten Manager*innen schätzen das Vertrauen zwischen Betriebsrat und Management als stark ein – was bedeutet, dass lediglich neun Prozent meinen, es gebe wenig bis gar kein Vertrauen. Gute Voraussetzungen also für eine erfolgreiche Zusammenarbeit.

Ondraschek weist daher auf eine differenzierte Betrachtung hin: „In vielen Betrieben funktioniert alles gut, aber dort, wo es nicht funktioniert, müssen wir Stärke zeigen.“

„Solidarität und Zusammenhalt sind gerade jetzt
enorm wichtig“, meint der ÖGB-Kampagnenleiter
Richard Ondraschek.

Keine Wunderwuzzis

Betriebsrät*innen sind keine Übermenschen. Jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer in einem Betrieb mit mindestens fünf Mitarbeiter*innen kann Betriebsrat oder Betriebsrätin werden. „Wir suchen keine Wunderwuzzis. Betriebsrät*innen sind normale Menschen mit einem guten Gerechtigkeitssinn. Betriebsratsarbeit ist für jede*n etwas, die oder der etwas zum Positiven verändern möchte“, so Luger.

Und so hat es in zahlreichen Betrieben seit Beginn der Kampagne bereits Betriebsrats-Neugründungen gegeben – Tendenz steigend. Das ist ein wichtiger Schritt, doch die eigentliche Arbeit beginnt erst danach. Denn Veränderung braucht Zeit. Nichts lässt sich ad hoc von heute auf morgen verändern. „Es gibt Momente, in denen man Geduld aufbringen muss, aber dann gibt es diesen Punkt, wo man sagt: Mir reicht’s, so nicht!“, erläutert Kronabeter. Sein Erfolgsrezept: „Mit einer guten Argumentation kann man viel erreichen, aber man muss immer wieder nachhaken, lästig sein und darf nicht vorschnell aufgeben.“

Was es braucht, um Betriebsrat bzw. Betriebsrätin zu werden, fasst Kronabeter so zusammen: „Gut mit Menschen zu können, Geduld und Fingerspitzengefühl.“ Wichtig ist es für ihn, auf Augenhöhe zu verhandeln. „Und einen gewissen Gerechtigkeitssinn muss man haben, wenn’s unfair wird im Leben.“

Zusammen stärker

Die österreichweite Umfrage hat viele Problemfelder sichtbar gemacht, mit denen Arbeitnehmer*innen aktuell in Unternehmen zu kämpfen haben. Betriebsräte stehen in diesem Kampf jedoch nicht allein da. „Egal, um welches Thema es geht, man kann sich immer Unterstützung in den Betrieb holen“, sagt Kronabeter. „Mein Zugang ist: Man kann als Betriebsrat nicht Experte für alles sein. Dafür gibt es genügend Leute in der Arbeiterkammer, im ÖGB und in den Gewerkschaften, die man zu Hilfe holen kann. Man ist als Betriebsrat nie allein.“ Zudem verweist er auf die Website www.betriebsraete.at, auf der angehende und bestehende Betriebsrät*innen wichtige Informationen rund um die Betriebsratsarbeit finden und auch um Unterstützung anfragen können.

Für Ondraschek war das auch ein wichtiges Kernelement der Kampagne: „Es war uns wichtig zu zeigen, dass man als Betriebsrat nicht allein ist. Es gibt ein Betriebsratsteam, das zusammenarbeitet. Und zusätzlich stärken einem ÖGB, die Gewerkschaften und die Arbeiterkammer den Rücken. Diese Dreierkette zeigt: Zusammen ist man stark.“

Doch damit nicht genug: Im Rahmen der Kampagne kommen auch sogenannte Buddys zum Einsatz, die eine zusätzliche Unterstützung für angehende Betriebsrät*innen darstellen. Für Richard Ondraschek gerade am Anfang ein wichtiger Erfolgsfaktor: „Beim Buddy-Programm unterstützen erfahrene Betriebsräte neue bzw. angehende Betriebsräte mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen. Voneinander zu lernen und sich zu vernetzen ist enorm wichtig.“ Auch Alexander Kronabeter hat sich als Buddy angemeldet und stellt angehenden Betriebsrät*innen gerne seine Expertise und Erfahrung zur Verfügung. Seine Motivation? „Ich will, dass es Arbeitnehmer*innen in anderen Unternehmen genauso gut geht wie uns.“

Bei so viel Rückendeckung und Unterstützung ist es kaum verwunderlich, dass immer mehr Arbeitnehmer*innen sagen: „Mir reicht’s!“ Und die ersten Schritte setzen, selbst zu starken Stimmen im Betrieb zu werden, die sich für die Rechte und Interessen ihrer Kolleg*innen einsetzen.

Drei Fragen zur Kampagne

an die ÖGB-Kampagnenleiter Jakob Luger und Richard Ondraschek

Wieso ist die Kampagne gerade in Zeiten von Corona so wichtig?

Luger / Es ist zu jeder Zeit wichtig, dass es einen Betriebsrat im Unternehmen gibt. Egal, ob in der Pandemie oder zu anderen Zeiten: Ein Betriebsrat kann für mehr Gerechtigkeit sorgen. Wenn man an all die Kündigungswellen denkt und den Druck, der auf den Arbeitnehmer*innen lastet, wird deutlich, dass es einen besonderen Schutz braucht – und genau den liefern Betriebsräte.
Ondraschek / Solidarität und Zusammenhalt sind gerade jetzt enorm wichtig. Das sind die Werte, die uns gut durch die Krise bringen.

Was liegt euch bei der Kampagne besonders am Herzen?

Luger / Wir wollen echte Betriebsrätinnen und Betriebsräte ins Zentrum der Kampagne rücken und ihnen Danke sagen für ihre großartige Arbeit. Sie leisten tagtäglich so viel für ihre Kolleg*innen, und es ist wichtig zu zeigen: Das sind Menschen wie du und ich, die sich einfach hineinknien.
Ondraschek / Ein besonderes Herzstück der Kampagne ist für mich das Buddy-System. Mit der Kampagne haben wir da eine Plattform für Betriebsräte geschaffen, die ermöglicht, voneinander zu lernen, und den Austausch untereinander forciert.

Was wünscht ihr euch in Zukunft für die Arbeitswelt?

Luger / Ich wünsche mir, dass wir alle aus der Krise lernen. Dass es einen respektvollen Umgang auf Augenhöhein den Betrieben dieses Landes gibt. Und wo immer es diesen Umgang nicht gibt, muss er eben erkämpft werden.
Ondraschek / … und dass sich Arbeitnehmer*innen zusammenschließen. 13.000 Leute, die bei einer Umfrage „Mir reicht’s“ sagen, zeigen, dass es viel zu tun gibt. Und es ist schön zu sehen, dass sich so viele im Anschluss melden, weil sie einen Betriebsrat gründen möchten.

Über den/die Autor:in

Beatrix Ferriman

Beatrix Ferriman hat internationale Betriebswirtschaft an der WU Wien, in Thailand, Montenegro und Frankreich studiert. Sie ist Autorin, Schreibcoach sowie freie Redakteurin für diverse Magazine und Blogs.

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